Ein Labour-Politiker ist Nachfolger von John Bercow, der als "Speaker" in seiner unverwechselbaren Art die Debatten im britischen Parlament leitete. Der neue Parlamentspräsident war bisher Bercows Stellvertreter.
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Britische "Hoffnungsträger" nach Bercow
Wenn Briten jemanden suchen, auf den sie Hoffnungen setzen können, gehen sie ins Wettbüro. Oder sie sprechen von einem "Beacon of Hope", einem Hoffnungsschimmer. Hier sind die Politiker, die das sind (oder sein wollen).
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Sir Lindsay Hoyle, Labour
Sir Lindsay Hoyle von der Labour Party ist ein Erfolgstyp - er war als bisheriger Stellvertreter Favorit auf die Nachfolge von Bercow. Dass er ein Erfolgstyp ist, sieht man daran, dass er 2017 zum Ritter geschlagen wurde. Und auch daran, dass die Parlamentsmannschaft mit ihm (Startnummer 11, Bild) beim Pfannkuchen-Rennen für wohltätige Zwecke 2007 klar vor dem Oberhaus und den Journalisten siegte.
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Chris Bryant, Labour
Chris Bryant war bis zuletzt im Rennen um die Nachfolge von Speaker Bercow. In sehr viel jüngeren Jahren war er mal konservatives Parteimitglied, wechselte dann aber zu Labour. Der 57-jährige gilt als Remainer, als Befürworter der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens. Ob ihm das bei der Karriere im Parlament hilft? Oder sein Kampf gegen die traditionelle Fuchsjagd im Vereinigten Königreich?
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Harriet Harman, Labour
Es hätte zur Abwechslung ja auch mal eine Mrs. Speaker sein können. Doch Harriet Harman hat sich vergebens Hoffnungen gemacht. Die Poltikwissenschaftlerin war schon einmal Frauenministerin sowie Übergangschefin (Acting Leader) der Labour-Party. Doch als 2015 der heutige Oppositionsführer Jeremy Corbyn kam, schied Harman aus der Parteispitze aus.
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Eleanor Laing, Tory
Auch von Seiten der regierenden Konservativen gab es eine Kandidatin. Eleanor Laing war seit 2013 Deputy Speaker, also Vize von Bercow. Schattenministerin war sie auch mehrfach in Kabinettslisten der Tories. Die 61-Jährige vertritt einen Wahlbezirk in Essex und ist, hört man, Fan der Glasgow Rangers.
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Caroline Lucas, Green Party
Machtoptionen hat die Frau noch nicht. Allerdings hat Caroline Lucas bereits Geschichte geschrieben - als erste Politikerin der Green Party mit Sitz im Unterhaus. Da mögen in anderen Ländern Klima- und Öko-Themen total angesagt sein - Caroline Lucas ist parlamentarisch gesehen auf diesem Feld noch Einzelkämpferin. Aber man weiß ja nie. Jede Stimme zählt - und mal sehen, was nach der Neuwahl ist.
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Jeremy Hunt, Tory
Wie gerne wäre er Parteichef geworden - und damit Premier. Doch Ex-Außenminister Jeremy Hunt fing sich gegen Boris Johnson eine krachende Niederlage ein, und seitdem ist die Polit-Karriere des 53-Jährigen etwas ins Stocken geraten. Aber der smarte Konservative ist nicht zu unterschätzen: Er war ja schon Unternehmensberater, PR-Mann, Firmengründer - und spricht japanisch. Ob das beim Brexit hilft?
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Jon Lansman, Momentum
Sieht so ein Hoffnungsträger aus? Der Linke und Labour-Aktivist Jon Lansman hat 2015 die politische Organisation Momentum gegründet - keine Partei, mehr ein linkes Netzwerk, das aber eindeutig auf Seiten von Jeremy Corbyn agiert, dem Labour-Chef. Der 62-jährige Lansman wird mit dem Stichwort "The New Socialism" in Verbindung gebracht. Politische Gegner sagen: alter Wein in neuen Schläuchen.
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Tom Watson, Labour
Den kennen Sie nicht? Das kann doch nicht sein. Tom Watson (52) vertritt West Bromwich East im Parlament und hat mal von sich reden gemacht, als er einen eigenen Blog startete. Watson ist durchaus ein politisches Kaliber - als Vize-Chef von Labour und interner Kritiker von Oppositionsführer Corbyn, dem ohnehin viel kritisierten ersten Mann der Partei. Aber Corbyn gilt als guter Wahlkämpfer ...
