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Politik

Brexit-Verhandlungen: Der Ball liegt in London

Barbara Wesel Straßburg
14. November 2018

Kein Kommentar von der EU zur technischen Einigung auf den Brexit-Vertrag. Für die Unterhändler ist klar: Die britische Premierministerin May muss ihn jetzt zu Hause verkaufen. Brüssel bleibt wenig Raum für Änderungen.

Britisches Parlament
Bild: picture-alliance/empics/PA Wire/A. Matthews

Der Deal ist beinahe noch Geheimsache. Erst im Laufe dieses Mittwochs werden die EU-Botschafter in Brüssel über die Einzelheiten unterrichtet. Es geht um den letzten Stand der Verhandlungen, die seit vergangener Woche in Tag- und Nacht-Sitzungen zwischen den Unterhändlern erreicht wurde. Am Dienstag dann waren Sabine Weyand für die EU-Seite und Ollie Robbins für die britische Regierung an dem Punkt angekommen, wo die größtmögliche Annäherung an die jeweiligen Forderungen und roten Linien erreicht war. Der Rest hängt von politischen Entscheidungen ab.

Entscheidung über 400 Seiten Rechtstext

Es geht zunächst um den Austrittsvertrag: 400 Seiten juristischer Text mit Anmerkungen, der ziemlich undurchdringlich ist. Eingeweihte wissen allerdings, wo die Knackpunkte zu finden sind. Die Minister in Theresa Mays Kabinett in London mussten jedoch weitgehend den Erklärungen ihrer Premierministerin glauben, denn sie bekamen nur ein paar Stunden Zeit, den Vertrag in einem abgeschirmten Leseraum selbst durchzublättern.

Der Umriss ist inzwischen durch eine Reihe von Lecks in Brüssel und London relativ klar. Man hatte am Ende alle Probleme abgeräumt, von der Austrittszahlung, über die Rechte der Bürger auf der jeweils anderen Seite, den Modalitäten der Übergangsphase bis Ende 2020 und allen übrigen Regelungen, um die fast 40 Jahre lang gewachsene Gemeinschaft zu trennen.

Premierministerin May: Hoch emotionale FrontBild: picture-alliance/empics/PA Wire/V. Jones

Am Ende blieb die Grenzfrage für Nordirland. Die Unterhändler schlagen jetzt vor, dass Großbritannien - um eine harte Grenze dort zu vermeiden - auch nach der Übergangszeit weiter in der EU-Zollunion bleibt. Damit könnte der Grenzverkehr ungehindert weiter laufen. Allerdings soll Nordirland dabei enger an EU-Regeln gebunden bleiben, damit Kontrollen wirklich entfallen können. Ein Knackpunkt für die nordirische DUP, die Theresa Mays Minderheitsregierung stützt.

Die vorübergehende Zollunion kostet allerdings ihren Preis: Großbritannien muss weiterhin EU-Regelungen und Vorschriften, etwa bei Umwelt, Arbeitsmarkt und Staatshilfen anwenden. Die europäische Wirtschaft fürchtet sonst, die Briten würden Dumping-Angebote machen und sie unterbieten. Und entgegen britischem Wunsch wird das Ende dieser Zollunion von einem gemeinsamen EU-GB-Komitee entschieden. Es gibt keine unilaterale Ausstiegsklausel, wie die Brexiteers sie verlangt hatten, die schon wieder von "Sklaverei" für Großbritannien reden.

Außerdem sieht der Vertrag eine Revisionsklausel für den Sommer 2020 vor, wo vor dem Ende der Übergangszeit entschieden wird, wie man danach weitermacht. Die EU bietet den Briten nämlich auch an, die Phase des rechtlichen Status quo zu verlängern, wo alles bleibt, wie es jetzt ist, und nur die Rechte der Mitgliedschaft erloschen sind.

Nicht alle EU-Länder sind rundum glücklich

Zwar hatte Angela Merkel am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg noch einmal gemahnt, man solle so gut wie möglich mit den Briten umgehen, weil jetzt die Weichen für das spätere Verhältnis gelegt werden. Aber nicht alle Länder werden über den Brexit-Vertrag rundum erfreut sein. Manche fürchten, dass die britische Wirtschaft doch Vorteile gegenüber europäischen Mitbewerbern gewinnen könnte, wenn das Land weiter in der Zollunion bleiben darf. Es wird an der EU-Kommission sein, die Einhaltung der Regeln strikt zu überwachen.

