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Politik

Brexit ist ein Gefühl

1. Februar 2020

Nun ist wahr, was viele nicht wahrhaben wollten. Das Vereinigte Königreich hat der Europäischen Union den Rücken gekehrt. Eine sehr persönliche Sicht unseres Brüsseler Korrespondenten Bernd Riegert.

Belgien | Brüssel feiert freundschaft zwischen Belgien und Großbritannien
Bild: Reuters/F. Lenoir

Gefühle zu zeigen, ist in der politischen Schaltzentrale der Europäischen Union in Brüssel eher die Ausnahme. Doch in diesen Tagen, in denen der Abschied des Vereinigten Königreichs real wird, ist vieles anders als sonst. Ich habe seit dem Referendum ständig über den Brexit berichtet, alle Höhen und Tiefen ausgelotet. Ich halte mich eigentlich für abgebrüht, doch als am Donnerstagabend der "Grand Place" im Herzen von Brüssel in den Farben der britischen Flagge erstrahlte und einige Briten zum letzten Mal eine EU-Flagge schwenkten, habe ich doch eine Gänsehaut bekommen. Es herrscht Wehmut, ja fast Trauer in Brüssel, weil nach 47 Jahren ein so wichtiges, pragmatisches und erfolgreiches Land seinen Abschied nimmt.

Zum ersten Mal in meiner Zeit als Korrespondent in Brüssel habe ich gesehen, wie im Parlament spontan ein englisches Lied gesungen und echte Tränen vergossen wurden. Es gibt eben auch eine emotionale, nicht nur eine rationale Bindung an Großbritannien und die Briten, die in den Institutionen die Europäische Union mitgeprägt haben.

Noch einmal mit Gefühl

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Die Sympathie für die Menschen im Königreich auf den britischen Inseln wird bleiben. Bei mir aber auch das persönliche Unverständnis für den Brexit. Auch nach vielen Diskussionen mit Brexit-Anhängern habe ich nicht verstanden, welchen realen Vorteil man sich von der Isolation verspricht. Es geht vielen Menschen im Vereinigten Königreich, allen voran dem sprunghaften populistischen Premierminister Boris Johnson, nicht um wirtschaftliche und politische Vorteile, sondern um ein Gefühl.

Das Gefühl, unabhängig zu sein, nicht bevormundet zu werden. Es ist das Gefühl, dass man eigentlich das Zentrum eines Empires sein müsste, das die Weltmeere beherrscht, und nicht Teil einer gemeinschaftlich organisierten Großmacht Europa. Auf einem Parteitag der konservativen Partei hat mir eine Delegierte gesagt, sie wolle raus aus der EU, "weil wir britisch sind" - "because we are British".  Dieses Selbstvertrauen, diese skurrile Attitüde scheint mir das Leitmotiv für den Brexit und den ja schon seit Jahrzehnten anhaltenden Streit in Großbritannien über die EU und Europa zu sein.

Brexit ist nicht das Ende

Da helfen auch alle guten Argumente, dass die Briten seit 1973 nicht bevormundet wurden, sondern gleichberechtigter und in manchen Fragen sogar bevorzugter Teil der EU waren, nicht weiter. Für manche Politiker ist Brexit eine Religion mit eingebautem Heilsversprechen. Wenn man erst einmal raus ist, wird alles besser? Der Populismus hat gesiegt. Er hat auf den Inseln genauso gesiegt wie in den USA. Es ist ja kein Zufall, dass der US-Präsident und der britische Premier mit ihren absonderlichen politischen Vorstellungen beste Freunde sind.

In die Wehmut über den sinnlosen Abschied mischt sich bei mir auch eine Art Zuversicht, dass am Ende die Vernunft doch wieder siegen wird. Wenn es Großbritannien und Nordirland in der Zukunft irgendwann einmal wieder wirtschaftlich schlecht gehen sollte, wie 1973, dann wird man sich wahrscheinlich an die große Gemeinschaft auf dem Kontinent erinnern. Wenn man erkennen wird, dass das politische Gewicht Großbritanniens nach dem Brexit abnehmen wird, dann könnte es sein, dass man sich in London wieder auf die Gemeinschaft besinnt. Ein erneuter Beitritt in zehn Jahren ist nicht ausgeschlossen.

Für mich stürzen sich die britischen Freunde ohne Not in ein gefährliches Abenteuer. Sie laufen falschen Versprechen nach. Mir läuft es kalt den Rücken herunter. Brexit ist eben doch auch ein Gefühl.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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