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Politik

Brexit - mit oder ohne May? Oder gar nicht?

Bernd Riegert z.Z. London
10. Juli 2018

Die Regierungschefin Theresa May bringt ihr Kabinett auf ihre Brexit-Linie. Wird das reichen, um politisch zu überleben? Viele Menschen in London haben da ihre Zweifel - und Hoffnungen. Bernd Riegert aus London.

Großbritannien London & der Brexit | James & Laura, Ehepaar aus London
James und Laura aus London haben für den Brexit gestimmtBild: DW/B. Riegert

Vor dem Buckingham Palast im Herzen Londons haben sich an diesem Dienstagmittag tausende Schaulustige versammelt. Sie schwenken britische Fähnchen, haben Picknickkörbe dabei und sind bester Laune, auch wenn der Sommer gerade eine Pause macht und Regenwolken aufziehen. "Wir sind nicht hier, um zu sehen, wie die Premierministerin zur Queen im Palast fährt, um ihr Amt aufzugeben", scherzt eine Dame aus London. Laura ist wie die anderen Zuschauer gekommen, um 100 Jahre Königliche Luftwaffe mit einer Parade zu feiern, an der auch die Königin auf dem Balkon des Buckingham Palasts teilnimmt. "Theresa May hat nur noch eine 50 zu 50 Chance, die nächsten Wochen als Regierungschefin zu überstehen. Es herrscht Chaos", meint Lauras Ehemann James. Beide wollen ihre echten Namen nicht nennen.

Sie haben für den Brexit, also den Ausstieg Großbritanniens aus der EU, gestimmt und sind enttäuscht, wie die Regierung das Vorhaben umsetzt. Der zurückgetretene Außenminister Boris Johnson habe ganz recht mit seiner Kritik an dem "weichen" Brexit, den die Premierministerin durchboxen will, meint Laura: "Boris hat seine Prinzipien und denen ist er treu." Das Ehepaar aus London ist trotz der Krise fest überzeugt, dass es in neun Monaten den Brexit geben wird, mit oder ohne Abkommen mit der EU.

Ruhe vor dem Sturm? 

Eine ruhige Straße in der Regierungskrise: Der Sitz der PremierministerinBild: DW/B. Riegert

Nur ein paar hundert Meter vom Buckingham Palast entfernt, an der Downing Street Nummer 10, ist es ruhig. Am Amtssitz der Premierministerin stehen nur ein paar Touristen am Zaun. Einige Journalisten warten. Keine Hektik zu sehen oder zu spüren. Drinnen in der Downing Street hat Theresa May ihr umgebautes Kabinett versammelt, um es noch einmal auf ihren weicheren Brexit- Kurs  mit dem Ziel einer Freihandelszone mit der EU einzuschwören. Der wurde letzte Woche auf ihrem Landsitz in Chequers festgezurrt.

Jetzt gebe es keine Diskussion mehr, sagt May ihren Ministern. Fürs Erste hat sie eine Meuterei in den Reihen ihrer konservativen Partei unterbunden. Aber für wie lange? Die Zeitungen und Fernsehkommentatoren spekulieren an diesem Dienstag, ob nicht doch ein anderer konservativer Hardliner May herausfordern könnte. Vielleicht sogar Boris Johnson, der im Zorn gegangene Minister. Die Wettbüros sagen voraus, dass May vor dem Ende ihrer regulären Amtszeit gehen muss.

Eine Inspiration für die Kunst

Kaya Mar zeigt seine KarikaturenBild: DW/B. Riegert

Am Eingang der Downing Street hat sich wie fast jeden Tag der Karikaturist Kaya Mar mit zwei seiner Gemälde aufgebaut. Er weist die Passanten mit einem Bild von Theresa May als armer Straßenmusikerin auf die seiner Meinung nach absurden Folgen des Brexit hin. Kay Mar hat schon über 100 satirische Bilder gegen den Brexit gemalt, war in der BBC und anderen Sendern zu Gast, hatte eine eigene Ausstellung im Regierungsviertel.

