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Politik

Meinung: Reisende kann man nicht aufhalten

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
16. Oktober 2020

Erst stellte Boris Johnson der EU ein Ultimatum, dann drohte er mit dem Abbruch der Handelsgespräche. Europa sollte beim Brexit nicht die Nerven verlieren und sich auf Johnsons Niveau begeben, meint Barbara Wesel.

Bild: David Cliff/NurPhoto/picture-alliance

Man muss Boris Johnson einfach abtropfen lassen. Wie man mit seinem Getöse, seinen Ultimaten und Drohungen umgeht, zeigte am elegantesten der französische Präsident: Es sei nicht die Aufgabe der EU-27, Boris Johnson glücklich zu machen, sagte Emmanuel Macron.

Der britische Premierminister beklagt sich darüber, dass die EU bei den Verhandlungen über ein Post-Brexit-Abkommen nicht genug Kompromissbereitschaft zeige und den Briten nicht das gebe, was sie gerne wollen. Deshalb müsse sich das Land jetzt vielleicht auf einen No-Deal, ein hartes Ende der Übergangszeit zum Ende des Jahres, einstellen.

Nächster Akt, gleiches Drama

Angela Merkel quittierte den jüngsten Akt des Polittheaters in London mit der ihr eigenen lapidaren Kühle: Von EU-Seite aus könnten die Verhandlungen vorangehen. So sieht es auch das Mandat vor, mit dem Unterhändler Michel Barnier am Ende des Gipfeltreffens zurück an die Arbeit geschickt wurde. Schon am kommenden Montag wird sich zeigen, ob er dann in London weiter Gesprächspartner vorfindet oder ob die britische Regierung wirklich den Stecker ziehen will.

DW-Brüssel-Korrespondentin Barbara Wesel

Das ist möglich, aber nicht unbedingt wahrscheinlich. Denn der Auftritt Johnsons riecht nach Schauspiel, nach Kraftmeierei mit dem Ziel, das heimische Publikum zu gewinnen. Da kann er nur noch die beeindrucken, die sowieso entschlossen sind, die eigene Propaganda zu glauben. Aber das gehört leider zum Kern des Populismus. Und es ist eine Show für jene Briten, die völlig ironiefrei und mit sehr kurzem Gedächtnis gesegnet sind.

Noch im vorigen Jahr nämlich hatte Johnson im Wahlkampf immer wieder geprahlt, das Handelsabkommen mit der EU sei "ofenfertig", wie ein Gericht für die Mikrowelle. Und die Chance, dass man keinen Vertrag mit den Europäern bekäme, stünde weniger als eine Million zu eins. In ernsthafterem Ton erklärte Boris Johnson damals bei einem Besuch in Dublin, ein No-Deal mit der EU wäre ein Versagen von Staatskunst. Nicht einmal seine Anhänger allerdings dürften ihn noch für einen Staatsmann halten. 

Ein Bild des Jammers

Der Blick über den Ärmelkanal macht derzeit eher traurig: Das Land wird von einem Politiker regiert, der seine eigenen platten Sprüche zur politischen Richtschnur macht. Großbritannien könne "mächtig prosperieren", auch bei einem No-Deal, behauptet Boris Johnson jetzt.

Das ist der gleiche Premier, der in der Corona-Epidemie durch Unentschiedenheit und Kehrtwenden die höchste Todeszahl in Europa verursachte. Er ist der Regierungschef, der im Sommer weder die Krankenhäuser nachrüstete, noch die Corona-Tests oder die Kontaktverfolgung der Infektionen in den Griff bekam. Und der mit alledem die britische Wirtschaft in eine historische Rezession stürzte.

Nun ist Johnson nicht der einzige Politiker in Europa, der eine "schlechte Krise" erlebt. Aber er ist der einzige, der seinen Bürgern neben der Corona-bedingten Wirtschaftskrise eine weitere, noch schlimmere durch einen harten Brexit aufbürden will.

Britische Wirtschaftsführer flehen den Premier quasi täglich an, von diesem Akt des Wahnsinns abzusehen. Aber Johnson hat sich offenbar ganz der Chaostheorie verschrieben und nimmt die Zerstörung seines Landes in Kauf, um sich als starker Mann, knallharter Brexiteer oder Häuptling der Populisten zu verkaufen.

Peinlich provokativ

Vielleicht ist das Theater in London nur Teil eines Verhandlungsdramas, wo es im dritten Akt schießen und knallen muss, damit auf den letzten Metern die nötigen und vernünftigen Kompromisse geschlossen werden. Aber der britische Premier scheint unberechenbar, vielleicht geht auch alles schief. Und Bemerkungen von Johnson, die Europäer hätten tatsächlich nie ernsthaft verhandelt, sind nur peinlich provokativ.

Die EU tut gut daran, sich nicht auf dieses Niveau zu begeben. Sie kann den Briten beim Handel nicht den gleichen Marktzugang gewähren, wie er für Mitgliedsländer gilt. Natürlich wird das künftig schlechter und weniger. Und rechtliche Einschränkungen sind damit auch verbunden, wie bei allen Handelsverträgen. 

Jetzt bleiben zwei Möglichkeiten: Boris Johnson macht einmal mehr eine Kehrtwende und unterschreibt in zwei Wochen einen Vertrag. Oder er fährt die harte Linie und nimmt die Folgen in Kauf, von steigenden Lebensmittelpreisen bis zu endlosen Staus von Lastwagen vor den Fähren in Dover. Dann gilt, dass man Reisende nicht aufhalten kann und die Europäer nicht imstande sind, die britische Regierung glücklich zu machen. Jedenfalls nicht um jeden Preis.

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