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Der Billionen-Euro-Ballon

Nicolas Martin
24. Juni 2020

Wegen der Corona-Krise schnüren Staaten weltweit gigantische Hilfs- und Konjunkturpakete auf Pump. Bringt die Pandemie den Schulden-Ballon zum Platzen? Die Meinungen gehen auseinander.

Heißluftballon
Bild: Colourbox

Bei der Ratingagentur Standard & Poor's ist Christian Esters im ständigen Kontakt mit Ministerien. Er studiert die neuesten wirtschaftlichen Reports und Nachrichten - denn sein Team analysiert nach strengen Kriterien, wie kreditwürdig einzelne Länder sind.

Die Zeit des Rampenlichts liegt etwas zurück: Griechenland, Italien, Spanien - während der Eurokrise trieben die Bonitätsprüfer die Sorgenkinder Europas vor sich her, entschieden mit ihren Bewertungen, ob und zu welchen Konditionen einzelne Länder sich Geld leihen konnten.

Auch aktuell beobachtet Esters die Entwicklungen ganz genau: Denn rund um den Globus wird geklotzt und nicht gekleckert. Die Staaten stemmen sich gegen die Folgen des Coronaviruss und das kostet. Mindestens 15 Billionen Dollar - das sind 15.000 Milliarden - haben Regierungen und Notenbanken schon für die Bekämpfung der Corona-Pandemie und deren Folgen locker gemacht. Das lässt den Welt-Schuldenberg immer schneller wachsen: Eingerechnet der Schulden von Unternehmen und Banken kommt der Banken-Lobbyverband IIF (Institute of International Finance) auf unvorstellbare 250 Billionen Dollar. Ein Alptraum?

Frisches Geld fast zum Nulltarif

Esters von S&P gibt sich eher gelassen. Das liegt vor allem daran, dass die Zinsen so niedrig sind. Im Analystensprech nennt sich das dann "unterstützendes Umfeld". Gemeint ist: Die Schuldenlast drückt nicht so stark auf den Haushalt, weil Schuldenmachen derzeit kaum etwas kostet. "Das kann man schon in den letzten Jahren beobachten. Obwohl die Schulden angestiegen sind, ist die Zinsbelastung in den Haushalten zurückgegangen", sagt der Direktor für Länderbewertungen bei S&P. Im Klartext: Für Esters ist die aktuelle globale Schuldenorgie kein Grund für Alarmismus.

Der Ökonom Niklas Potrafke, der beim ifo-Insitut die Abteilung öffentliche Finanzen und politische Ökonomie leitet, ist hingegen beunruhigt. "Ich halte von dem vielen Schuldenmachen erstmal nichts", sagt Potrafke im DW-Gespräch. Die Staatsschulden könne man sich wie ein Luftballon vorstellen. "Und wenn sie den immer weiter aufblasen, dann platzt er eben irgendwann."

Angesichts der historischen Herausforderungen durch Corona seien die Rettungs- und Konjunkturpakete zwar gerechtfertigt, der Druck aus dem Ballon müsse aber so schnell wie möglich wieder raus. Die Neuverschuldung reduzieren heißt Potrafkes Devise, denn nur auf die günstigen Zinsen zu setzen, das sei "eine riskante Wette auf die Zukunft."

Niklas Potrafke vom ifo-Insitut leitet die Abteilung öffentliche Finanzen und politische ÖkonomieBild: ifo-Institut

"Entwickelte Märkte sind widerstandsfähiger"

Für den Leiter der Abteilung Makroökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Alexander Kriwoluzky, ist hingegen im Luftballon noch Platz. "Da müssen sich die Bürger keine Sorgen machen." Kriwoluzky verweist darauf, dass die deutsche Schuldenquote nach der Finanzkrise bei 80 Prozent lag und daraufhin fast auf die im Maastrichter Vertrag festgelegten 60 Prozent reduziert wurde.  

Doch das Festhalten an der Schwarzen Null (also das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts in Deutschland) ging in den letzten zehn Jahren nicht nur geräuschlos vonstatten: In staatlichen Behörden wurde gespart, Staatseigentum wie Wohnungen an Privatinvestoren verkauft, Investitionen verschoben. Das müsse sich nicht unbedingt wiederholen, meint Kriwoluzky: "Die Schulden, die wir jetzt aufbauen, müssen wir nicht in dieser Rosskur abbauen, wie sie in den letzten Jahren abgebaut wurden."

Alexander Kriwoluzky, Leiter Abteilung Makroökonomie am DIWBild: DIW Berlin

Was sich in Deutschland abspielt, das findet international in noch ganz anderen Maßstäben statt. In den USA, China aber auch in einigen Ländern der Eurozone steigen die Schulden seit längerem an (siehe Grafik) und bekommen durch Corona nun nochmals eine neue Dimension. Der IIF prognostiziert für das laufende Jahr, dass weltweit die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung auf sage und schreibe 342 Prozent ansteigen werden. "Es gibt eine starke Tendenz, dass Schulden in den letzten zehn Jahren stark zugenommen haben", so Kriwoluzky. Das zeige sich auch im langfristigen Trend über 100 Jahre. Dennoch sehe er aber weder in den USA noch in China, "dass die ihre Schulden nicht begleichen können."