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Jacob Rees-Mogg, Tory
Ihn müssen wir hier einfach nochmal zeigen. Nie zuvor hat jemand seinen Maßanzug so ungeniert auf der Parlamentsbank mit dem Pyjama verwechselt wie Jacob Rees-Mogg, der schlaksige Schnösel, wie ihn Übelmeinende nennen würden. An einem unendlichen Unterhaus-Abend gab er sich gelangweilt dösend, zur Freude der Fotografen. Der stockkonservative Konservative ist so eine Art Fraktionschef der Tories.
Bild: AFP/Pru
Priti Patel, Tory
Es gibt Briten, die verdrehen bei der bloßen Nennung ihres Namens die Augen. Und nicht vor Verzückung. Priti Patel ist eine ehrgeizige Konservative. Als sie unter David Cameron schon einmal Ministerin war, bekam sie Ärger, weil sie ohne jede Absprache während eines Urlaubs Gespräche mit der Regierung Israels geführt hatte. Die 47-Jährige trat zurück, ist aber längst wieder da als Innenministerin.
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Nigel Farage, Brexit Party
Das kann man, muss man aber nicht verstehen: Nigel Farage will den Brexit und sitzt zugleich im Europäischen Parlament. Er macht für die Brexit-Partei Wahlkampf, will aber keinen eigenen Sitz im Unterhaus. Man könnte sagen, dass Farage die britische Politik vor sich hertreibt. Erst gründete er die UK Independence Party (UKIP), inzwischen heißt seine Truppe Brexit Party. Ziel: Nur raus aus der EU!
Bild: Reuters/H. McKay
John Bercow, Tennis-Fan
Was er hier brüllt, ist nicht: "Order, Orrrdeeerrr." Wenn John Bercow in Wimbledon Tennis-Matches verfolgt, hört man anderes. Zum Beispiel den Anfeuerungsruf "Come on!" für Roger Federer. Der scheidende Parlamentssprecher ist leidenschaftlicher Fan des Schweizer Tennis-Helden, was man auch an seinem T-Shirt mit den Initialen sieht. Für seine Sportleidenschaft wird Bercow künftig mehr Zeit haben.
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Lindsay Hoyle (Artikelbild) ist zum neuen Präsidenten des britischen Unterhauses gewählt worden. Der Labour-Abgeordnete setzte sich in der vierten Wahlrunde gegen seinen Parteifreund Chris Bryant durch. Es sind große Fußstapfen, in die Hoyle tritt. Ex-Parlamentspräsident John Bercow hatte das vergangene Jahrzehnt nicht nur mit seinen markanten Order-Rufen geprägt, er gilt auch als unbequemer Reformer.
Hoyle verspricht Transparenz und Neutralität
Hoyle dürfte versuchen, weniger anzuecken als sein Vorgänger. "Ich werde neutral sein, ich werde transparent sein", versprach der 62 Jahre alte Politiker. Der neue "Speaker of the House of Commons" wurde von seinen Kollegen zu seinem Stuhl gezerrt - eine Tradition aus früheren Jahrhunderten, als der Unterhauspräsident nicht selten in der Auseinandersetzung mit der Krone auf dem Schafott landete. Hoyle ließ sich willig zu seinem neuen Platz geleiten.
Das Parlament werde sich zum Besseren verändern, kündigte der Sozialdemokrat an. Er werde wieder dafür sorgen, dass Respekt und Toleranz gegenüber jedem gezeigt werde, der im Parlament arbeite - ein wenig versteckter Seitenhieb an seinen Vorgänger Bercow, der immer wieder wegen seiner ruppigen Auftretens in die Kritik geraten war. Bereits in seiner Bewerbungsrede hatte Hoyle Veränderungen im Unterhaus versprochen. Unter anderem wolle er ermöglichen, dass Abgeordnete auf den hinteren Bänken die Regierung zur Rechenschaft ziehen können. Ein verantwortungsvoller Speaker müsse das unterstützen.
