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Politik

Brexit: Handelsabkommen auf Messers Schneide

Barbara Wesel
7. Dezember 2020

Der Montag hatte in gedämpfter Stimmung begonnen und endete ohne Ergebnis: Beide Seiten bereiten sich auf ein Scheitern der Handelsgespräche vor und EU-Unterhändler Michel Barnier setzt eine neue Frist bis Mittwoch.

Brexit Symbolbild  Steve Bray London
Bild: Kirsty Wigglesworth/AP Photo/picture alliance

Am Montagabend telefonierten sie wieder miteinander – EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premier Boris Johnson, um die festgefahrenen Verhandlungen flott zu machen. Nach rund anderthalb Stunden aber gaben beide auf: Man wolle eine Pause einlegen, hieß es. Auf Twitter erklärten beide schließlich, man habe die Verhandlungsführer beauftragt, die bestehenden Differenzen aufzulisten, über die dann in den kommenden Tagen bei einem persönlichen Treffen beraten werden solle.

Von der Leyen muss mit ihren Hauptstädten Rücksprache nehmen, ob irgendwo noch ein Rest von Bewegungsspielraum wäre, um die Forderungen weiter anzunähern. Boris Johnson wiederum hat erneut Zeit mit seinen politischen Freunden zu beraten, ob er das Angebot der EU endlich akzeptieren könne oder ob der Zeitpunkt da ist, den Stecker zu ziehen.

Der Stillstand bleibt

Am Montagmorgen hatte der Tag schon düster begonnen. Das Fazit von Chefunterhändler Michel Barnier in Brüssel zum Stand der Dinge hieß: "Lasst die Hoffnung fahren, die Gespräche stecken weiter fest." Der irische Außenminister Simon Coveney sagte dem Sender RTE: "Es hat eine sehr gedämpfte Einschätzung der Aussichten abgegeben." Und in diesem Sinne verstrich dann auch der Montag.

Die Regelung zum freien Grenzverkehr zwischen Nordirland und der Republik Irland steht auf der KippeBild: picture-alliance/empics/L. McBurney

Ein Hindernis scheint allerdings inzwischen ausgeräumt: Die britische Regierung signalisierte, dass sie zwei Gesetze, die drohten, das Austrittsabkommen vom Januar dieses Jahres zu beschädigen, nicht in Kraft treten lassen würde. Dazu gehört das umstrittene Binnenmarkt-Gesetz, von dem ein Minister bei der ersten Lesung im Unterhaus unbekümmert zugegeben hatte: "Es ist ein begrenzter Bruch internationalen Rechts".

Dieses und ein weiteres Gesetz hätten die Vereinbarungen mit der EU zum freien Grenzverkehr zwischen Nordirland und der Republik Irland, ein politisch und historisch heikles Thema, quasi außer Kraft gesetzt. London hatte also eine komplexe Drohkulisse aufgebaut, nur um sie am Ende nach heftigem Protest in Brüssel wieder abzuräumen.

Dennoch liegt hier der Auslöser für einen Teil der Probleme in diesen Gesprächen: Die Europäer haben kein Vertrauen in die Vertragstreue der Briten. Diplomaten in Brüssel gehen davon aus, dass wer bereit ist einen Vertrag zu brechen, auch den neuen Handelsvertrag als bedrucktes Papier betrachten könnte. Deswegen versuchen sie, die Vereinbarungen mit Strafklauseln und allen rechtlichen Mitteln festzunageln.

Verhandlungen drehen sich im Kreis 

Bei den Verhandlungen geht es nach wie vor um die drei strittigen Kernpunkte: den fairen Wettbewerb, die Kontrolle des Handelsvertrages und am Ende den Fisch. Man schien einer Einigung nahe, als Ende der Woche Frankreich, die Niederlande und andere einen Stock in die Speichen steckten: Paris warnte vor zu weitgehenden Zugeständnissen, die man später bereuen würde, wenn Großbritannien sich zunehmend von EU-Regeln entfernt.

Hier liegt nämlich der Kern des Streits: Die Regierung in London betont immer wieder, dass "Souveränität" der eigentliche Zweck des Brexit sei. Großbritannien wolle die volle Freiheit, eigene Regeln zu setzen.

Experten wie etwa David Henig vom "UK trade policy project" machen dagegen deutlich, dass "moderne Handelsverträge (…) die Regeln festlegen, nach denen zwei oder mehr Länder Handel treiben", und damit automatisch eine Einschränkung der Souveränität einher ginge. Es sei ein grundlegender Irrtum der britischen Regierung, das nicht anzuerkennen.  

Darüber hinaus geht es um die Kontrolle des Abkommens: Die EU will möglichst scharfe Waffen, sollten die Briten den Handelsvertrag nicht einhalten, also die Standards senken oder ihre Unternehmen mit unerlaubten Staatshilfen unterstützen. Sie fordert unmittelbare Strafzölle und andere rechtliche Sanktionen. Die britische Seite lehnt diese Forderungen bisher ab.

Das letzte zu lösende Problem ist die Fischerei: Wie viel Zugang bekommen EU-Fischer künftig zu britischen Gewässern, wie lang ist eine mögliche Übergangszeit, und wie sehen Quoten für gewisse Fischgründe aus – das sind hier die Fragen.

 

Boris Johnson und Ursula von der Leyen werden heute noch Gespräche führen Bild: Peter Summers/Getty Images

Vorbild Australien?

Jede Menge öffentliches Drama gehört natürlich zum Spiel: Am Wochenende hatten sich die Minister von Boris Johnsons Kabinett um ihren Premier geschart und versichert, sie würden auch einen No-Deal mittragen, also das Ende der Übergangszeit ohne Abkommen. Montagfrüh schrieb in diesem Geiste Brexit-Scharfmacher Nigel Farage auf Twitter: "Entweder fallen wir um gegenüber Barnier und Macron, oder wir gehen".

Außenamtsminister James Cleverly allerdings versicherte in der BBC, ein Abkommen sei immer noch möglich. Aber Großbritannien halte gute Karten und könne problemlos auch ohne Abkommen leben: "Manche haben diese Idee als reinsten Weltuntergang gezeichnet (…). Es ist nicht so gut wie mit Abkommen, aber wir können auch ohne formellen Vertrag mit der EU Handel treiben, nach dem Vorbild Australiens".

Die irische EU-Kommissarin Mairead McGuiness wiederum erklärte in Brüssel, der Ball sei nun definitiv im britischen Feld: "Es sieht nicht gut aus. Großbritannien muss Kompromisse machen". Am Donnerstag treffen sich die EU-Regierungschefs in Brüssel – bis dahin sollte klar sein, wohin die Reise geht. Einige Länder rufen schon jetzt danach, die Notfallplanungen für den 1. Januar 2021 in Gang zu setzen. 

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