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Politik

Zeit der Entscheidung - jetzt aber wirklich

Barbara Wesel
3. Juli 2018

Eine Pyjama-Party bei Theresa May, Nachfolger so weit das Auge reicht und harte Worte von früheren europäischen Freunden. Und jetzt trifft die Premierministerin auch noch die Kanzlerin in Berlin.

Aufkleber: I Demand a vote on the final Brexit Deal
Bild: DW/M. Martin

Die Premierministerin hat ihr Kabinett eingeladen und den Ministern gesagt, sie sollten ihre Pyjamas mitbringen. Denn die Gespräche darüber, für welchen Brexit die Regierung sich schließlich entscheiden wird, könnten bis in die Nacht dauern. Es wird sein wie früher in glücklichen Schulzeiten, nur dass der ganze Spaß beschränkt ist auf das Wesen des Europäischen Gerichtshofs, die Zollunion in ihren vielen Variationen, den Binnenmarkt für Güter oder für alles und das ganze übrige Brexit-Drama.

Mays Sherpa Ollie Robbins hat die Teilnehmer gewarnt, sie müssten jetzt ihre Träumereien über reibungslosen Grenzverkehr, einen Binnenmarkt für Güter ohne Bewegungsfreiheit für Bürger oder den ganz speziellen maßgeschneiderten Deal für Großbritannien fahren lassen. Bis zum Brexit-Gipfel im Oktober gibt es noch knapp zwei Monate Verhandlungszeit. Danach vielleicht noch eine Verlängerung bis Anfang Dezember. Und dann ist die Uhr abgelaufen. Seid gewarnt vor einem harten Brexit.

Nachdem das Kabinett monatelang vor allem mit sich selbst verhandelt hat, bleiben jetzt nur zwei Optionen, sagt Robbins: Die eine ist ein Freihandelsabkommen wie der EU-Kanada-Deal, und die andere das Norwegen-Modell. Erstere liefert wirtschaftlich nur Mindestbedingungen und letztere würde Großbritannien zum Empfänger von Regeln machen, ohne eigene Stimme. Worauf Boris Johnson und seine Brexit-Brüder vor Wut der Schlag treffen würde.

Erhöhter Gesprächsbedarf: Am Donnerstag besucht Theresa May Bundeskanzlerin Merkel in Berlin Bild: Reuters/

Wie geht es weiter? Die Premierministerin plant angeblich neue Zugeständnisse an die EU. Aber werden sie als erfolgversprechende Verhandlungsposition ausreichen? May fährt am Donnerstag nach Berlin, um mit Angela Merkel über ihren neuen Brexit-Vorschlag zu reden. Vermutlich hat sie wieder eine Mogelpackung im Gepäck, und so etwas erkennt die Bundeskanzlerin.

Auf dem offiziellen Landsitz der britischen Regierung in Chequers wird es also am Freitag um die Wurst gehen. Das Kabinett muss endlich entscheiden welchen Brexit es will. Sie können es nicht weiter hinausschieben. Sie müssen aufhören im Kreis zu rennen. Aber man sollte nicht zu viel erwarten.

Schwarze Pädagogik von den Freunden

Die Niederländer galten immer als die engsten Verbündeten der Briten, und sie haben beim Brexit ziemlich viel zu verlieren. Dennoch zeigte sich Premier Mark Rutte beim Gipfel in Brüssel in der letzten Woche knallhart. Ihre leidenschaftlichen Appelle beim Abendessen, man müsse doch die Sicherheitspartnerschaft nach dem Brexit fortsetzen, fielen auf taube Ohren. Stattdessen warnte Rutte vor einem harten Brexit und betonte, dass auch bei der Sicherheit "nichts sein würde wie zuvor".

Ein weiterer Brexit-Verlierer wird Irland sein. Dennoch warnte Premier Leo Varadkar vor dem Treffen in Chequers: "Ich habe es ihr gesagt, und sie hat verstanden, dass es keinen Sinn hat, etwas als Verhandlungsbasis vorzuschlagen, dass dafür nicht taugt. Dazu gehört alles, was als Rosinenpicken gelten muss." Wo sind die Freunde, wenn man sie braucht?