Premier Johnson gehört zu den ersten Gratulaten
Als einer der ersten gratulierte Premierminister Boris Johnson dem neu gewählten Unterhauspräsidenten. "Ich stelle fest, dass Sie sich gegen ein extrem starkes Bewerberfeld durchgesetzt haben", sagte Johnson.
Der Parlamentspräsident hat eine zentrale Rolle im Unterhaus inne. Er erteilt und entzieht Abgeordneten das Wort, entscheidet über die Zulässigkeit von Anträgen und vertritt die Kammer unter anderem gegenüber der Königin und dem Oberhaus (House of Lords). Hoyles Vorgänger Bercow hatte vergangene Woche nach zehn Jahren das Amt abgegeben, kurz bevor das Parlament für die vorgezogene Wahl am 12. Dezember aufgelöst wird. Dadurch wurde die Auswahl des neuen Speakers ungewöhnlicherweise am Ende statt zu Beginn einer Legislaturperiode getroffen.
Große Fußstapfen von Vorgänger Bercow
Als 157. "Speaker" hat Bercow in seiner zehnjährigen Amtszeit stark geprägt und zum Teil neu interpretiert. Er erteilte Hinterbänklern viel öfter das Wort als bis dahin üblich. Auch die Zahl der Dringlichkeitsdebatten nahm erheblich zu unter Bercow - Regierungsmitglieder mussten viel öfter Rede und Antwort stehen, als ihnen lieb war. Auch brach er mit Traditionen. Beispielsweise verzichtete er auf das bis dahin übliche Gewand des "Speakers". Stattdessen trug er Anzug, oft schrille Krawatten und eine schlichte Robe. Perücken waren bereits unter seinen Vorgängern aus der Mode gekommen.
Doch er eckte immer wieder auch an. Im Streit über den geplanten EU-Austritt des Landes kritisierten ihn vor allem Brexit-Hardliner als parteiisch. Mehrmals setzte sich der 56-Jährige über Konventionen hinweg, damit sich die Abgeordneten im Streit mit der Regierung durchsetzen konnten. Der ehemalige Konservative, als Speaker hatte er seine Parteizugehörigkeit abgelegt, rechtfertigte das mit einem immer stärker autoritären Regierungsstil. Viele Parlamentarier lobten, er habe die Rechte des Unterhauses gegenüber der Regierung gestärkt.
Szenen einer Demokratie: Das britische Unterhaus
Es gilt als "Mutter aller Parlamente" - das House of Commons, dessen Ursprünge ins Jahr 1264 zurückreichen. In den Brexit-Debatten ist also viel Tradition enthalten - aber oft auch Shakespearesche Dramatik.
Da ist einer ordentlich sauer: Gerade hat das Unterhaus Premierminister Boris Johnson eine herbe Niederlage zugefügt. Statt sich auf die angeordnete Parlamentspause vorzubereiten, stimmten die Abgeordneten für ein Gesetz, das einen No-Deal-Brexit ausschließt. Das zeigt, dass auch in Großbritannien die Parlamentarier die wahren Herrscher sind. So funktioniert Demokratie.
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Mehr Drama geht kaum
Ein Bild wie ein flämisches Gemälde: Der große Gegenspieler Boris Johnsons ist Parlamentspräsident John Bercow, der ironischerweise ebenfalls der konservativen Partei angehört. Doch der - der vom "Guardian" schon als Obi Wan Bercow bezeichnete "Speaker" - wehrte sich dagegen, dass Johnson das Unterhaus mundtot macht. "Bis zum letzten Atemzug" werde er für die parlamentarischen Rechte kämpfen.
Manchmal ändern sich Mehrheiten in nur einem Augenblick. Boris Johnson verlor seine hauchdünne Mehrheit im Unterhaus, während er redete. Kurz nachdem Johnson mit einer Erklärung begonnen hatte, verließ der Tory-Abgeordnete Phillip Lee die Bänke der Regierungsfraktion und nahm demonstrativ zwischen den Oppositions-Abgeordneten Platz. Das nennt man wohl "ein Zeichen setzen".
Bild: picture-alliance/dpa/House Of Commons
Der coole Snob
Als ob ihn das alles nichts anginge: Der radikale Brexit-Befürworter Jacob Rees-Mogg lehnt sich während der Dringlichkeitsdebatte über ein neues Gesetz, das einen Brexit ohne Abkommen mit der EU verhindern soll, demonstrativ gelangweilt in seiner Parlamentsbank zurück. Dabei ist er der Vorsitzende des Unterhauses - mit Ministerrang in Boris Johnsons Kabinett.
