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Brexit-Sorgen in Athen

Jannis Papadimitriou5. Juli 2016

Erneut dunkle Wolken über der griechischen Wirtschaft: Experten befürchten, dass das Brexit-Votum sich negativ auf den Tourismus und das Rettungsprogramm für Griechenland auswirken könnte.

Ein junger Mann und eine junge Frau passieren eine Wand mit Graffitis (Foto: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki)
Bild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Ausgerechnet Alexis Tsipras soll beim jüngsten EU-Gipfel einen Sinn für britischen Humor an den Tag gelegt haben: Laut Athener Medienberichten tadelte der Linkspremier seinen britischen Amtskollegen David Cameron mit den Worten, es sei doch erstaunlich, dass die Entscheidung der Wähler ihn unvorbereitet erwische.

Mit dieser Aussage sorgte Tsipras für Erheiterung in Brüssel, hatte er doch selbst vor einem Jahr zur Ablehnung aller Sparauflagen im eigenen Land aufgerufen und die entsprechende Volksabstimmung gewonnen - um wenig später einen Rückzieher zu vollziehen. "Bend it like Tsipras", witzelt Stefanos Kassimatis, Kolumnist der Athener Zeitung Kathimerini. Soll heißen: Cameron soll sich vom Linkspremier inspirieren lassen und aus einem klaren "Nein" über Nacht ein "Ja" herzaubern.

"Europa braucht Wachstum, nicht Austerität", sagt Alexis TsiprasBild: Getty Images/AFP/T. Charlier

Wirtschaftsanalyst Kostas Stoupas sieht keinen Grund zur Belustigung. Vielmehr macht er sich Sorgen um die griechische Wirtschaft nach dem Brexit-Votum. Allein schon die Reaktion der Athener Börse lasse nichts Gutes erahnen, sagt der Ökonom. "Am ersten Tag nach dem Referendum fiel Griechenlands Börse stärker ins Minus als London oder Frankfurt. Sie verlor innerhalb von wenigen Stunden über 10 Prozent und hat sich davon immer noch nicht erholt", betont Stoupas im Gespräch mit der DW.

Dagegen versucht der Gouverneur der griechischen Zentralbank Jannis Stournaras, Zuversicht zu verbreiten: Zumindest für die Exportwirtschaft wären die Brexit-Folgen überschaubar, da Griechenland ohnehin keinen regen Handelsverkehr mit Großbritannien unterhält, schreibt Stournaras in der Wochenzeitung To Vima.

Sparen die Briten jetzt beim Urlaub?

Schlimmes befürchtet man für den einzigen Hoffnungsschimmer des Landes: den Tourismus. Großbritannien gilt als zweitwichtigster Markt für griechische Hoteliers, mehr als zwei Millionen Briten verbringen jedes Jahr ihren Urlaub in Hellas. Allein im Zeitraum Januar bis April 2016, als ein Brexit noch in weiter Ferne lag, freuten sich die Griechen auf 206.000 Anreisen von den britischen Inseln - ein Plus von neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Bei einer Rezession oder einer längeren Zeit der Unsicherheit in Großbritannien müsse sich Griechenland auf kräftige Einbußen im Tourismus-Geschäft einstellen, warnt Wirtschaftsanalyst Stoupas. Ähnliches drohe, falls das Pfund gegenüber dem Euro längerfristig zur Schwäche neigen sollte. "Wenn es eng wird, spart jeder zuerst einmal beim Urlaub", gibt der Ökonom zu bedenken.

Nach dem Brexit-Votum machen sich viele Griechen Sorgen, dass weniger Touristen aus Großbritannien kommenBild: picture-alliance/zb/A. Lander

Eine Stellungnahme des griechischen Hotelverbands (SETE) bestätigt diese Sorgen: Die Unsicherheit um die Zukunft Großbritanniens brächte Nachteile für den Tourismus in diesem Jahr, heißt es in der SETE-Erklärung. Das liegt daran, dass 50 Prozent der britischen Griechenland-Besucher spät buchen und verstärkt auf Last-Minute-Angebote achten. "Angesichts der Unsicherheit nach dem Referendum könnten nun viele Briten ihre Urlaubspläne ändern und auf einen Griechenland-Besuch verzichten. Darüber machen wir uns Sorgen", sagt SETE-Sprecher Xenophon Petropoulos der DW.

Ein Einbruch des zweitgrößten EU-Marktes wäre ein herber Schlag und würde nicht zuletzt die Umsetzung des laufenden Rettungspakets für Hellas gefährden, mahnt Ökonom Stoupas. Seine Begründung: "Die Umsetzung des Programms und die Erwartung der EU-Kommission, dass Griechenland noch in diesem Jahr zum Wachstum zurückkehrt, setzen voraus, dass der Tourismus wichtige Wachstumsimpulse liefert. Sollten diese wegfallen, muss man neu rechnen."

Nachsicht der Kreditgeber? Fehlanzeige

Erst im Juni hat Athen grünes Licht bekommen, dass eine dringend benötigte Kredittranche in Höhe von 7,5 Milliarden Euro ausgezahlt werden kann. Spätestens im Oktober steht die nächste Überprüfung griechischer Reformbemühungen an. Doch nun mahnt Premier Alexis Tsipras, nach dem Brexit-Votum müsse Europa "Austerität durch Wachstum" ersetzen.

Nach Informationen der Zeitung Kathimerini hat Tsipras bei seinem letzten Gipfelauftritt in Brüssel erklärt, angesichts einer drohenden Rezession müssten "zumindest einige Aspekte des griechischen Programms neu überprüft werden". Er hofft offenbar, dass die EU-Partner Griechenland nach dem Brexit-Votum stärker entgegenkommen, um weitere Turbulenzen in der europäischen Familie zu vermeiden.

Ökonom Stoupas glaubt, die Athener Regierung verfolge genau dieses Kalkül - allerdings ohne Aussicht auf Erfolg. "Diese Erwartung geht an der Realität vorbei. Gerade die harte Haltung gegenüber den Briten macht deutlich, dass kein EU-Staat gegen die Regeln verstoßen darf", mahnt Stoupas.

Auch Panagiotis Ioakeimidis, Professor für Europapolitik an der Universität Athen, sieht keine Alternative zum Rettungsprogramm. Gerade weil die europäischen Partner weitere Krisen vermeiden wollten, würden sie in Zukunft noch viel genauer darauf achten, dass Griechenland das Programm umsetzt, sagt der Europa-Experte im DW-Gespräch.

Einen Trumpf will Tsipras noch aus dem Ärmel ziehen: Nach einem Bericht des griechischen Staatsfernsehens wollen er und sein italienischer Amtskollege Matteo Renzi an einer Mittelmeer-Achse zur Förderung von Wachstum in Europa arbeiten. Keine gute Idee, findet Professor Ioakeimidis: "Eine Mittelmeer-Achse ins Leben zu rufen, wäre katastrophal für Griechenland. Damit würden wir uns selbst dem sogenannten Europa der zwei Geschwindigkeiten unterwerfen, das wir nach eigenen Angaben um jeden Preis vermeiden wollen."

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