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Politik

Brexit-Bürgerkrieg bedroht May

Barbara Wesel
12. September 2018

Die harte Brexit-Fraktion der britischen Konservativen schmiedet erneut Pläne, Premierministerin Theresa May zu stürzen. Unklar ist, ob ein Misstrauensvotum Erfolg hätte - und wer ihr nachfolgen würde.

Großbritannien Boris Johnson und Premierministerin Theresa May
Bild: picture-alliance/AP Photo/T. Charlier

Boris Johnson gewinnt wieder einmal den ersten Preis für verbale Hemmungslosigkeit. Der Ex-Außenminister und potentielle Kandidat für das Amt des Premierministers sprach am Wochenende in einem Zeitungsartikel davon, der sogenannte Chequers-Vorschlag der Premierministerin sei "schwach" und "jämmerlich". Theresa May, so Johnson weiter, habe mit ihrem Brexit-Kompromiss "eine Selbstmordweste" um die britische Verfassung gelegt und "Brüssel den Zünder überreicht". Das ist typisch Boris: Bildhaft, knallig und einen Schritt jenseits der Grenze des politisch Korrekten. Sofort hagelte es Kritik von allen Seiten wegen der Wortwahl - aber Johnson weiß genau, was es wert ist, wieder einmal tagelang die Schlagzeilen zu füllen.

Unversöhnliche Fronten bei den Tories

Anfang Juli hatte die britische Premierministerin den Befreiungsschlag versucht. Sie versammelte ihr Kabinett auf ihrem Landsitz Chequers und schwor alle auf eine Kompromisslösung für den Brexit ein. Danach sollte Großbritannien in einem Binnenmarkt für Güter verbleiben, EU-Regeln entsprechend anerkennen und ein Zollabkommen abschließen, das den freien Grenzverkehr wahrt, aber Verträge mit Drittländern ermöglicht. Dieser Plan firmiert seitdem als Chequers-Vorschlag.

Und seitdem tanzt in London der Bär auf dem Tisch. Zunächst traten Brexit-Minister David Davis und Außenminister Boris Johnson sowie ein paar Tories aus der zweiten Reihe unter Protest zurück. Dann kamen die Sommerferien und es wurde ruhiger. Seit einer Woche aber ist das Parlament zurück aus dem Urlaub und die harte Brexit-Fraktion bläst erneut zum Angriff.

Wortführer der harten Brexit-Befürworter: Jacob Rees-MoggBild: picture-alliance/R. Tang

Am Dienstagabend trafen sich die Mitglieder der European Research Group, einer Dachorganisation der harten Brexit-Anhänger, im Margaret-Thatcher-Raum des Portcullis House in Westminster, wo die Abgeordneten ihre Büros haben. Die Bosheit der Raumwahl ist gewollt, denn die Gruppe sieht Theresa May als untaugliche Nachfolgerin der Eisernen Lady. Über 50 der Brexit-Rebellen von rechts sollen sich dort versammelt haben, um nur ein Thema zu diskutieren: "Wie können wir sie am besten stürzen?"

Das Erstaunliche dabei sei, so wird berichtet, dass diese Debatte unverblümt und öffentlich geführt wurde und keiner ein gutes Wort für May gefunden oder den Umsturzplänen widersprochen habe. Im Gegenteil: Die Diskussionen darüber, wie man sie am besten zu Fall bringen könnte, seien detailliert gewesen und es habe keine abweichenden Meinungen gegeben. Nicht einmal der Form halber habe irgendjemand positive Worte über die Regierungschefin gefunden. "Es war absolut unglaublich. Der Boden öffnete sich unter deinen Füßen. Niemand versuchte auch nur so zu tun, als würde er (die Pläne) bedauern", zitiert Robert Peston vom Fernsehsender ITV einen anonymen Teilnehmer der Abendveranstaltung.

Brexit-Anhänger protestieren gegen Theresa May und ihre Verhandlungsführung in BrüsselBild: picture-alliance/NurPhoto/A. Cavendish

Gerüchte über einen anstehenden Sturz der Premierministerin sind nicht neu. Seitdem sie sich auf Artikel 50 des EU-Vertrages berufen und den Brexit in Gang gesetzt hat, gibt es alle paar Monate neue Vermutungen über ihre Abwahl. Jetzt aber läuft allen Beteiligten die Zeit davon: Wenn die Brexit-Befürworter es noch schaffen wollen, Theresa May zu kippen, müssen sie das in den nächsten Wochen tun. Denn spätestens im  November muss nach Auffassung der EU der Scheidungsvertrag geschlossen werden. Wollen sie dessen Inhalt noch beeinflussen, müssen sie die Vorschläge der Premierministerin und damit auch sie selbst vorher zu Fall bringen.

