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Politik

Brexit-Verhandlungen in der Nachspielzeit

Barbara Wesel
5. Dezember 2020

Nach einem Telefonat mit dem britischen Premier kündigte die EU-Kommissionschefin an, die Verhandlungen würden am Sonntag fortgesetzt. Seit Monaten blockieren die gleichen Probleme den Deal - von Fisch bis Staatshilfen.

Großbritanien | Boris Johnson
Bild: picture-alliance/dpa/AP Images/F. Augstein

Am späten Samstagnachmittag telefonierten beide Seiten miteinander - der britische Premier Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Aber das Ergebnis war eher undramatisch: Schließlich hatte sich die EU entschlossen, sie würde nicht als erste das Handtuch werfen. Und solange der britische Premier es nicht seinerseits tut, sind die Unterhändler gezwungen, weiter nach dem Durchbruch suchen. Am Sonntag setzen also Michel Barnier und David Frost turnusgemäß in Brüssel die Verhandlungen fort.

War es die Pizza?

Aus London war in den letzten Tagen berichtet worden, dass die Unterhändler in einem lichtlosen Kellerraum in Westminster hockten und sich tagelang von Pizza und Sandwiches ernähren mussten. Ob besseres Essen geholfen hätte? Am Ende der Woche jedenfalls blieb der erhoffte Durchbruch aus und alle machten einen erschöpften Eindruck, als sie ans Licht emporstiegen.

Lag den Unterhändlern am Ende zu viel Pizza im Magen? Bild: picture-alliance/imagebroker/J. Tack

Ursula von der Leyen schließlich stellte am Samstag fest, nachdem sie mit Boris Johnson gesprochen hatte, man habe zwar gewisse Fortschritte in den Gesprächen gemacht, aber die drei Kernpunkte seien weiter ungelöst. Um sie dreht sich der Streit schon seit Monaten: Fischerei, fairer Wettbewerb und die Kontrolle der Vereinbarung. "Ohne diese Punkte kann es kein Abkommen geben", betonte die Kommissionschefin. Aber das war seit jeher klar. 

EU-Unterhändler Barnier schrieb auf Twitter lapidar: "Wir werden sehen, ob es einen Weg vorwärts gibt. Die Arbeit geht morgen (am Sonntag) weiter." Der französische Diplomat ist seit dem Beginn der Austrittsverhandlungen zuständig für die Gespräche mit Großbritannien. Und manche Beobachter unterstellen ihm inzwischen, er habe zuletzt zu viele Zugeständnisse an die britische Seite gemacht, weil er sein politisches Erbe sichern wolle.

Müde und ohne Ergebnis kamen Michel Barnier und sein Team aus der Klausur in London Bild: Toby Melville/REUTERS

Andere Beobachter glauben, dass beide - Barnier und Frost - bis ans äußerste Ende ihres Verhandlungsauftrages gegangen seien. Dabei spielt eine Rolle, dass Frost nur dem britischen Premier berichten muss, Barnier aber sein Mandat von den europäischen Hauptstädten hat. Sie entscheiden am Ende über mögliche Kompromisse. Und da kam aus Paris am Freitag ein Zwischenruf, der auf Ärger deutete: Der französische Europaminister Clément Beaune, ein Vertrauter von Präsident Emmanuel Macron, wies im Interview auf das Veto seines Landes hin: "Wenn es einen Deal gibt und er ist nicht gut, werden wir ihn ablehnen."

Die französische Regierung macht sich Sorgen um den fairen Wettbewerb und fürchtet, britische Firmen könnten bei einem zu großzügigen Abkommen Wettbewerbsvorteile gegenüber europäischen Unternehmen haben. Aber Stirnrunzeln gibt es nicht nur in Paris - auch in den Niederlanden, Belgien, Dänemark und Spanien macht man sich Sorgen wegen zu weitreichender Zugeständnisse an die Briten. 

