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Politik

Nach dem Sommer geht der Krieg weiter

Barbara Wesel
4. September 2018

Theresa Mays Rückkehr in die Schützengräben, Tanzen für Großbritannien weltweit, Chequers ist tot wie ein Dodo und November wird der grausamste Monat.

Südafrika Theresa May tanzend
Bild: picture-alliance/empics/S. Rousseau

Kaum hatte die Premierministerin nach den Sommerferien die Tür zur Downing Street geöffnet, gingen die Scharfschützen in Position. Nach Wochen der relativen Feuerpause tobt jetzt wieder der Krieg. Die Brexiteers tun alles, um Theresa Mays Chequers-Plan in Stücke zu schießen, und am liebsten wollen sie die Regierungschefin gleich mit zu Fall bringen. Sie kann jetzt nur in Bodennähe in Deckung gehen. 

Am schmerzhaftesten ist es natürlich, wenn frühere Partner auf einen zielen. Ex-Brexit Minister David Davis, der im Juni wegen des Beschlusses von Chequers zurückgetreten war, genießt jetzt seine Rache kalt. In der BBC-Politiksendung am Sonntagmorgen verkündete er, auf jeden Fall wolle er gegen Theresa May und ihre Kompromisssuche mit der EU stimmen. Und Davis nennt ihren Versuch, nah an den EU-Regeln, dem Binnenmarkt und einer Art Zollunion zu bleiben, "schlimmer als drin bleiben".

Kein Scharfschütze: Bobby vor Downing Street No. 10Bild: DW/B. Riegert

Davis ist nicht alleine auf dem Kriegspfad gegen May. Die FOBs, die Freunde von Boris, sammeln sich einmal mehr, um May vom Thron zu kippen und Johnson in die Downing Street zu bringen. Er soll angeblich Hilfe vom früheren Wahlkampf-Guru der Premierministerin, dem Australier Lynton Crosby bekommen. Allerdings hat Crosby für May fast die letzte Wahl in den Sand gesetzt und ist vielleicht nicht die größte Bedrohung. 

Die Todeszone für die Premierministerin aber beginnt Anfang Oktober beim Parteitag der Konservativen, und dabei geht's dann wirklich um ihr Überleben. Die feindlichen Geschütze werden schon in Position gebracht. Andererseits wurde ihr Sturz schon ein Dutzend Mal vorhergesagt, und bisher kann sie mit Mark Twain immer noch behaupten: "Die Nachrichten von meinen Tod sind stark übertrieben." 

Tanzen für "global Britain"

Die letzte Woche war für Theresa May noch reine Erholung. Ihr Auftrag war, für "global Britain", neues Lieblingsschlagwort der Brexiteers, in Afrika zu werben. Die Blitzreise durch drei Länder in drei Tagen verschaffte ihr immerhin Abstand von ihrer "fiesen" Partei zu Hause. Für eine Politikerin an der vordersten Front des Brexit-Krieges gilt das als Urlaub. Wahrscheinlich fingen die Kameras sie auch deshalb im Zustand der völligen Entspannung ein, als sie hier und dort ein Tänzchen vorführte.

Wiederholungstänzerin: Theresa May in ihrer Rolle als "Dancing Queen"Bild: picture-alliance/empics/S. Rousseau

Zum ersten Mal geschah das Unglück in Südafrika, wo May sich von einer Gruppe Schulkinder animieren ließ. Das Ergebnis war ein steifer Shuffle der ganz besonderen Art. Wenn es etwas Schlimmeres gibt als tanzende Männer mittleren Alters, dann sind es tanzende Premierminister. Das Gelächter auf Twitter war dröhnend, und May bekam frei nach Abba den Ehrentitel "Dancing Queen".

Einige Korrespondenten zeigten Mitleid und nannten ihren Stil "Baby-Roboter-Giraffe". Andere waren gemeiner und schrieben "reiner Maybot". Aber Theresa blieb unerschrocken und wurde zur Wiederholungstänzerin bei ihrem letzten Stop in Kenia. Aber vielleicht war das auch nur eine schlaue Strategie, um davon abzulenken, dass ihre Afrikareise kaum echte Ergebnisse brachte.

Kenias Präsident schimpfte Theresa May vor allem dafür aus, dass seit dreißig Jahren kein britischer Premier sein Land besucht habe. Der einzige sei dieser komische Außenminister gewesen, "… der Typ mit dem Fahrrad", murmelte Uhuru Kenyatta. Boris Johnson muss sich wieder furchtbar daneben benommen haben, dass sein Name so offensiv vergessen wird.