Der Rücktritt von Boris Johnson und die Regierungskrise gefallen ihm. "Das bringt neue Motive für neue Bilder und die Leute werden aufgerüttelt", glaubt der in Spanien geborene Künstler, der schon seit 40 Jahren in London lebt.

Es lebe England und die EU?

Von der Downing Street nur einen Steinwurf entfernt liegt das riesige neugotische Parlamentsgebäude am Ufer der Themse. Der Big Ben ist eingerüstet und wird renoviert. Die Turmuhr schweigt. Es herrscht emsige Betriebsamkeit. Sitzungswoche. Die konservativen Parlamentarier treffen sich in kleinen Zirkeln, um über die Zukunft ihrer Regierung zu beraten. Die Premierministerin hat keine eigene Mehrheit im Parlament. Sie ist auf einen kleinen Koalitionspartner aus Nordirland angewiesen. Nur weil es keine wirkliche Alternative zu ihr gibt, ist sie noch da, glauben viele.

Neben dem Parlament wehen eine EU-Flagge und eine England-Flagge: Protest neben den zahlreichen Fernsehteams, die von der Rasenfläche aus berichtenBild: DW/B. Riegert

"Das Land ist inzwischen genau gespalten, wie die da drinnen", erzählt eine Passantin aus London draußen vor dem Parlamentsgebäude. Sie will ihren Namen nicht nennen, weil sie Anfeidungen in ihrer Nachbarschaft fürchtet. "Ich habe für den Brexit gestimmt. Das sollen die anderen nicht wissen. Inzwischen habe ich Zweifel, ob das alles noch klappen kann", sagt die Frau.   

Lauter Rufer in der Brexit-Wüste

"Stop Brexit!!!" Markerschütternd hallt der tiefkehlige Schrei von Steve Bray über die weite Rasenfläche neben dem Parlament. "Stop Brexit!!!" ruft er immer wieder, so laut, dass man es in den zahlreichen Fernsehreportagen hören kann, die gerade auf der Rasenfläche entstehen. Dort stehen die Kameras der britischen und internationalen Sender.

Steve Bray protestiert jeden Tag gegen den Brexit Bild: DW/B. Riegert

Steve Bray kommt jeden Tag her, erzählt er, und schon seit fast zwei Jahren. "Der Brexit wird scheitern", sagt er. "Es wird nicht funktionieren. In den nächsten Monaten bekommt Theresa May das nicht mehr hin. Sie wird die längste Zeit Premierministerin gewesen sein." Immer, wenn er ein Auto mit einem Abgeordneten erspäht, läuft Steve Bray über den Bürgersteig und hebt zu seinem Kampfruf an: "Stop Brexit!". Manchmal sprechen die Abgeordneten mit ihm. Viele kennen ihn schon, weil er einfach immer da ist.

"Ich kenne ihn auch und ich finde es gut, dass er das macht", sagt Agne aus Litauen. Sie ist 2006 nach Großbritannien gekommen und findet den Brexit einfach ungerecht. "Ich hatte sofort einen Job. Ich zahle meine Steuern. Nach dem Brexit brauche ich ein Visum oder kann gar nicht mehr zurückkommen, wenn ich meine Mutter in Litauen besucht habe. Das ist doch alles nicht zu fassen", regt sie sich auf. Agne verkauft Busfahrkarten an die vielen Touristen, die sich die Journalistenwiese neben dem Parlament und die Brexit-Protestler anschauen.

Sie hofft, dass Premierministerin May und mit ihr der ganze Ausstieg aus der EU scheitern. Viele Menschen würden aber gar nicht mehr hinhören, klagt sie. Ihre britischen Freunde interessiere vor allem, ob England in das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft vordringt. "Dann gewinnen wir am Sonntag vielleicht einen Weltmeistertitel und haben möglicherweise keine Regierung mehr. Das wäre doch toll", lacht Agne. Die Politiker gegenüber im Parlament sollten endlich einsehen, dass der Brexit kollabieren wird: "Versetzt euch doch einmal in meine Lage." 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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