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Politik

Theresa May und die "feindliche Umgebung"

Barbara Wesel
1. Mai 2018

Theresa May vor neuen Niederlagen, das Kabinett hat einen neuen Brexiteer, die Lords stimmen weiter gegen die Regierung, und Barnier verhandelt für Irland.

England Premierministerin Theresa May
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Dunham

Am Donnerstag wird Theresa May vermutlich wieder eine Wahl verlieren. Es wird eine symbolische Niederlage, weil die Regionalwahl in Teilen Englands keinen Einfluss auf die Sitze im Parlament hat. Aber wenn die Umfragen recht haben, stehen die Konservativen in London vor einem Vernichtungsschlag in den Stadträten. Sogar die ewigen Tory-Bezirke Westminster und Wandsworth könnten an Labour fallen.

Die Hauptstadt hat mit 60 zu 40 Prozent gegen den Brexit gestimmt und ist Heimat für Menschen aus aller Welt. Nichts jedoch, was May im vergangenen Jahr getan oder gesagt hat, nimmt Londoner für sie ein. Und ihre Migrationspolitik einer "feindlichen Umgebung", die karibische Zuwanderer zu Opfern von Ausweisungen machte, dürfte da nicht helfen. Könnte ihr Job gefährdet sein? Das ist eher unwahrscheinlich, es sei denn, in Großbritannien bliebe nicht ein Tory-Stadtrat übrig. Aber May wird am Freitag einen weiteren schlechten Tag im Büro haben.

Der Kampf um die Zollunion geht weiter

Die Premierministerin hat ihre engste Vertraute im Kabinett verloren. Amber Rudd musste auf ihr Schwert fallen, nachdem sie erfolglos versucht hatte, May vor dem Skandal zu schützen, der aus ihrer eigenen Migrationspolitik entstanden war. Die Regierungschefin schaute ungerührt zu, während sich Rudd immer tiefer ins Loch grub. Jetzt ist sie verbannt zu den Hinterbänklern im Parlament, wo sie allerdings frei ist, gegen die Regierung zu stimmen. Sie könnte sich durchaus auf die Seite der Tory-Rebellen schlagen. 

Damit ist jetzt auch die feine Balance im Kabinett gestört. Amber Rudd war eine Pro-Europäerin, während ihr Nachfolger Sajid Javid ein verkappter Brexiteer ist. Gerade in der vorigen Woche bekräftigte er, die Briten müssten "die Zollunion verlassen, weil sie ein wesentlicher Teil der EU ist". So viel zu Mays Versuchen, ihr Kabinett für eine Mogellösung zu erwärmen. Sie will in eine Art von Zollunion mit der EU eintreten, nachdem Großbritannien "die Zollunion" verlassen hat. May hofft noch immer auf einen maßgeschneiderten Deal mit den Europäern, der ihr eine Art semantischen doppelten Rittberger erlaubt. Aber dazu wird auch das Parlament gefragt werden, und ihre Chancen schwinden weiter.

Die Lords sehen so ehrwürdig aus, aber beim Brexit verlieren sie jede vornehme Zurückhaltung Bild: Getty Images/AFP/C. Court

Die Lords gegen die Regierung, schon wieder

Es ist die siebte Niederlage, die das Oberhaus der Regierung innerhalb von zwei Wochen zufügte. Mit großer Mehrheit stimmte es dafür, dem Parlament ein entscheidendes Votum über den Brexit-Vertrag zu verschaffen. Und das gilt auch für einen harten Brexit ohne Deal. Damit kommt das Unterhaus in die schwierige Lage, gegen sich selbst stimmen zu müssen, wenn es bei der Abstimmung über das EU-Austritts-Gesetz der Regierungslinie folgen will.

Die Diskussion zwischen Brexiteers und Pro-Europäern bei den Lords wurde als "lebendig" beschrieben, einfach nur ein anderes Wort für giftig. Ein liberaler Peer verglich Theresa Mays Versuch, dem Parlament eine Stimme beim Brexit zu verweigern, sogar mit Hitlers Machtergreifung in den dreißiger Jahren. "Seien wir gewarnt. Wir dürfen kein Ermächtigungsgesetz in Großbritannien zulassen, das zu einer Katastrophe wie damals in Berlin führt", sagt Lord Roberts von Lududno. Worauf Lord Fairfax von Cameron wütend spuckte, er und andere gehörten zu einer "verschworenen Gemeinschaft von EU-Freunden". Die Unterstützer des Gesetzesvorschlags seien "eine fünfte Kolonne von Michel Barnier und den EU-Unterhändlern". Dafür, dass die Lords meist im Pensionsalter sind, zeigen sie viel Kampfgeist und allerhand historisches Wissen.