Wie heißt er noch gleich, der "Typ mit dem Fahrrad"?Bild: Getty Images/D. Kitwood

Mays Berater aber hätten ihr im Vorab sagen müssen, dass sich kein Regierungschef beim Tanzen erwischen lassen darf bei Strafe der Lächerlichkeit in den sozialen Medien. Die einzige Ausnahme jemals war Barack Obama. Aber der ist ein Mann von großen Gaben und außerdem ein cooler Typ.

Chequers ist Mist

Das Merkwürdige bei dem gegenwärtigen Krieg der britischen Konservativen gegen den Chequers-Plan ist, dass er sowieso schon toter ist als ein Dodo. Sie schlagen auf ein Pferd ein, das längst am Boden liegt. Michel Barnier hat das in seinem jüngsten Interview mit der deutschen Sonntagszeitung "FAS" noch einmal ganz klar gemacht. In der EU ist ein ganzes "Ökosystem über Jahrzehnte gewachsen. Man kann damit nicht spielen und einzelne Teile heraus picken", sagt der Franzose.

So könnten Dodos ausgesehen haben - vor 1690, als sie vermutlich ausstarbenBild: Imago/StockTrek Images/D. Eskridge

Mays Plan war in Brüssel von vornherein skeptisch aufgenommen worden, aber der Chef-Unterhändler findet noch einmal richtig starke Worte. Die EU würde den Briten kein "Rosinenpicken" erlauben und keinen Teilzugang zum Binnenmarkt. Es wäre leichter, wenn London einfach drin bliebe - oder eben ganz raus geht. Würde man das "widerrechtliche" Angebot aus London akzeptieren, wäre das europäische Projekt am Ende. Und das wollen die 27 EU-Regierungschefs keinesfalls.

Bei einer so kompromisslosen Absage entdeckte Ober-Brexiteer Jacob Rees-Mogg in dem EU-Unterhändler eine verwandte Seele. Der Tory-Abgeordnete wird zitiert mit: "Barnier stimmt mir zu - Chequers ist Mist!" Man kann offenbar von zwei ganz gegensätzlichen Standpunkten zum gleichen Ergebnis kommen.

November wird der grausamste Monat

Michel Barnier hat auch bestätigt, was erkennbar war: Die alte Oktober-Deadline für die Brexit-Verhandlungen ist vom Tisch, und alles wird auf den November verschoben. Die Tories gewinnen also einen Extramonat zum Zanken. Unterdessen dreht die Welt sich weiter. Der Vorsitzende des japanischen Industrieverbands "Keidanren" erklärte im Interview mit der FT, dass seine Unternehmen sich ernsthafte Sorgen machen über die anhaltende Unklarheit beim Brexit, und spricht von Konsequenzen.

Ein Extramonat zum Zanken: London im NovemberBild: Getty Images/L. Neal

Und sein Kollege Joachim Lang vom Bundesverband der Deutschen Industrie warnt: "Wir haben eine kritische Phase erreicht, die verbleibende Zeit ist furchtbar kurz." Wenn es bis Mitte November keinen Vertrag gibt, würden deutsche Unternehmen ihre Notfallpläne für einen harten Brexit in Gang setzen. Die Lieferketten würden unterbrochen und die britische Industrie einen Schock erleiden.

Außerdem verpasste Lang dem Chequers-Plan einen letzten Fußtritt. Ein Binnenmarkt nur für Güter ist eine absurde Idee. In einer modernen Wirtschaft könne man Güter nicht mehr vom Fluss der Dienstleistungen und des Geldes trennen. "Man kann nicht eine der Freiheiten rauspicken und die anderen drei beiseite lassen." Das ist jetzt hoffentlich klar genug. Möchte nicht doch jemand einen Freihandelsvertrag nach kanadischem Muster?

Das Brexit-Zitat der Woche

Der zuständige Abgeordnete für den Brexit im Europaparlament sieht Nigel Farage von jeher als Erzfeind. Der liberale Guy Verhofstadt kämpft seit Jahren mit dem Propheten des Brexit und erklärten Europafeind. Wie spaßig, wenn der eitle Ex-Ukip-Chef mal die Verachtung des Publikums spüren muss. Bei der jüngsten Auktion der Royal Academy in London nämlich gab es für ein Farage-Portrait in Öl nicht ein einziges Gebot. Der Schinken blieb hängen, denn niemand wollte 25.000 Pfund ausgeben, um ihn im Wohnzimmer aufzuhängen. Das Gemälde wartet jetzt auf einen Platz bei den Klos in einem gehobenen Tory-Pub.

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