Der Brexit-Vorkämpfer Boris Johnson traf in Berlin seinen weiterhin skeptischen deutschen Amtskollegen, Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Einig sind sich beide immerhin darin: Es soll schnell gehen.
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Das Urteil des Londoner High Court vom Donnerstag, wonach der Brexit nicht ohne Beteiligung des britischen Parlaments passieren darf, sei nur - ein - Schritt in einem rechtlichen Prozess. Das sagte der britischen Außenminister Boris Johnson auf einer Pressekonferenz bei seinem Antrittsbesuch im Auswärtigen Amt in Berlin. In die Gerichtsentscheidung solle nicht zu viel hineingelesen werden, betonte Johnson. Die Regierung werde nun als nächstes in Berufung gehen.
Diese Botschaft wurde parallel auch von Premierministerin Theresa May verbreitet, die am Freitag mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert habe, hieß es aus London. Der Supreme Court, also das oberste Gericht, werde Anfang Dezember mit Anhörungen beginnen.
Johnson: Brexit bietet Chancen
Das Volk habe entschieden, und "wir machen das auch", sagte Johnson mit einem bestimmten Lächeln zu den Journalisten und zu Frank-Walter Steinmeier, der am Nachbarpult mit rotem Gesicht stand und zwischendurch mit den Fingern trommelte. Für den deutschen Außenminister, sonst immer die Ruhe in Person, ist das ungewöhnlich. Was aber auch an den vielen außenpolitischen Konflikten gelegen haben könnte, die gerade gleichzeitig Thema sind. Beide hätten auch über Syrien, die Ukraine und die Türkei gesprochen, so Steinmeier.
Er wisse, dass es in Deutschland wenig Freunde des Brexit gebe, sagte Johnson, und versuchte dagegen anzureden. Johnson sprach von großen Chancen, speziell auch für die deutsch-britischen Beziehungen. Als Beispiel nannte er die Zahl der Deutsch-Lernenden und der Germanistik-Studenten, die steigen könnten. "Wir bleiben Partner für immer", so Johnson, während er seine bekannte hellblonde Mähne verwuschelte. Großbritannien werde schließlich nicht Europa verlassen. Ziel der Brexit-Verhandlungen müsse eine "Win-Win-Situation" sein.
Steinmeier: Keine Hängepartie oder Rosinenpickerei beim Brexit
Der deutsche Außenminister wiederholte die deutsche Position zum Brexit. Er habe sich - erstens - gewünscht, dass die bilateralen Beziehungen innerhalb der EU hätten fortgesetzt werden können. Vom Ergebnis des Brexit sei er nicht "übermäßig begeistert" gewesen. Aber er respektiere die Entscheidung. Zweitens: Es dürfe keine "Hängepartie" geben. Wichtig sei, nun schnell die Voraussetzungen für die Verhandlungen zu schaffen. Sprich: Die Britten müssten als nächstes den Austrittsantrag stellen. Raum für Vorhandlungen bestünden nicht, betonte Steinmeier. Zur deutschen Position gehört - drittens - auch, vor Rosinenpickerei zu warnen. Es könne nicht auf der einen Seite die Rede von erleichtertem Zugang der Briten zum Binnenmarkt sein, während Großbritannien die weniger attraktiven Teile des EU-Regelwerks schlicht und einfach ablehne, sagte Steinmeier.
Noch etwas erfuhr die Presse beim Antrittsbesuch in Berlin: Er sei zwar kein Berliner, aber seine Ehefrau wurde in Berlin geboren, sagte Johnson auf Deutsch (!), bezugnehmend auf das berühmte "Ich bin ein Berliner"-Zitat von John F. Kennedy.
Boris Johnsons gröbste Entgleisungen
Der neuernannte britische Außenminister Boris Johnson gilt nicht gerade als Vertreter der feinen englischen Art. Er verkörpert wohl eher das Gegenteil eines Diplomaten. Wir stellen seine größten verbalen Ausrutscher vor.