Die Brexit-Presse heulte natürlich wieder von "Verrat!", und Brexit-Minister David Davis war "sehr enttäuscht". Sein Kollege, Handelsminister Liam Fox, setzte noch eins drauf: "Die nicht gewählten Lords im Oberhaus versuchen, den demokratischen Willen des Volkes zu blockieren." Den umzusetzen, ist dagegen der ebenfalls nicht gewählte Minister natürlich bestens geeignet.

Es ist Wirtschaft, Dummerchen

Das Wachstum im ersten Quartal dieses Jahres in Großbritannien betrug nur 0,1%. Das ist so wenig, dass es fast unsichtbar ist. Aber das hat natürlich nichts mit der Unsicherheit wegen des Brexit zu tun. Es war "das Biest aus dem Osten", der besonders harte Winter, erklärte Schatzkanzler Philip Hammond. Leider widerspricht ihm sein Statistikamt, die Flaute habe eher wenig mit dem Wetter zu tun. Zur gleichen Zeit ist die Zahl der britischen Haushalte, die ihre Schulden nicht mehr zahlen können, auf den Höchststand gestiegen. Und eine Zinserhöhung wird die Bank of England jetzt aufschieben. Aber das alles hat natürlich nichts mit dem Brexit zu tun.

EU-Unterhändler Michel auf Soli-Reise an der Stadtmauer von Derry-Londonderry Bild: Reuters/C. Kilcoyne

Kein Deal ohne die Iren

Michel Barniers Botschaft in der irischen Zeitung "Independent" ist wirklich herzerwärmend: "Egal wie groß oder klein ein Land, wir gehen zusammen durch dick und dünn." Im Hintergrund hört man die Geigen.

Aber die Liebe erstreckt sich nicht mehr auf die Briten: "Der Brexit schafft in Irland ein spezifisches Problem, also ist es die Verantwortung von Großbritannien, praktikable Lösungen vorzuschlagen", sagt Barnier auf seiner jüngsten Solidaritätsreise an die bislang unsichtbare irische Ostgrenze. Die EU wünsche jetzt endlich schnellen Fortschritt, damit der Gipfel im Juni einen weiteren Schritt in Richtung Austrittsabkommen beschließen könne. Und kein Druck, natürlich: Unter diesen Umständen gebe es "ein echtes Risiko, dass Großbritannien die EU ohne Abkommen verlässt".

Für die harten Brexiteers wäre es die Erfüllung ihres Traums. Für alle anderen aber wohl eher alptraumhaft, für Autohersteller, Pharmaindustrie, Fluggesellschaften und so weiter. Das Problem ist inzwischen hinlänglich durchgekaut. Entweder Nordirland bleibt in der Zollunion und einigen Binnenmarkt-Regeln -  wie es die EU in der sogenannten Rückfallposition festgeschrieben hat - oder es gibt eine harte Grenze. Und wenn es an Land keine harte Grenze geben soll, dann muss sie eben durch die irische See verlaufen und Nordirland einen Sonderstatus bekommen. Das Argument wurde längst nach allen Seiten gedreht und gewendet - es gibt keine logische Lösung, die für Theresa May vertretbar wäre. 

Alles, was die Briten bisher angeboten haben, sind virtuelle elektronische Grenzkontrollen, wie es sie noch nie gab: "Es ist die Harry-Potter-Grenze, reine Magie", witzelte ein Europaabgeordneter bereits über diesen Vorschlag. Die nordirische DUP ist natürlich auf den Barrikaden: "Wir haben versucht, ihm (Barnier) den Standpunkt der Unionisten in Nordirland nahezubringen", klagt Parteichefin Arlene Foster. Eine Lösung hat sie aber auch nicht. Die Pattsituation geht weiter, bis zum nächsten Mal an der irisch-nordirischen Grenze. 

Manche können von der britischen Fahne gar nicht genug bekommen Bild: Getty Images/J. Taylor

Die Brexit-Zitate der Woche

An der Hyde Park Corner steht ein älterer Mann, ganz mit britischen Flaggen eingehüllt. "Ich lebe als Engländer! Ich kämpfe als Engländer! Ich sterbe als Engländer!" Meldet sich eine erkennbar nicht-britische Stimme aus dem Publikum: "Hast du überhaupt keinen Ehrgeiz?"

Der Moggster schlägt wieder zu. Erz-Brexiteer Jacob Rees Mogg schreibt in der "Times" über Großbritannien, das von seinen Banden zur EU befreit eine wirklich besondere Beziehung zum US-Präsidenten aufbauen könne: "Präsident Trump wird nach dem Brexit unser größter Verbündeter." Viel Spaß damit!

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