Und immer wieder der Fisch

Aus Diplomatenkreisen heißt es, die Gespräche seien außerdem beim Fisch völlig festgefahren. Wirtschaftlich unbedeutend aber politisch aufgeladen ist die Fischerei längst zum Symbol für Sieg oder Niederlage bei den Verhandlungen geworden. Die EU hatte zuletzt angeboten, 18 Prozent der Fischgründe an die Briten zurückzugeben und eine zehnjährige Übergangszeit verlangt. London wiederum bietet drei Jahre an und will danach weitgehende Kontrolle über die eigenen Gewässer. Damit hatte Boris Johnson schließlich die Kampagne zum Brexit-Referendum bestritten. Für Franzosen und Niederländer aber würde das mehr oder minder ein Ende ihrer Fangflotten bedeuten.

Für kleine französische Fischer wie hier in Boulogne wäre ein schlechtes Abkommen das Ende Bild: Georg Matthes/DW

Der Streit ist im Grunde absurd: Die EU-Küstenstaaten holen 80 Prozent ihres Fischs aus britischen Gewässern. Britische Fischer aber verkaufen gleichviel von ihrem Fang in die EU. Da müsste eigentlich ein Deal möglich sein, der die Regierungen das Gesicht wahren lässt und den Küstengemeinden nicht die Existenz zerstört. Aber die Gespräche scheinen bei Ebbe im Morast zu stecken.

Kontrolle ist gut...

Was die Gespräche darüber hinaus behindert, ist ein Mangel an Vertrauen auf EU-Seite. Schon am Montag soll das Unterhaus erneut über das sogenannte Binnenmarktgesetz abstimmen, mit dem Boris Johnson die EU erpressen wollte. Es würde die Vereinbarungen zu Nordirland durchkreuzen und einen Bruch des Austrittsabkommens bedeuten. Geht das Gesetz durch, sind die Verhandlungen mit Brüssel eigentlich am Ende.

Dieser freundliche Auftritt liegt fast ein Jahr zurück - seitdem ging das Vertrauen verloren Bild: Peter Summers/Getty Images

Auch aus diesem Grund waren in den letzten Wochen die Gespräche mit Bezug auf die Aufsicht über das Handelsabkommen besonders zäh. Vor allem Frankreich will harte Klauseln, mit denen die EU die britische Seite unmittelbar mit Zöllen bestrafen könnte, wenn sie künftig gegen den Deal verstoßen sollte. London lehnt das ab und verweist auf den Gerichtsweg oder Mediation. 

Ebenfalls strittig sind weiter die Staatshilfen. Zwar hatte die EU hier weit nachgegeben und einer eher lockeren Verpflichtung zur Begrenzung von Subventionen durch London zugestimmt, sie will aber ihrerseits Hilfen der EU-Kommission, zum Beispiel aus dem neuen Corona-Fonds, davon ausnehmen. Dazu wiederum sagt London Nein. 

Wie weiter?

Rund sechshundert Seiten Gesetzestext sind fertig, aber die ausstehenden Kernpunkte verhindern weiterhin einen Deal. Nach wie vor weiß niemand, ob Boris Johnson zu weiteren Zugeständnissen bereit ist und ob er überhaupt ein Handelsabkommen mit der EU will. In London geistert wieder das Gespenst des No-Deal und Beobachter sind gespalten, was den wahren Willen des Premierministers angeht.

Ähnliches gilt für die EU: Bundeskanzlerin Angela Merkel will einen Deal und ist eher bereit, den Briten entgegenzukommen. In anderen Hauptstädten hört man inzwischen den Satz "Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal", den Theresa May in ihrer Amtszeit als Premierministerin geprägt hatte. In London macht man sich Sorgen um den Binnenmarkt und den Schutz der eigenen Industrie. Am Donnerstag und Freitag ist Gipfeltreffen in Brüssel - dann müsste das Abkommen endlich auf dem Tisch liegen. Die Übergangszeit endet in gut drei Wochen - noch gibt es eine Chance.

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