Bild: picture-alliance/dpa/House of Commons
Das Bild, das um die Welt ging
Das Foto des sich hinfläzenden Rees-Mogg ging in Minutenschnelle um die Welt. Gepostet hatte es die Labour-Abgeordnete Anna Turley. Sie tweetete das Bild mit dem Kommentar, Rees-Mogg sei "die Verkörperung von Arroganz, Dünkel, Respektlosigkeit und Geringschätzung unseres Parlaments". Viele regten sich auf, andere sahen darin eine Referenz zu Tischbeins Gemälde "Goethe in der Campagna".
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"Die spinnen alle..."
"... und ich bin ihr Chef", seufzte der aus den Asterix-Bänden bekannte Gallier-Häuptling Majestix öfter mal. Das scheint auch Boris Johnson zu denken und macht eine Geste, die wenig mit dem Amt eines Premierministers gemein hat - zumal an solch einem traditionsreichen Ort. Aber wer erwartet schon, dass sich der Blondschopf an Konventionen hält. Seine Sitznachbarn zumindest nicht...
Bild: picture-alliance/Photoshot/UK Parliament/Jessica Taylor
Eine hat gut lachen!
Während die Brexit-Debatten auf die meisten konservativen Abgeordneten eher verstörend wirkten, hat zumindest eine Tory-Politikerin augenscheinlich gut lachen: Johnsons Vorgängerin Theresa May, die froh sein dürfte, dass sich jetzt jemand anderes eine blutige Nase holt. Ob der neben ihr sitzende aus der Tory-Fraktion ausgestoßene Kenneth Clarke lacht oder weint, scheint noch nicht ausgemacht.
Bild: AFP/J. Taylor
Eng, laut und mit roten Linien
Viele Parlamente sind als Halbkreis angelegt, rund um ein Redepult. Hier sitzen die Parlamentarier einander gegenüber. Es ist eng; für 650 Abgeordnete gibt es nur 427 Sitzplätze. Sie reden sich mit "the Right Honourable" an und beleidigen sich nur einen Atemzug später. Am Boden sind rote Linien, die nicht übertreten werden dürfen - aus einer Zeit, in der man noch mit Schwert ins Unterhaus zog.
Bild: picture-alliance/AP/J. Taylor
"Ooooordeeerrr!"
Er ist der Dompteur des Ganzen: John Bercow, der mächtige "Speaker". Er bestimmt über die Tagesordnung, erteilt das Wort, maßregelt. Und das immer mit eine Prise britischen Humors. Als ein Tory-Kollege ihm vorwarf, er fahre mit einem Anti-Brexit-Aufkleber auf seinem Auto herum, konterte Bercow, der Wagen sei seiner Frau. Sein modisches Markenzeichen sind grelle, altmodische Krawatten.
Bild: picture-alliance/dpa/AP/House of Commons/J. Taylor
"The ayes to the right..."
Auch die Abstimmungen folgen einem fast archaischen Ritual. Die Abgeordneten verlassen den Raum und treten durch unterschiedliche Türen wieder ein: diejenigen, die einem Antrag zustimmen, kommen von rechts ("The ayes to the right..."), diejenigen, die ihn ablehnen von links ("The nos to the left..."). Vier Mandatare zählen die eintretenden und geben das Ergebnis an den Speaker weiter.
Bild: picture-alliance/empics/House of Commons
Quo vadis, Boris?
Kein No-Deal-Brexit, keine Neuwahlen. Das Unterhaus hat den neuen Premier ordentlich zurechtgestutzt. Dass der das auf sich sitzen lässt, glaubt in London keiner. Und so heißt es auch im britischen Politikgeschehen: Nach der Unterhaussitzung ist vor der Unterhaussitzung. Das ist so sicher, wie die "Order"-Rufe des Speakers.
Bild: picture-alliance/empics
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Bereits in der Nacht zum Mittwoch soll das Parlament aufgelöst werden für die anstehende Neuwahl am 12. Dezember. Dann muss auch der "Speaker" im Amt bestätigt werden; nach den Parlamentswahlen 2015 und 2017 geschah dies jeweils ohne Wahl.