Kanzlerin Merkel in Straßburg: Weichenlegung für das spätere VerhältnisBild: Reuters/V. Kessler

Neben diesem größten Zugeständnis an Großbritannien haben die Europäer auch in einigen weiteren Punkten nachgegeben. Etwa dürften Frankreich, die Niederlande und Spanien verärgert sein, weil EU-Chef-Unterhändler Michel Barnier die Fischereifrage aus dem Scheidungsvertrag ausgenommen und die Klärung auf die späteren Zukunftsverhandlungen verschoben hat. Für Theresa May hätte die Gewährung des Zugangs für EU-Fischer zu britischen Gewässern eine weitere hoch emotionale Front eröffnet und die Chance verringert, den Deal zu Hause durch Kabinett und Parlament zu bringen.

Zukunft und Notfallvorbereitungen

Neben dem Scheidungsvertrag ist eine mehrseitige politische Erklärung vorbereitet, in der die Grundzüge des künftigen Verhältnisses zwischen der Europäischen Union und Großbritannien skizziert werden. Und Basis davon soll eine ähnliche Regelung sein, wie sie mit der "vorübergehenden Zollunion" angestrebt wird. Klar ist, dass dieser Teil den Brexiteers noch weniger gefallen wird als die Bedingungen des Ausstiegs. Denn danach wäre das Königreich auch künftig bei eigenen Handelsverträgen durch EU-Regeln beschränkt. Es zeigt sich, dass die Praxis des Brexit viel komplizierter und eingeengter wird, als seine Befürworter es versprochen haben.

Außerdem hat die EU-Kommission - trotz der technischen Einigung - die Notfallvorbereitungen für einen No-Deal-Brexit vorangetrieben. Das ist einerseits Teil der Drohkulisse und andererseits reale Vorsicht. Auch nach dem Brexit-Sondergipfel, der für den 25. November geplant ist, bleibt offen, ob das britische Parlament dem Vertrag zustimmt und wie es im Falle Eines "No" in Westminster weiter geht.

Und was, wenn es keinen Brexit gibt?

"Es ist eine bemerkenswerte Leistung von Theresa May einen Deal zu erzielen, der niemandem gefällt", bringt es der schottische Europaparlamentarier Alyn Smith auf den Punkt. Der Plan gefalle weder den Nordiren, wo der Friedensprozess weiter fragil sei. Er gefalle den Schotten nicht, weil sie gegen den Brexit waren und sich überfahren fühlen. Er gefällt den Pro-Europäern nicht, weil er viel schlechter ist als die EU-Mitgliedschaft. Und er gefällt den Brexiteers nicht, weil er sie nicht radikal von EU-Regeln befreit.

Europa-Abgeordneter Smith: "Ein Deal, der niemandem gefällt"Bild: DW/M. Luy

"Die Erinnerung an den 1. Weltkrieg hat noch einmal gezeigt, dass moderne Länder dumme Sachen machen", fügt Smith hinzu. Er wolle jetzt überparteilich daran arbeiten, dass die EU den Briten mehr Zeit gibt. "Neuwahlen, eine neue Regierung, ein zweites Referendum – alles ist derzeit möglich. Die Situation ist sehr dynamisch."

Auch sein Kollege Richard Corbett von der Labour Party setzt auf eine kleine Verlängerung: Wenn das britische Parlament im Dezember den Deal der Premierministerin ablehne, eröffne sich die Chance, um die Briten in einem zweiten Referendum zu befragen, ob sie den Brexit wirklich wollen. "Die öffentliche Meinung dazu hat sich inzwischen geändert", sagt Corbett. Und die Labour Party, die so lange gezögert hat die Pro-Europäer und "Remain" zu unterstützen, würde dann im Parlament einen zweiten Volksentscheid fordern. Die nötige Gesetzgebung könne man von 2016 kopieren, aber für die Abwicklung brauche man etwas mehr Zeit als bis zum 29. März nächsten Jahres. Er habe Signale aus dem Europaparlament, dass die EU-Mitgliedsländer dabei mitmachen und den Briten eine zweite Chance geben würden.

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