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Politik

Brexit: Nicht so leicht rauszukommen

Barbara Wesel
1. Juni 2020

Die Verhandlungen über das künftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien stecken in der Sackgasse. Chefdiplomat Michel Barnier warnt vor einem Scheitern. Bis Ende Juni müsste eine Verlängerung beantragt werden.

Brexit | Großbritannien verlässt die EU
Bild: Reuters/S. Dawson

"Wir haben nicht furchtbar viel Fortschritt gemacht", sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Wochenende im Interview mit der Sunday Times. Das ist die diplomatische Formulierung für: Wir stecken fest. Jetzt beginnt die letzte geplante Gesprächsrunde über ein Handelsabkommen zwischen beiden Seiten, und niemand erwartet einen plötzlichen Durchbruch. So wie es bei der Scheidung war, ist es auch bei den Verhandlungen für die Zeit danach - beide Seiten machen sich Vorwürfe und ein Abkommen scheint zunehmend unmöglich.   

Wer zuckt zuerst?

Mitte Mai hatten beide Seiten offen ihren Frust gezeigt. Barnier mahnte, man müsse bei der letzten Runde echten Fortschritt machen, sonst werde es nichts mit dem Vertrag bis zum geplanten Gipfeltreffen Ende Juni. Dann muss nämlich entschieden werden, ob es sich überhaupt lohnt, weiter zu machen. Die wenigen Monate nach der Sommerpause reichen eigentlich nicht aus, um einen so komplexen Vertrag noch auszuarbeiten.

Große Meinungsverschiedenheiten: Der Brite David Frost (li) und der "Europäer" Michel Barnier

Der britische Unterhändler David Frost schrieb darauf einen ziemlich groben Brief an Barnier: Die EU solle es sich noch einmal überlegen, Großbritannien einen Handelsvertrag von dermaßen "schlechter Qualität" anzubieten. "Jedes demokratische Land" würde den zurückweisen. Die Europäer sollten gefälligst  ihr Verhandlungsmandat ändern. EU-Diplomaten erklären dagegen, dass derzeit überhaupt nichts geändert werde und der Auftrag für Barnier stehe. 

Die Gespräche leiden darunter, dass sie nur virtuell per Internet stattfinden, dass alle Regierungen mit der Corona-Krise beschäftigt sind und dass beide Seiten wieder einmal weit auseinanderliegen. Einmal mehr geht es auch bei den Post-Brexit-Verhandlungen darum: Wer zuckt zuerst? 

Johnson kann sich eine Verlängerung nicht mehr leisten

David Frost hat es gesagt, Ober-Brexiteer Michael Gove hat es bekräftigt und Premier Boris Johnson schwört: Wir wollen keine Verlängerung. Zwar ist eine Mehrheit der Bevölkerung nach Umfragen dafür, aber in der Downing Street will man die Argumente nicht hören. Die meisten Ökonomen warnen, es sei Wahnsinn auf die wirtschaftlichen Schäden von Corona noch die Lasten durch neue Zölle und Kontrollen im Handel mit der EU drauf zu satteln. Dennoch scheint die Regierung mit dem Ende der Übergangszeit am 31.Dezember das Land von der Brexit-Klippe stürzen zu wollen.

Die Schwäche des Premiers: der Mann im HintergrundBild: picture-alliance/AP Photo/M. Dunham

Bisher dachten Beobachter, Boris Johnson würde wieder einmal pokern bis zuletzt und dann auf eine Verlängerung umschwenken. Jetzt aber glaubt Carnegie-Experte Peter Kellner, früher Umfragechef bei dem Meinungsforschungsinstitut "YouGov", dass der Premierminister in den vergangenen Wochen vor allem durch die Corona-Affäre um seinen Berater Dominic Cummings  - der mit seiner an COVID-19 erkrankten Frau zu seinen Eltern fuhr - sein politisches Kapital verspielt habe: "Boris Johnson ist abgestürzt, er ist selbst von der Klippe gefallen. Seine Position ist politisch viel schwächer. Sogar wenn er eine Verlängerung wollte, könnte er sie nicht mehr durchsetzen."

Die Minderheit harter Brexiteers in der Partei spiele jetzt eine größere Rolle und außerdem gingen viele Tory-Abgeordnete sowieso davon aus, dass es bis Ende des Jahres kein Abkommen geben werde. "Sie wissen, dass es ökonomische Folgen haben wird, aus der Übergangszeit rauszustürzen. Aber sie glauben, es werde alles unter den Corona-Folgen begraben". Außerdem gebe es bei den Konservativen eine Riesenhoffnung auf ein Handelsabkommen mit den USA: "Ich sehe sehr wenig Chancen dafür", sagt Kellner dazu lapidar. 

Britische Begeisterung am Brexit-Tag: der Union Jack auf Downing Street 10Bild: Getty Images/AFP/T. Akmen

Wo liegen die Differenzen?

Es geht vor allem um den fairen Wettbewerb, "level playing field" genannt, der mit der politischen Erklärung beim Brexit unterschrieben wurde. "Es sieht so aus, als ob die EU sie (die Briten) daran binden will", erklärt Kellner. Boris Johnson aber habe die Klausel für bedeutungslos gehalten und geglaubt, er könne sie nach Belieben interpretieren.

Stattdessen heißt die zentrale Forderung Brüssels: Großbritannien müsse die wichtigsten Regeln für Arbeitsmarkt, Umwelt und staatliche Beihilfen der EU anerkennen, um Zugang zum Binnenmarkt zu bekommen. Grund dafür sei die Größe und geographische Nähe des Königreichs. Man wolle keinen "Wettbewerb nach unten" mit den Briten.

"Wir sind ein souveränes Land", wendet Unterhändler David Frost dagegen ein, unmöglich dass man sich von den Europäern Regeln vorschreiben lasse. Er wolle im Prinzip nur ein einfaches Handelsabkommen, wie es die EU mit Kanada oder Japan abgeschlossen habe. Warum sollten die Briten nicht haben, was doch die anderen bekommen hätten?  

Die Fischerei - ein Zankapfel in den Post-Brexit-VerhandlungenBild: picture-alliance/dpa/C. Meyer

Grundsätzliche politische Meinungsverschiedenheiten 

 "Es ist nicht fair zu schreien, das ist nie eine gute Strategie gegenüber der EU", sagt dazu Handelsexperte Sam Lowe vom Politik-Institut "Center for European Reform". Die EU habe von Anfang an deutlich gemacht, dass sie ein Handelsabkommen mit der Bedingung des "level playing field" verbinde. Die Regierung in London wusste also, was auf sie zukommt.

Lowe glaubt aber auch, dass die Verhandlungen feststecken, weil es eine grundsätzliche politische Meinungsverschiedenheit gibt, die die Unterhändler Barnier und Frost nicht lösen könnten. "Sie reden aneinander vorbei und warten bis Boris Johnson mit den EU-Regierungschefs spricht, ob sie nun einen Deal wollen oder nicht. Und das passiert erst später im Jahr."

Bisher sieht es nicht so aus, als ob eine der beiden Seiten zuerst zuckt. Man sieht wieder einmal das beliebte Brexit-Spiel, wobei die Gegner so lange aufeinander zurasen, bis sie das Weiße im Auge des Kontrahenten sehen. Beim letzten Mal wurde der Crash in letzter Minute abgewendet - ob es wieder so kommt, ist offen. 

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