Auch der Bonitätsprüfer Esters sieht für die Industrieländer derzeit eine geringe Gefahr durch den Corona-Schock. "Die entwickelten Märkte sehen wir als widerstandsfähiger an. Bei den Emerging Markets erwarten wir einen größeren Einfluss der Corona-Krise auf die Bonität", so Esters.

Zweiter Weltkrieg - Schuldenquote von 400 Prozent

Die Corona-Pandemie wird häufig als größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg beschrieben. Doch die aktuelle Situation und die Verschuldung von 1945 seien kaum zu vergleichen, sagt der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl, der an London School of Economics unterrichtet. Zwar habe die Coronakrise Ähnlichkeiten mit Kriegsökonomien,  beim Thema Schulden gebe es aber große Unterschiede. "Kurz nach Ende des Krieges lag die Schuldenquote Deutschlands bei mindestens 400 Prozent", so Ritschl. Die Zahlen schwanken – manche Historiker beziffern sie auf fast 700 Prozent. "Es gab damals eine versteckte Staatsverschuldung und wir wissen nicht genau, wie hoch das Bruttoinlandsprodukt gewesen ist", erklärt Ritschl die unterschiedlichen Werte.

Auch Großbritannien, Frankreich und Italien hatten Schuldenberge angehäuft. Die lagen laut Ritschl – beim zwei- bis dreifachen des Bruttoinlandsprodukts. "Anders als in Deutschland hat man dort versucht, diese Schulden wegzuinflationieren", sagt der Wirtschaftshistoriker. "In Deutschland dagegen ist man nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg des Schuldenschnitts gegangen." So wurden bei der Währungsreform 1948 die Inlandsschulden des Staates und 1953 die Auslandsschulden der Bundesrepublik grossenteils gestrichen. "Das hat die Politik der Bundesbank in vielerlei Hinsicht erleichtert."

Immer dieses Wachstum

An den Schulden-Optionen hat sich seit 1945 nichts geändert: So können Staaten entweder über eine Zunahme der Geldmenge - also der Inflation - ihre Schulden verringern oder durch einen Sparkurs ihre Haushaltsbilanz verbessern. Sind die Optionen ausgeschöpft, bleibt am Ende die Zahlungsunfähigkeit. So ergangen ist es in diesem Jahr schon Argentinien und Libanon - dem folgen meist lange und zähe Verhandlungen mit den Gläubigern. Ein Schuldenschnitt ist dabei meiste die letzte und für Investoren eher unbeliebtere Option.

Während die USA und China auch über die Inflation die Schulden etwas verringern könnten, falle diese Option für Deutschland und Italien weg, so Makroökonom Kriwoluzky vom DIW. "Hier haben sie keine staatliche Zentralbank, die das regeln könnte." Wie schwer es ist, die Inflation im Euroraum zu steuern, zeigt der Kampf der Europäischen Zentralbank: Schon seit Jahren versucht die EZB erfolglos, eine Inflation von zwei Prozent zu erreichen.

In einem sind sich die Ökonomen weitestgehend einig: dem Thema Wachstum. Denn wenn die Wirtschaft wächst, steigt das Bruttoinlandsprodukt  - in Kombination mit niedrigen Zinsen schrumpft so die Schuldenquote.

Niklas Potrafke vom ifo-Insitut mahnt dennoch, nicht nur auf Wachstum zu setzen, sondern zusätzlich auch zur Sparpolitik zurückzukehren. Dafür benötige es klare Sparregeln in der Verfassung. "Unsere Studien zeigen: Länder, die fiskalische Regeln in der Verfassung haben, die wachsen schneller." Doch durch Corona geht Deutschland gerade andere Wege. So wurde erst kürzlich die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse ausgesetzt, um die Hilfs- und Konjunkturpakete zu ermöglichen. "Eine zügige Rückkehr zu Schuldenbremse ist wichtig", mahnt Potrafke.

Wer zahlt die Zeche?

Doch wer kommt für die Schulden von heute auf? Viele Menschen der jüngeren Generation befürchten, dass diese Aufgabe an ihnen hängen bleibt. "Natürlich wäre es besser, für die jüngeren Generation, wenn die Schulden nicht aufgebaut werden müssen, aber wir haben nun mal die Corona-Pandemie", so Alexander Kriwoluzky vom DIW. Die schuldenfinanzierten Konjunkturprogramme würden der jüngeren Generation aber sogar helfen." Je länger die Rezession ist, desto mehr Jobs gehen auch für die kommenden Generationen verloren."

Auch Kriwoluzky vom DIW plädiert langfristig auch fürs Sparen. Er ist aber dagegen, klare Spar-Deadlines zu setzen. Denn bei einer weiteren Welle des Coronavirus müsste der Staat wohl nochmals Geld in die Hand nehmen, damit die Wirtschaft nicht zum Erliegen kommt. Der Luftballon könnte also weiter mit Luft gefüllt werden - ob er deshalb platzt, bleibt offen.