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Politik

Politische Fehden, ein Labrador und eiskalte Rache

Barbara Wesel
19. September 2017

Premierministerin May will die Brexit-Gespräche wieder in Gang bringen. Dabei ist unklar, warum sie nach Florenz fährt, und wer im Krieg mit Boris Johnson sowie im Rachedrama mit George Osborne siegen wird.

Ein Labrador (hell) und noch ein Labrador (dunkel)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Gollnow

Er hat es schon wieder getan. Boris Johnson schrieb einfach einen Artikel im "Telegraph" und warf damit Theresa Mays gesamte Pläne über den Haufen. Ausgerechnet in der Woche ihrer großen Rede zum Brexit dominierte er plötzlich völlig die Debatte. Und weil er wirklich ruchlos ist, erneuerte er dabei seine haltlose Behauptung, dass Großbritannien nach dem Brexit 350 Millionen Pfund pro Woche für das Gesundheitssystem übrig haben würde, wenn es nicht mehr für die EU zahlen muss. Das war schon vor dem Referendum falsch und ist es auch heute. Macht ja wohl nichts. 

Der Chef der Statistik-Behörde jedoch war sauer: Er sei "überrascht und enttäuscht (…) über diesen klaren Missbrauch offizieller Statistiken", schimpfte Sir David Norgrove. Der Außenminister blieb unbeeindruckt. Wenn er zu Propagandazwecken eine Lüge verkaufen will, lässt er sich doch nicht von einem Beamten zurecht weisen. Abgesehen von diesem kleinen Zank aber bestätigt er einmal mehr seine echte Begeisterung für den Brexit: "Ich will hier deutlich machen, dass unser Land mit unserem neuen nationalen Vorhaben Erfolg haben wird, mächtig großen Erfolg." In der Tat.

Boris Johnson? Oder doch ein Labrador? Bild: Reuters/T. Melville

Johnson verachtet dabei Übergangsperioden und Zahlungen an die EU. Was Theresa Mays Berater aus der Fassung brachte. "Er hat ihre Autorität herausgefordert, aber wenn sie ihn rauswerfen würde, bräche das Gleichgewicht zusammen, das sie nach der Wahl errichtet hat", so beschreibt der Guardian das Problem der Regierungschefin ohne eigene Mehrheit. Also musste Innenministerin Amber Rudd ins Fernsehen und den Abweichler zur Ordnung zu rufen, wenn auch nur ganz milde: "Boris ist ein wichtiges Mitglied des Kabinetts, der Enthusiasmus, Energie und Unterhaltungswert hat". Sie widersprach allerdings nicht dem Vorwurf, dass Boris Johnson vom Rücksitz aus den Brexit-Wagen zu steuern versuche. Das macht Theresa May ganz allein, betonte die getreue Ministerin. Wer braucht Feinde, wenn er Freunde wie Boris hat?

"Was Amber Rudd hier beschreibt, ist kein Minister, das ist ein Labrador". Wuff.

Florenz mit Aussicht

Warum Theresa May ausgerechnet Florenz für ihre große Brexit-Rede ausgesucht hat, ist nicht ganz klar. Es hat irgendwie mit der Renaissance zu tun, der Wiege europäischer Kultur und der Vergangenheit als Handelsstadt. Oder suchte die Premierministerin für ihre Rede nur ein "Zimmer mit Aussicht", frei nach dem Roman von E. M. Forster, der Florenz als Touristenmagnet für Briten um die Wende des 19. Jahrhunderts beschrieben hatte? Oder wollte sie im Lichte der großen Bürger der Stadt stehen, wie Leonardo, Galileo und natürlich Machiavelli? 

Florenz erlebte ein wechselhaftes Schicksal und war Heimat von Niccolo Machiavelli Bild: picture-alliance/dpa/D. Kalker

Der Theoretiker der Macht wurde ja in den letzten 500 Jahren zum Synonym für die Ruchlosigkeit erfolgreicher Politik. Dabei wird Machiavelli oft falsch zitiert, denn er hat nie geschrieben, dass die Mittel den Zweck rechtfertigten; dazu war er zu klug. Er sagte aber, dass es für Politiker, die zwischen Liebe und Furcht wählen müssten, "sicherer sei gefürchtet als geliebt zu werden". Das allerdings ist wenig hilfreich für Theresa May, denn sie ist zu gefühllos, um Liebe, und zu schwach, um Furcht zu erregen.

Eine andere Lektion des Denkers aus Florenz könnte bei Theresa May dagegen angekommen sein. Denn er ermahnt die Politiker auch, bei ihren Entscheidungen die Fakten anzuerkennen. Jedenfalls will die Premierministerin jetzt den Stillstand bei den Brexit-Verhandlungen durchbrechen. Es wird erwartet, dass sie am Freitag eine längere Übergangsperiode und Zahlungen in die EU-Kasse vorschlägt. Außerdem wird Theresa May wohl wiederholen, dass Großbritannien nur die EU und nicht Europa verlassen wolle und dass sie eine tiefe und besondere Beziehung zu beiden anstrebe. Es ist wie früher, als Nadeln noch in Schallplatten stecken blieben. May will, so viel scheint klar, die Türen für einen Kompromiss öffnen. Sie hätte das natürlich bequem aus der Downing Street machen können, aber gönnen wir ihr eine kleine Italienreise. Zumal es in Florenz besonders schicke Schuhe gibt.

Ganz kalte Rache

Die Fehde zwischen dem früheren Finanzminister George Osborne und Theresa May soll bis in die Zeit zurückreichen, als beide Minister in David Camerons Kabinett waren. Er soll sie eines Tages in ihrer Position als Innenministerin zur Schnecke gemacht haben, weil sie die Zuwanderungsstatistiken nicht im Kopf hatte. Das hat May ihrem Kollegen nie verziehen. Als sie im Sommer 2016 dann unerwartet Regierungschefin wurde, nahm sie kalten Herzens Rache. Das ganze Land konnte zusehen, wie George Osborne sich an den Fernsehkameras vorbeidrückte, in Downing Street Nr. 10 hineinging und zehn Minuten später blass wieder hinaus schlich. May hatte ihn ohne Umstände rausgeworfen.

Osborne, Cameron, May - da haben sie noch gemeinsam gelacht Bild: TV Out/via Reuters

Seitdem sinnt Osborne seinerseits auf Rache. Und dabei hilft ihm sein neuer Job als Chefredakteur des "Evening Standard". Das ist die Gratiszeitung, die einem russischen Oligarchen gehört, und die alle Londoner im öffentlichen Nahverkehr täglich lesen. Was für ein Podium, um Theresa May die Macht der Presse zu beweisen. Sie sei "eine Tote auf Abruf", hatte Osborne nach ihrer Wahlniederlage geschrieben. Aber damit nicht genug. Vor einigen Tagen soll er über seinen Krieg mit May gesagt haben: "Ich werde nicht ruhen, bis ich sie kleingehackt und in Tüten verpackt in meiner Tiefkühltruhe habe", so berichteten Ohrenzeugen. George Osborne will seine Rache wirklich eiskalt genießen.

Noch ein Exit vom Brexit-Ministerium

Das Ministerium für den Ausstieg aus der EU verliert Beamte. Leute verlassen Brexit-Minister David Davis schneller als er neue einstellen kann. Der jüngste Deserteur ist Ollie Robbins, britischer Anführer des Brexit-Verhandlungs-Teams in Brüssel und Sherpa von Theresa May.  Erst vor ein paar Tagen hatte er die Journalisten vor dem Regierungssitz damit unterhalten, dass er den Rede-Entwurf für Florenz offen über die Straße trug. Man konnte nur die Überschrift sehen, bloß ein kleiner Spaß.

Jetzt zieht Robbins mit seinem Laptop und seinen Büroklammern um in die Downing Street Nr. 10, um dort die Premierministerin zu unterstützen und Abstand zu David Davis zu gewinnen. Es hieß, die beiden hätten sich nicht verstanden.

Britischer Idealismus

Sein Stern war in diesem Sommer schnell gestiegen und tief gefallen. Jacob Rees-Mogg, wegen seiner Ansichten und seines Auftretens von der britischen Presse auch als "Ehrenwertes Parlamentsmitglied für das 18. Jahrhundert" verspottet, wurde kurz als möglicher Nachfolger im Premierminister-Amt genannt. Diese Wolke scheint vorbei gezogen, aber Rees-Mogg gehört weiter zu den Tories, die kraftvoll für Boris in die Bresche springen:

"Boris hat die romantische Vision des Brexit wieder belebt, die wir so dringend brauchen." Nur um vom Satiriker John Crace erinnert zu werden:

"Wer braucht Realität, wenn Phantasie so viel besser ist." Achtung, der Brexit spielt im echten Leben, wir sind hier nicht bei Game of Thrones.

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