1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Äthiopien will beitreten: Wird BRICS zu BRICSE?

9. Juli 2023

Äthiopien möchte in die Vereinigung der BRICS-Staaten aufstrebender Volkswirtschaften aufgenommen werden. Doch welche Chancen hat das ostafrikanische Land kurz nach Ende des zweijährigen Bürgerkriegs?

Abiy Ahmed Ali | äthiopischer Premierminister
Äthiopiens Premier AhmedBild: Massimo Percossi/Ansa/ZUMA Press/IMAGO

Die Abkürzung BRICS steht für die fünf bisherigen Mitglieder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Auf die BRICS-Länder entfallen mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung und etwa 26 Prozent der Weltwirtschaft. Äthiopien würde die Abkürzung gerne in BRICSE verwandelt sehen ("E" für Ethiopia), wie das Außenministerium am 29. Juni offiziell mitteilte. Wie sinnvoll und aussichtsreich das Aufnahmegesuch ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Aus Sicht Äthiopiens sei der Schritt "strategisch sehr wichtig und gut", sagt Alexander Demissie, Direktor der unabhängigen Beratungsfirma "The China-Africa Advisory" mit Sitz in Köln. "Er erweitert Äthiopiens Möglichkeiten, seine eigenen Interessen voranzutreiben und Teil der laufenden Umgestaltung der internationalen wirtschaftlichen und geopolitischen Ordnung zu werden."

"Umgestaltung der wirtschaftlichen und geopolitischen Ordnung"

Das Bretton-Woods-System - also das nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte internationale Finanzsystem mit dem Dollar als Leitwährung und der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) als Kontrollinstanzen - werde "durch Organisationen wie die BRICS verändert", so Demissie. Sie hätten "eine Struktur entwickelt, die Schwellenländern wie Äthiopien ein alternatives Szenario bieten kann".

Der Kölner Experte nennt unter anderem die New Development Bank (NDB), die 2014 von den BRICS-Staaten als Alternative zu Weltbank und IWF gegründet wurde. Sie könne zusätzliches Kapital für die Entwicklung der Infrastruktur in Äthiopien bereitstellen.

Yared Haile-Meskel, Direktor des Finanzberatungsunternehmens YHM Consulting in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba, ist weniger optimistisch. Die großen Hoffnungen, die mit der Mitgliedschaft verbunden werden, sind seiner Meinung nach übertrieben: "Ich würde jetzt kein Wunder erwarten, dass wir dadurch geschützt werden oder zu Wohlstand kommen. Ich denke nicht, dass die BRICS auch nur eines unserer Probleme lösen werden."

Der Finanzexperte kritisiert die Abhängigkeit Äthiopiens - und Afrikas insgesamt - sowohl vom Westen als auch von den BRICS-Staaten. Letztere seien ein "exklusiver Club, der seinen eigenen globalen Einfluss geltend machen möchte".

Äthiopien sollte sich auf seine eigenen Stärken besinnen, findet Haile-Meskel: "Wir müssen in der Lage sein, unsere eigene nationale Macht zu verkaufen. Außerdem müssen wir uns nach anderen Ländern in Afrika umsehen. Die Realität ist wirklich bedauerlich. Afrika liefert den Großteil der Edelmetalle. Und doch haben wir keine eigene goldgedeckte Währung." Afrika brauche ein neues Denken, so der YHM-Chef. "Wenn wir jemandem nacheifern, zahlen wir manchmal den höchsten Preis."

Außenministertreffen der "Friends of BRICS" (Anfang Juni in Kapstadt)Bild: Russian Foreign Ministry Press Service/TASS/picture alliance

Mit mehr als 120 Millionen Menschen hat Äthiopien die zweitgrößte Bevölkerung sowie eine der größten und am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften des Kontinents. Insgesamt rangiert die Wirtschaftsleistung allerdings lediglich auf Platz 59 der Weltrangliste und ist weniger als halb so groß wie die des kleinsten BRICS-Mitglieds Südafrika. Seinen Handel unter anderem mit China und Indien konnte Äthiopien zwar ausbauen, doch seine Bevölkerung - und die Wirtschaft - wurden in den vergangenen Jahren von Bürgerkrieg und Dürre heimgesucht.

Die Folgen von Krieg und Hunger

Seit November 2022 schweigen im ehemaligen Kriegsgebiet in den nördlichen Regionen Tigray, Amhara und Afar die Waffen. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 600.000 Menschen getötet und mindestens zwei Millionen zur Flucht gezwungen wurden. Doch die Lage hat sich noch immer nicht vollständig beruhigt. Zudem folgten weitere innenpolitische Konflikte: Regierungstruppen lieferten sich im Landesinneren Kämpfe mit Milizen der Oromo und Amhara.

Verteilung von Hilfsgütern in der Region Tigray (im April)Bild: Million Haileselassie/DW

Neben den Folgen dieser bewaffneten Auseinandersetzungen leiden Millionen Menschen wegen der jahrelangen Dürre Hunger. Fehlende Getreidelieferungen aus der Ukraine und Russland verschlimmern die Situation - genauso wie die Unterschlagung von Lebensmittelhilfen des UN-Welternährungsprogramms.

Der Bürgerkrieg war teuer, zeitgleich ist die Inflationsrate extrem angestiegen. "Anstatt die Mitgliedschaft im BRICS-Block anzustreben, sollte sich Premierminister Abiy Ahmed lieber darauf konzentrieren, die Inflationsrate zu senken", twitterte Wirtschaftswissenschaftler Steve Hanke von der Johns Hopkins University.

Neben Äthiopien gelten unter anderem auch der Iran, Ägypten, Saudi-Arabien und Indonesien als Beitrittsaspiranten. Über 20 Länder haben inzwischen den Wunsch auf die Aufnahme in die BRICS-Gruppe geäußert, rechnet Gustavo de Carvalho vom South African Institute of International Affairs (SAIIA) in Johannesburg vor. "Viele von ihnen weisen ähnliche Merkmale auf: Wie Äthiopien haben sie eine wichtige regionale Bedeutung, eine schnell wachsende Wirtschaft und eine sehr große Bevölkerung."

Zudem eine sie das Interesse an der Verwendung von Alternativwährungen, vor allem im bilateralen Handel. Die Beitrittsskandidaten wollten unabhängiger vom US-Dollar werden.

Dass Äthiopien zeitnah BRICS-Mitglied wird, glaubt de Carvalho eher nicht. "Wenn ich eine Wahrscheinlichkeitsskala aufstellen müsste, würde ich sagen, dass Äthiopien in der Mitte liegt", so der Johannesburger Experte. Auch Alexander Demissie von "The China-Africa Advisory" geht davon aus, dass der Prozess Zeit in Anspruch nehmen wird. Doch gebe es "viele positive Anzeichen für die Zukunft", auch wegen der günstigen Lage Äthiopiens.

Es gibt viel zu besprechen - und der nächste BRICS-Gipfel steht vor der Tür. Er soll im August in Südafrika stattfinden. "Wahrscheinlich werden, wenn überhaupt, nur ein oder zwei neue Länder den BRICS beitreten", so die Einschätzung von Gustavo de Carvalho. Was er sich vom Gipfel erhofft, ist mehr Klarheit im Hinblick auf die Identität der Staatengruppe: "Eine große Frage - die meines Erachtens noch nicht geklärt ist - ist die Definition von Kriterien: Was müssen Länder mitbringen, wenn sie den BRICS beitreten? Das ist für viele von uns noch ungewiss."

Wie gesagt: Es gibt viel zu besprechen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen