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Politik

Die Frage nach dem Ballbesitz

Barbara Wesel
9. Oktober 2017

Wer hat denn gerade den Ball? Die Frage ist beim Fußball selbst erklärend. In der Politik ist das schon schwieriger zu beantworten. Wenn es um den Brexit geht sowieso, meint Barbara Wesel.

Das Brexit Tagebuch.de

"Der Ball ist in ihrem Feld", erklärt Theresa May ihrem Parlament und zeigt anklagend in Richtung Ärmelkanal, an dessen fernem Ufer der Kontinent liegt. Dort aber hebt der Sprecher der EU-Kommission die eindrucksvollen Augenbrauen und beharrt auf dem Gegenteil: "Der Ball liegt ganz und gar im Feld Großbritanniens".

Beim Brexit scheint ähnlich wie bei der WM-Qualifikation irgendwie der Ballbesitz eine Rolle zu spielen. Allerdings entscheiden am Ende nur die Tore. Oder kämpfen die Teams hier auf verschiedenen Spielfeldern? Ist das ganze tatsächlich ein Tischtennisturnier? Vielleicht eine Pokerrunde und die EU hält alle Karten?

Seit ihrem fast mortalen Hustenanfall beim Parteitag kämpft May um den eigenen Lebensbeweis. Doch, sie könnte Entscheidungen treffen, wenn sie wollte. Sie könnte zum Beispiel Boris feuern, theoretisch. Vielleicht wird sie ihn ja nach dem EU-Gipfel in zwei Wochen rauswerfen. Aber warum eigentlich erst dann?

"...that works (f)or everyone. Und dann bekam sie auch noch einen Hustenanfall Bild: picture-alliance/PA Wire/P. Byrne

Selten sah man eine Spitzenpolitikerin so offenbar unglücklich in ihrem Amt, so verzweifelt daran festhalten. Selbst als die Zeichen an der Wand hinter ihr zu Boden fielen, wollte sie sie nicht lesen. Wobei der Slogan "Ein Großbritannien, das für alle da ist" eine verstörende Ähnlichkeit hat mit Angela Merkels Wahl-Spruch von dem Deutschland, in dem wir gut und gerne leben. Nur dass weder dumme Sprüche noch dumme Obergrenzen die brillante Technikerin der Macht in Berlin aus der Bahn werfen können.

Die Kollegin in London ist dagegen nicht zu beneiden. Sie soll einen Brexit liefern, der die Wirtschaft nicht in den Untergang und die EU-Hasser nicht zur Raserei treibt. Ihre Parteifreunde zählen ihre verbleibenden Tage. Und in Brüssel wartet man darauf, ob in den nächsten zehn Tagen noch ein Ball geschossen wird. Wenn nicht, werden die Regierungschefs das Tor in Richtung Weihnachten verrücken. Oder, wie es ein ungenannter EU-Diplomat so treffend formulierte:"Wir sind nicht dazu da, die Tory-Partei zu retten". Und das schließt die Premierministerin mit ein.

Für May ganz wichtig: David Davis. In Brüssel war er aber einfach mal nicht da Bild: Getty Images/C. Court

Wo ist David Davis?

Anfang voriger Woche saß der Brexit-Minister beim Parteitag noch in der ersten Reihe, gleich neben Boris, Philip Hammond und der May-Vertrauten Amber Rudd, die die Männer mit scharfen Ellbogen zum Beifall für die leidende Premierministerin antreiben musste. Und David Davis galt als eine der Optionen auf der Ersatzbank der Konservativen. 

An diesem Montag in Brüssel allerdings war der Minister zur Fortsetzung der Brexit-Verhandlungen nicht erschienen. EU-Unterhändler Michel blieb nur das Selbstgespräch. Davis sei anderweitig beschäftigt, hieß es. Aber es hatte sowieso niemand erwartet, dass er etwa Angebote im Gepäck hätte. Man fragt sich sowieso, was die Verhandlungsteams machen, wenn sie da im Sitzungssaal der Kommission ihre Tage verbringen. Tee trinken und Kekse essen? Kreuzworträtsel? Tweets über den Brexit lesen?