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Privat ein Europafreund?
Europaskeptiker Johnson war keineswegs schon immer ein erklärter Feind der EU - wenn auch aus weniger politischen Gründen. 1997 sagte er: "Schauen Sie, ich bin eigentlich eher pro Europa: Ich möchte eine EU, in der man losziehen und Croissants verschlingen kann, vorzüglichen Kaffee trinken, Fremdsprachen lernen und wo man Sex mit ausländischen Frauen haben kann."
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Hitler-Witze? Nein, danke
Auch diesen Sommer bewies Johnson, dass er verbal vor nichts zurückschreckt. Im "Sunday Telegraph" sagte er, die europäische Geschichte sei geprägt durch Versuche, den Kontinent unter einer einzigen Regierung zu vereinen. "Napoleon, Hitler - alle möglichen Leute haben es probiert, und es geht tragisch aus", sagte Johnson: "Die EU ist der Versuch, es auf andere Art und Weise zu schaffen."
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Besondere Beziehung zu den USA
Johnson - in New York geboren - hat die USA mehr als einmal verstört. Im Boulevardblatt "The Sun" äußerte er sich despektierlich über die ethnische Herkunft Präsident Obamas. Eine Büste des englischen Premiers Winston Churchill war aus dem Weißen Haus entfernt worden. Johnson deutete das als "Zeichen der ererbten Abneigung des halb kenianischen Präsidenten gegenüber dem Britischen Empire".
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Nur einer lacht
Es war nicht die erste rassistische Bemerkung. 2002 attackierte Johnson die Queen: Sie schätze das Commomwealth auch, weil es ihr "jubelnde Mengen fahnenschwenkender Neger-Babys" beschere. Zum Kongo-Besuch des damaligen Premierministers Tony Blair schrieb Johnson: "Die Stammeskrieger werden alle in Wassermelonen-Lächeln ausbrechen, wenn sie ihren großen weißen Häuptling sehen."
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Elefant im (chinesischen) Porzellanladen
2008 gelang es Johnson sogar, seine Gastgeber bei der zeremoniellen Überführung der olympischen Flagge von Peking nach London zu beleidigen: "Ich sage dies respektvoll zu unseren chinesischen Gastgebern, die so großartig im Tischtennis glänzen", sagte Johnson: "Pingpong wurde auf den englischen Esstischen des 19. Jahrhunderts erfunden und man nannte es Wiff-Waff."
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"Krass und geschmacklos"
2013 sprach Johnson auf einer Veranstaltung für die Rechte von Homosexuellen so abfällig, dass manche angewidert den Saal verließen. Sein vulgärer Kommentar über die Homo-Ehe ging unter die Gürtellinie. Auf ein wörtliches Zitat verzichten wir. Die Labour-Abgeordnete Angela Eagle, die jetzt für den Parteivorsitz kandidiert, bezeichnete Johnsons Bemerkungen damals als "krass und geschmacklos".
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Verstimmungen im Westjordanland
Im November 2015 lud die palästinensische Autonomiebehörde Johnson aus. Er hatte den Boykott von israelischen Produkten "komplett durchgeknallt" genannt: "unterstützt von Kordmantel tragenden, linken Akademikern mit schiefen Zähnen im Vereinigten Königreich". Die Palästinenser fürchteten Proteste und warfen ihm vor, eine "falsch informierte, respektlose" pro-israelische Haltung einzunehmen.
Bild: Reuters/P. Nicholls
Wahrlich kein Shakespeare
1000 britische Pfund gewann Johnson in einem Wettbewerb, der zu "beleidigenden Gedichten über Erdogan" aufgerufen hatte, nachdem der türkische Präsident gegen das Schmähgedicht des deutschen Satirikers Jan Böhmermann geklagt hatte. Johnson nannte Erdogan einen "Wichser" - weit entfernt von seiner Haltung im Jahr 2006, als er noch für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei geworben hatte.