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Politik

Scheidung unter Freunden?

Nina Niebergall
31. März 2017

Erst zwei Tage ist es her, dass die Briten offiziell den EU-Austritt beantragten. Bevor die Verhandlungen beginnen, stellt Ratspräsident Donald Tusk die Brüsseler Prioritäten klar. Doch der Zündstoff steht später an.

Malta Donald Tusk zum Brexit
Bild: Reuters/D. Zammit Lupi

Noch geben sich beide Seiten friedlich. In dem Brief, mit dem die britische Premierministerin Theresa May vor zwei Tagen offiziell die Scheidung von der Europäischen Union beantragte, sprach sie von einer "besonderen Beziehung", die sie zu Brüssel erhalten wolle. Nun schlug EU-Ratspräsident Donald Tusk ähnlich versöhnliche Töne an. Die EU wolle nicht bestrafen, sagte er bei einer Pressekonferenz in der maltesischen Hauptstadt Valetta. "Der Brexit selbst ist schon Strafe genug."  Man wolle alles tun, "diese Scheidung so glatt wie möglich zu gestalten".

Dafür stellte der Ratspräsident Leitlinien vor, auf denen die Gespräche mit London basieren sollen. Die 27 verbleibenden Staats- und Regierungschefs müssen diese allerdings auf ihrem Gipfel am 29. April noch absegnen. Der Entwurf zielt vor allem auf die Reihenfolge der Verhandlungen ab. Die Forderung aus Brüssel: Erst wird über den Austritt verhandelt, dann erst über die Zukunft der gemeinsamen Beziehungen. Mit dieser Ansage weist Tusk die Wünsche der britischen Premierministerin zurück, die in ihrem Brief dazu aufrief, "die Bedingungen einer zukünftigen Beziehung gleichzeitig mit unserem Austritt" zu verhandeln.

Brüssel will sich jedoch erst auf die tiefgreifenden Verflechtungen zwischen Großbritannien und der EU konzentrieren. Mehr als 20.000 Gesetze und Regeln gilt es im Laufe der nächsten zwei Jahren zu entwirren.

Bürgerrechte zuerst

Konkret nennt Tusk drei Prioritäten, die am Anfang der Verhandlungen stehen sollen: die Rechte der gut vier Millionen Bürger, die als Briten in der zukünftigen EU oder als EU-Bürger in Großbritannien leben, die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland sowie die Rechnung, die London in Brüssel noch offen hat. Die Summe könnte laut Brüsseler Diplomaten bei 60 Milliarden Euro liegen.

Theresa May macht es offiziell: Hier unterzeichnet die britische Premierministerin den Antrag auf den EU-AustrittBild: REUTERS/C. Furlong

Die stellvertretende Direktorin des belgischen Think Tanks "Bruegel" Maria Demertzis findet die Punkte gut ausgewählt. Sie beinhalteten wenig Konfliktpotential, meint sie. Zwar habe das "Leave"-Lager in seiner Kampagne vor dem Referendum im vergangenen Mai Stimmung gegen osteuropäische Einwanderer gemacht. Dennoch glaubt Demertzis, dass die EU keine Unterscheidung zwischen "Bürgern erster und zweiter Klasse" zulassen werde. "Wenn die Briten nicht zufrieden sind mit den Osteuropäern, dann können Spanier und andere auch nicht bleiben". Das Problem der Einwanderung werde sich erst später stellen, meint die Wirtschaftswissenschaftlerin.

Für Unstimmigkeiten könnte aber die Frage nach dem Geld sorgen. Denn Großbritannien ist als EU-Mitglied Verpflichtungen eingegangen, die am Tag des Austritts nicht einfach verfallen. Das gestehen die Briten prinzipiell auch ein, gehen aber nicht von 60, sondern lediglich von 20 Milliarden Euro aus. Wie hoch die Rechnung genau ausfallen wird, weiß zum jetzigen Zeitpunkt niemand - weder in Brüssel noch in London. Streit könnte es aber bei den Finanzposten geben, die Großbritannien weiter abstottern muss. Auch Demertzis spricht von einem Knackpunkt. Bevor May den Austritt ihres Landes offiziell beantragt habe, seien beide Seiten nicht sehr kompromissbereit gewesen, meint die Expertin. Sowohl in dem britischen Brief als auch in den Worten Tusks macht sie aber eine versöhnliche Haltung aus. Darüber hinaus meint Demertzis: "Sobald die Rechnung geklärt ist, werden beide Seiten guten Willen zeigen."

Wahlkampfgeplänkel und Rosinenpickerei

Dabei wird es dann erst richtig kompliziert. Tusks Fahrplan sieht vor, zunächst Fortschritte in den drei von dem Klub der 27 priorisierten Themen zu erreichen. Erst dann soll die nächste Verhandlungsrunde in Angriff genommen und ein Abkommen für die Post-Brexit-Zeit verhandelt werden. Schon im Herbst könnte es soweit sein, kündigte der Ratspräsident an.

Im Interesse aller: Rechte von vier Millionen Bürgern müssen zuerst verhandelt werdenBild: Lewis Clarke

Dieser Zeitpunkt sei nicht zufällig gewählt, meint Wirtschaftswissenschaftlerin Demertzis. Sie argumentiert: "Bis dahin sind Deutschland und Frankreich im Wahlmodus". Währenddessen sollte nicht der Anschein erweckt werden, die Gespräche mit London könnten scheitern. Schließlich stellen sich die beiden Seiten zum jetzigen Zeitpunkt zwei völlig unterschiedliche Handelsabkommen vor. London wäre gerne weiterhin Teil des Binnenmarktes, allerdings ohne die Freizügigkeit aller EU-Bürger zu akzeptieren. Brüssel wiederum bleibt bei seiner simplen Logik: Wer A sagt, muss auch B sagen. "Rosinenpickerei" werde es nicht geben.

Könnte das Abkommen daran scheitern? Tatsächlich führten die unterschiedlichen Positionen hinsichtlich eines zukünftigen Handelsabkommens für Unsicherheit, sagt Demertzis. Sowohl die EU als auch das Vereinigte Königreich müssten Kompromisse eingehen, um gute Wirtschaftsbeziehungen zu etablieren.

Zeit für Kompromisse

Demertzis zeichnet ein diplomatisches Szenario: Brüssel wird darauf bestehen, dass Großbritannien weiterhin Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs akzeptieren muss, zumindest in wirtschaftlichen Fragen. Dafür könnte Brüssel beim Thema Freizügigkeit einlenken. Nicht nur würden sich dadurch beide Seiten einigen, sondern die EU könne auch zeigen, dass sie das Votum der britischen Bürger respektiere. In dem Referendum drückten viele Briten auch ihren Unmut über die offenen Grenzen aus. Dieser Quid-pro-quo-Deal könnte allerdings auf Kosten der Polen gehen. Denn viele polnische Arbeiter suchen in Großbritannien Jobs.

Aus Brüsseler Sicht ist der Brexit nachteilig für alle Seiten. So spricht Donald Tusk auch von "Schadensbegrenzung". In Diplomatenkreisen heißt es, die Abhängigkeit zwischen Großbritannien und der EU sei gegenseitig. Alle seien daher daran interessiert, dass es ein Abkommen gebe und enge Wirtschaftsbeziehungen ausgehandelt würden.

Dennoch gibt man sich in Brüssel überzeugt: Wirtschaftliche Verlierer des Brexit sind die Briten selbst. Am längeren Hebel sitzt die EU.

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