Nachfolger so weit das Auge reicht

Sie sprießen wie Pilze aus dem Boden: Nachfolgekandidaten für das Amt des Premierministers treten sich in London regelrecht auf die Füße. Beobachter haben schon 20 Anwärter gezählt, von den abenteuerlichen bis zu den absurden. Michael Gove ist zum Beispiel zurück, der 2016 die Dinge so spektakulär in den Sand gesetzt hatte. Jetzt nervt er als Umweltminister alle mit seinem Verbot von Plastikstrohhalmen. Er ist ein harter Brexiteer und soll einen Plan für eine Zollunion mit der EU eigenhändig zerrissen haben. Sehr eindrucksvoll! Ebenfalls zurück von den 2016ern ist "Mutter" Andrea Leadsome, die im Dunkeln des Unterhauses waltet und dort auch bleiben wird.

Der Brexit und seine schillernden Verfechter: Außenminister Boris Johnson, der konservative Multimillionär Jacob Rees-Mogg und Umweltminister Michael Gove

Dann gibt es den sehr jungen Verteidigungsminister Gavin Williamson, der Präsident Putin nach dem Giftanschlag auf die Skripals empfahl, er solle "die Klappe halten". Seine Offiziere aber würden ihn eher nicht mit einer geladenen Waffe allein lassen. Innenminister Sajid Javid soll sich auch Hoffnungen machen. Seine Haltung zum Brexit ist zwiespältig, aber er würde seine Flagge an den Mast jedes Schiffes nageln, das vorbei kommt.

Und dann gibt es den harten Kern der Brexiteers, Jacob Rees-Mogg trägt seine doppelreihigen Anzüge spazieren als ob er zum Premier geboren wäre. Haben wir noch jemanden vergessen? Boris Johnson natürlich, aber reden wir lieber nicht über den Außenminister.

All diese Leute machen sich Hoffnung, Theresa May zu beerben wegen ihres Umgangs mit dem Brexit. Bisher hatten sie kein Glück, weil sie ja nichts gemacht hat. Sollte sie aber wirklich entscheiden, wären sie alle bereit irgendwie zu zuschlagen.

Herr Doktor, das tut weh

Das staatliche Gesundheitssystem in Großbritannien macht sich Sorgen wegen eines möglichen harten Brexits. Nicht weil man hunderte von Nervenzusammenbrüchen bei britischen Beamten erwartet, sondern weil innerhalb von zwei Wochen importierte Medikamente ausgehen könnten.

Außerdem haben Krankenhäuser einen Brief aus der Führungsetage bekommen, dass sie ihr Personal aus der EU zum Bleiben überreden sollten. Jeder zehnte Arzt und eine unter 14 Krankenschwestern kommen aus der EU. Seit dem letzten Jahr gehen viele zurück und man könnte für sie keinen Ersatz aus anderen Weltregionen finden. Bitte sagt also euren europäischen Kollegen, so bittet die Gesundheitsverwaltung, dass sie nicht sauer sein sollten. Es ging doch beim Brexit nicht um sie… Aber worum ging es eigentlich?

Junge Ärzte streiken, EU-Ärzte gehen: Brexit verschärft Ärztemangel in GroßbritannienBild: picture-alliance/dpa/A. Rain

Die Brexit-Tatsachen der Woche

Ein fleißiger Mensch bei der "Financial Times" startete eine Tiefenrecherche und stellte die entscheidene Frage: Wenn man in Brüssel schreibt, dass die Verhandlungen seit Ostern stillstehen, was heißt das eigentlich? Ganz einfach: Brexit-Minister David Davis hat seitdem nur vier Stunden mit seinem europäischen Gegenüber gesprochen. Vier. Wird der Job eigentlich bezahlt?

Man muss den britischen Beamten bedauern, der ein Dossier mit hoch geheimen Verhandlungsunterlagen zum Brexit im Eurostar zwischen Brüssel und London vergessen hat. Ein Lehrer aus Kent soll die Akten gefunden haben. Aber das ganze ist kein Problem, es waren sowieso lauter weiße Blätter.

Brexit-Zitat der Woche

Theresa May erreichte am Montag im Unterhaus einen neuen Höhepunkt in ihrer Rolle als Maybot:

"Es gab viele Scherze über die Formulierung Brexit bedeutet Brexit. Aber er meint tatsächlich Brexit." Endlich Klarheit.