Eine Frage des Timings

Zankapfel Chequers-Vorschlag: Kabinettssitzung mit May und JohnsonBild: Reuters/S. Rousseau/Pool

Nach den Regeln der britischen Konservativen können bereits 48 Abgeordnete ein Misstrauensvotum gegen den Regierungschef beantragen. Allerdings müssen sie bei der Abstimmung darüber ihrer Mehrheit sicher sein. Und ist tatsächlich mehr als die Hälfte von 316 Tory-Parlamentariern der Meinung, jetzt sei ein guter Zeitpunkt, die Premierministerin zu stürzen? Nur diese Überlegung lässt die Rebellen derzeit zögern, denn scheitern sie mit ihrem Vorstoß, können sie erst nach zwölf Monaten einen neuen Umsturzversuch starten.

Und vielleicht erledigt sich das Problem May auch auf andere Weise. Bringt sie vom Gipfeltreffen der EU im November ein Abkommen mit, das weder den EU-Freunden noch den Brexit-Hardlinern in der Fraktion gefällt, dürfte es mit Hilfe der Opposition im Parlament scheitern. Und dann fällt auch der Kopf der Premierministerin, so die Kalkulation ihrer innerparteilichen Gegner.

Widerstand auch aus der EU

Die EU wiederum wiederholt seit Wochen, dass der Chequers-Vorschlag in der vorliegenden Form keine gemeinsame Basis sein kann. Chef-Unterhändler Michel Barnier und Frankreichs Regierungschef Emmanuel Macron sagen deutlich, dass die Integrität der EU-Institutionen nicht gefährdet werden dürfe. Das heißt, es kann keine Teilung des Binnenmarktes und für die Briten keine Rosinenpickerei der Rechten und Pflichten geben. 

Im Grunde schlagen die Brexiteers also auf ein totes Pferd ein. Was sie darüber hinaus aber auf jeden Fall verhindern wollen, ist, dass May auf der Basis von Chequers weitere Kompromisse macht, also etwa zustimmt, Großbritannien im Binnenmarkt zu halten. Für den Fall drohen sie mit einer Totalblockade im Parlament. 

Wer, wenn nicht Theresa May?

Carrie Symonds und Boris Johnson: Diese Affäre war eine zuviel für Boris Johnsons EheBild: picture-alliance/Daily Mail/M. Large

Schwierigkeiten macht den Rebellen in Mays Partei auch die Nachfolgefrage. Am heftigsten scharrt derzeit Boris Johnson mit den Füßen. Ernsthafte Konservative halten ihn zwar für unzuverlässig, egozentrisch und einen politischen Scharlatan. Er hat aber nach wie vor Unterstützer an der konservativen Basis.

Allerdings könnten seine jüngsten Eskapaden mit einer jungen Partei-Mitarbeiterin seine Chancen schmälern. Dabei geht es weniger darum, dass sich seine Frau nach 25 Jahren von ihm scheiden lässt, weil diese jüngste Affäre ihres notorisch untreuen Ehemannes wohl eine zu viel war. Was Boris Johnson jetzt schadet, ist die Art und Weise, wie er seine Geliebte Carrie Symonds abservierte, als die Geschichte an die Öffentlichkeit kam. Sie verlor ihren Posten bei den Tories, ihr neuer Arbeitgeber hat ihre Beschäftigung zunächst ausgesetzt und sie musste wegen des Medienechos in Deckung gehen. Boris aber lässt ihr Unglück unkommentiert und rührt keinen Finger, der jungen Frau zu helfen.

Während Publikumsliebling Boris Johnson moralisch diskreditiert ist, halten viele den Anführer der harten Brexiteers, Jacob Rees-Mogg, für einen altertümlichen Herrenwitz und nicht mehrheitsfähig. Andere Anwärter, etwa der neue Innenminister Sajid Javid oder Außenminister Jeremy Hunt, gelten als zu jung und unerfahren. Bleibt Michael Gove, derzeit Umweltminister, der sich auffällig bedeckt hält und Theresa May öffentlich unterstützt. Er profiliert sich derzeit als Stimme der Vernunft, ist aber noch beschädigt, weil er 2016 nach dem Brexit-Referendum und dem Rücktritt von Partei- und Regierungschef David Cameron zunächst behauptet hatte, er habe keine Ambitionen, Camerons Nachfolger zu werden - um dann in letzter Minute überraschend doch zu kandidieren.

Was also Theresa May derzeit vor allem vor dem Umsturz schützt,  dürfte die Schwäche ihrer Gegner sein.

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