Die Gespräche am Mittwoch sind mangels Verhandlungsmasse bereits abgesagt. Am Donnerstag dann wird Davis wieder in Brüssel erwartet für die rituelle Pressekonferenz an der Seite von Michel Barnier. Der Brite wird sagen, dass alles großartig läuft. Der Franzose wird sagen, dass ihn der Mangel an Fortschritt bedrückt. Dann gehen sie beide wieder ihrer Wege.

Immer auffallen: Die Masche von Boris Johnson kommt nicht bei jedem an, aber die Medien finden ihn toll Bild: Reuters/H. McKay

Wo läuft er denn?

Er rennt jeden Morgen um den Block, seine Leibwächter nebenher und Journalisten warten an der Strecke. Sie rufen so Sachen wie: "Boris, wann wirst du Theresa stürzen?" Und der Außenminister antwortet nicht, weil dies wieder nicht der richtige Tag dafür ist. Aber er glaubt noch immer, dass er eine Chance hat, sagen Insider über die Ambitionen des großen Blonden. Aber könnte ihm nicht jemand mal eine Jogginghose schenken, irgendwas diskretes in blau oder schwarz?

Abgesehen von Trouser-Gate ist auch das Außenministerium in London zu einer Tagesstätte für schwer erziehbare Kinder umfunktioniert worden. "Wir bilden die besten Diplomaten der Welt aus und stellen sie dann auf die Probe, indem wir sie für Boris arbeiten lassen" war einer der besseren Witze auf dem Tory-Parteitag.

Einer der schärferen Tests für die Fähigkeiten seiner Diplomaten war Boris' jüngster Ausspruch zu den Chancen von Misrata. Die libysche Stadt könne eine große Zukunft haben wie Dubai, denn es gebe genug britische Investoren, die ihr Geld dort gern im Sand vergraben würden, phantasierte der Außenminister.  Wenn die Leute vor Ort nur "endlich die Toten wegräumen" würden. "Die Toten sind Helden, die im Kampf gegen den IS gefallen sind", entgegneten örtliche Vertreter wutentbrannt. Die Investoren suchen inzwischen wohl nach anderen Anlagen.

Kaum je war ein Land so fixiert auf die absurden Interventionen eines einzelnen Politikers. Es ist zutiefst neurotisch. Bei den Tories traut sich keiner, die Straße zu überqueren, ohne vorher Boris zu fragen. Dabei ist er nur einer dieser kindischen, geltungssüchtigen Egozentriker, die an die Macht kommen, wenn sich die Götter gegen euch verschworen haben.

Demnächst komplett für den heimischen Markt: Und nicht nur einmal die Woche. Bild: Imago

Harte Fakten 1

Erst haben die USA den kanadischen Flugzeugbauer Bombardier mit einer Mega-Strafe wegen vermeintlicher Staatshilfe belegt, was auch die Arbeitsplätze in dessen nordirischer Niederlassung gefährdet. Jetzt stellt Washington das einzige echte Ergebnis der bisherigen Brexit-Verhandlungen infrage. Es geht um die Aufteilung der Quoten für Agrarimporte zwischen der EU und Großbritannien nach WTO-Regeln. Sie sollten einfach nach den tatsächlichen Einfuhren geteilt werden. Aber die USA haben Einspruch eingelegt. Sie wollen gern neu verhandeln, um für sich einen besseren Deal zu bekommen. Wer braucht Feinde, wenn er solche Freunde hat?

Harte Fakten 2

Minister Michael Gove verlangt, dass Großbritannien sofort nach dem Brexit aus der gemeinsamen EU-Fischereipolitik aussteigen soll. 65 Prozent des von britischen Fischern gefangenen Fisches werden nach Europa verkauft. Das muss aufhören. Denn es geht hier nicht um Kuchen, wie Boris Johnson immer behauptet hat. Es geht darum, alle Portionen Fisch und Chips in Großbritannien zu behalten und zu essen.

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