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Politik

Brexit: Das Hickhack um Neuwahlen

Barbara Wesel
28. Oktober 2019

Die EU hat die Frist für den Brexit ohne Aufhebens um weitere drei Monate verlängert. Alles deutet in London auf Neuwahlen, die Verlängerung scheint gerechtfertigt. Der Weg dahin ist aber steinig für Boris Johnson.

Großbritannien London Parlament Brexit
Bild: picture-alliance/empics/House of Commons

Wer den Mund zu voll nimmt, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Premier Boris Johnson hatte im September getönt, eher würde er tot im Straßengraben liegen wollen, als den Brexit noch einmal aufzuschieben. Aber der magische 31. Oktober, auf den das Land seit Wochen mit der Kampagne "Bereitet euch auf den Brexit vor" eingestimmt wurde, verstreicht nun ergebnislos. Johnson kann den Termin nicht halten und von seinen Gegnern wurden ihm schon spöttisch real existierende Gräben, in die er sich nun legen könne, oder Klappspaten zum Selberbuddeln angeboten.

EU verlängert - erneut

"Flextension" heißt das Wortungetüm, mit dem die EU am Montag die zweite Brexit-Verlängerung beschrieb. Es soll den Briten einen flexiblen Ausstieg gewähren, von dem sie jeweils zum Monatsersten Gebrauch machen können, sobald sie den Austrittsvertrag mit der EU im Parlament bestätigt und ratifiziert haben. Ob diese Regelung Boris Johnson eher Mut machen soll, es noch einmal zu versuchen, oder ihm seine eingemauerte Lage nur umso deutlicher vor Augen führen soll, ist offen. Enddatum ist jedenfalls der 31. Januar nächsten Jahres.

Nach intensiven diplomatischen Kontakten mit der Regierung in Paris am Wochenende hatte Frankreich seine Bedenken gegen eine erneute Brexit-Verlängerung zurück gestellt. Ohnehin war das Zögern von Präsident Emmanuel Macrons mehr als politisches Muskelspiel gesehen worden, weniger als reale Drohung, die Briten ohne Deal aus der EU zu kippen.

Dass sich in London inzwischen der Wind in Richtung baldige Neuwahlen gedreht hat, dürfte die Entscheidung in Paris beschleunigt haben. Denn es war immer klar, dass die EU Wahlen oder ein zweites Referendum als gute Gründe für eine weitere Verlängerung akzeptieren würde. Selbst wenn in Brüssel und in den EU-Hauptstädten die Geduld mit dem Brexit-Zirkus ziemlich erschöpft ist: Die Europäer sind derzeit in der bequemen Position, dass sie das Drama als Beobachter weiter verfolgen können, ohne am Ergebnis schuld zu sein.

Labour blockiert Neuwahlen - erneut

Im Unterhaus kassierte dann Boris Johnson einmal mehr eine Niederlage. Die Labour-Abgeordneten enthielten sich der Stimme und die Regierung konnte die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit nicht mobilisieren, um Neuwahlen noch vor Weihnachten auszurufen. Obwohl Boris Johnson der größten Oppositionspartei Feigheit und Angst vor dem Urteil der Wähler vorwarf und erklärte: "Die Zeit für dieses Parlament ist abgelaufen" - Labourführer Jeremy Corbyn blieb ungerührt.

Ungerührt und ohne Trabant: Jeremy CorbynBild: picture-alliance/empics/House of Commons

"Es ist Zeit für den Führer der Opposition, seinen rostigen Trabant von der Kreuzung zu nehmen, er blockiert den Fortschritt", spottete Johnson schließlich in Anspielung auf dessen frühere Beziehungen zu Osteuropa. Der Premier vergaß dabei oder hatte nie gewusst, dass der Trabbi aus "Plaste" und daher eher rostfrei war.

Klar ist dabei, auch wenn Labour sich auf mangelndes Vertrauen in Johnson beruft: Die Partei befindet sich im Umfragetief und liegt in Umfragen seit Wochen 10 Prozentpunkte hinter den Tories. Jeremy Corbyn liegt auch in der persönlichen Bewertung weit hinter Boris Johnson, obwohl viele Wähler dem Premier nicht trauen und ihm schlechte Noten geben. Tatsächlich befindet sich Labour mit Corbyn in einer ziemlich verzweifelten Lage und versucht deswegen alles, Neuwahlen so weit wie möglich aufzuschieben. "Truthähne stimmen nicht für Weihnachten", spottet die Gegenseite im Unterhaus, denn viele Labour-Abgeordnete müssen tatsächlich um ihr Mandat fürchten.

Neuer Vorstoß schon am Dienstag

Nach seiner erneuten Niederlage kündigte Boris Johnson die Vorlage eines Gesetzes schon für Dienstag an, mit dessen Hilfe Neuwahlen auch mit einfacher Mehrheit beschlossen werden können. Ein Vorstoß der beiden kleinen Oppositionsparteien, der Liberalen und der schottischen SNP, vom Wochenende gab ihm Hoffnung. Beide wären bereit, die Regierung zu unterstützen, weil sie auch Neuwahlen wollen. Zusammen mit den Stimmen der Konservativen könnte es für eine Mehrheit reichen. 

Da lang: Die schottische Erste Ministerin Nicola Sturgeon versuchte schon im Sommer, die Richtung vorzugebenBild: picture-alliance/empics/J. Barlow

Die Motivation dieser beiden Parteien ist allerdings der des Premierministers diametral entgegengesetzt: Sie wollen erst das Brexit-Ausführungsgesetz vom Tisch haben, sodass Boris Johnson in den Wahlkampf gehen müsste, ohne sich als Held eines erfolgreichen Brexit darstellen zu können.

Denn die Liberalen sind pro-europäisch und wollen den Brexit noch stoppen. Und die SNP, die schottische National-Partei, schließt sich dem an: Schottland hatte 2016 gegen den Brexit gestimmt, will in der EU bleiben und bereitet sich intern auf ein neues Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands vor. Rund die Hälfte der Schotten ist nach dem Umfragen inzwischen dafür, das Vereinigte Königreich zu verlassen. 

Großbritannien: Zittern vor dem Brexit

02:30

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Aber Boris Johnson bekäme die Hilfe der Opposition nicht umsonst: Die SNP zum Beispiel will auch 16- und 17Jährige sowie EU-Bürger zur Wahl zulassen. Das würde den Ausgang deutlich in Richtung der Pro-EU-Parteien beeinflussen. Wie Boris Johnson sich aus dieser Zwickmühle befreit, schien am Montagabend noch ungewiss. Irgendwie wird er genug Zugeständnisse machen müssen, um Neuwahlen noch vor Weihnachten ausrufen zu können. Denn die Zeit ist knapp: Das Parlament müsste schon am kommenden Montag aufgelöst werden, um den Terminplan für die zweite Dezemberwoche einzuhalten.

Überall Risiken

Mit seinem Kurs auf Neuwahlen um beinahe jeden Preis geht Boris Johnson ein hohes Risiko ein. Zwar haben die Konservativen in den Umfragen die Nase vorn - die Institute aber haben sich in den vergangenen Jahren schon dramatisch geirrt. Das britische Wahlsystem macht Vorhersagen sowieso schwierig. Wahlabsprachen etwa zwischen Labour und Liberalen in bestimmten Wahlkreisen könnten die Dinge noch unklarer machen.

Premier im Hemd: Demonstration in London (am 19. Oktober)Bild: picture-alliance/AA/K. Green

Darüber hinaus sind derzeit 50 Prozent der britischen Wähler unentschieden und politisch nicht mehr festgelegt. Es ist unkalkulierbar, ob sie Boris Johnson für sein Versagen, den Brexit am 31. Oktober zu liefern, bestrafen oder ob sie ihm weiter zutrauen, mit einer neuen Mehrheit im Unterhaus die nötige Gesetzgebung endlich durchzubringen. 

Und schließlich könnte auch Weihnachten noch eine Rolle spielen: Möglich ist, dass die Bürger ziemlich sauer darauf reagieren, statt Weihnachtsfrieden einen giftigen Wahlkampf zu erleben, zu einer Jahreszeit, wo sie die Politik lieber vergessen und mit Freunden und Familie gemeinsam essen und trinken wollen.

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