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Kunst

US-Konzeptkünstler Bruce Nauman wird 80

6. Dezember 2021

Bruce Naumans Videokunst und Neonskulpturen verstören. An diesem Montag wird der US-amerikanische Künstler 80 Jahre alt. Sein Lebensthema war und ist der Mensch.

Neonkunstwerk von Bruce Nauman
Zeitloses Neonkunstwerk des US-Künstlers Bruce Nauman, der jetzt 80 Jahre alt wirdBild: Jan Bauer/AP Photo/picture alliance

Eine Phalanx aus Bildschirmen zeigt den kahlköpfigen Opernsänger Rinde Eckert, wie er sich um die eigene Achse dreht. Dabei wiederholt er seinen aggressiv klingenden Sprechgesang: "Feed me / Eat me / Anthropology" und "Help me / Hurt me / Sociology" in übereinanderliegenden Tonspuren. Als Bruce Nauman seine Videoarbeit "Anthro/Socio. Rinde Spinning" 1992 auf der documenta IX in Kassel vorstellt, ist die Kunstwelt elektrisiert von seiner intensiven Bildsprache.

Das Schauspiel fesselt, weil es direkt ins Hirn geht. Genau das ist die Spezialität Naumans. Seit 50 Jahren pflanzt der US-Künstler seine Kunst in unsere Köpfe, zwingt zum Nachspüren und vor allem Nachdenken. Dabei kreisen seine Werke - ob als Installation, Plastik, Fotografie, Neonskulptur, Videoaufnahme oder Zeichnung - um Fragen der menschlichen Sinneswahrnehmung.

Naumans Thema ist der Mensch

Seit jeher setzt Nauman die verschiedensten Techniken ein. Ein Medienfreak ist der US-Künstler, der jetzt 80 Jahre alt geworden ist, eigentlich schon immer. "Sein Werk", sagt die Baseler Kuratorin Heidi Naef, "ist zeitlos". Die Schweizerin ist zur Nauman-Expertin geworden, seit sie 2018 im Schaulager in Münchenstein bei Basel gemeinsam mit Isabell Friedli eine der wohl spektakulärsten Nauman-Ausstellungen organisierte. Die Schau brannte ein multimediales Feuerwerk Naumans ab. Anschließend zog sie an das Museum of Modern Art (MoMA) nach New York weiter.

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Lässt sich Nauman auf bestimmte Botschaften festlegen? Die Kuratorin winkt ab: "Der Grundtenor seines Werks", sagt Heidi Naef im DW-Gespräch, "ist der Mensch in der Gesellschaft." Das Motiv durchziehe sein Schaffen wie ein roter Faden.

Wie bewege ich mich im Raum? Was, wenn ich ein Auge zuhalte? Oder eine Geste endlos wiederhole? Aus der Beobachtung unscheinbarer Momente entwickelt Nauman in unzähligen Arbeiten sein Spiel mit der Wahrnehmung. Dafür findet er immer wieder neue, irritierende und häufig humorvolle Bilder - und setzt so Denkprozesse in Gang.

Internationaler Durchbruch mit 27 

Wie zum Beispiel in dem sechsminütigen Hörstück "Get out of my mind, get out of this room" ("Verschwinde aus meinem Kopf, verlass diesen Raum"): Aus den Lautsprechern heult, schreit und wimmert es. Doch wer verdrängt hier eigentlich wen bettelnd aus seinem Kopf? Wer eine Bruce-Nauman-Ausstellung besucht, hat am Ende mehr Fragen als Gewissheiten. Seine Werke gleichen nicht selten Versuchsanordnungen. Damit fordert er sein Publikum heraus.

"Verschwinde aus meinem Kopf, verlass diesen Raum" entstand 1968. Im gleichen Jahr nimmt Naumans Karriere Fahrt auf, zunächst mit einer Einzelausstellung bei dem renommierten Galeristen Leo Castelli in New York. Einladungen zur Biennale nach Venedig folgen, dann seine erste europäische Galerie-Ausstellung in Düsseldorf.

Der Erfolg erschlägt den 27-Jährigen. Der Künstler zieht sich erschrocken zurück, verlässt Kalifornien und findet Ruhe auf einer Ranch in New Mexico, wo er - neben der künstlerischen Arbeit - bis heute Pferde züchtet.

Köpfe aus Wachs: Bruce Nauman war Pionier beim Verwenden vieler kunstferner MaterialienBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Vielgefragt und preisgekrönt

Gleichzeitig steigt Nauman zu einer der bedeutendsten Figuren des Kunstbetriebs auf. Rund um den Globus würdigen ihn nun viele große Ausstellungen. Allein fünfmal ist er auf der documenta in Kassel vertreten. Er erhält die wichtigsten Preise und Auszeichnungen - den Praemium Imperiale (2004) ebenso wie den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig (1999). Naumann wird Mitglied der wichtigsten US-amerikanischen Künstlergesellschaften, 1997 auch der Berliner Akademie der Künste. Mit 57 Jahren heiratet er seine zweite Frau, die Künstlerkollegin Susan Rothenberg.

Nauman wächst in US-Bundesstaat Indiana auf. Der Vater ist Ingenieur, die Familie zieht von einer Kleinstadt in die nächste. Früh beschäftigt sich Naumann mit Musikinstrumenten. In den 1960er-Jahren beginnt er Mathematik und Physik zu studieren, Malerei immerhin im Nebenfach.

Bruce Naumans berühmte Neonarbeit "One Hundred Live and Die" ("Hundert leben und sterben") von 1984Bild: Dominic Lipinski/empics/picture alliance

Als eines seiner berühmtesten Werke gilt heute die Neonarbeit "One Hundred Live and Die" ("Hundert leben und sterben") von 1984. In rhythmischer Abfolge leuchten jeweils vier von 100 Phrasen wie auf einer Anzeigetafel auf und verbinden sich zu mehr oder weniger sinnhaften Kommandos: "Live and die, live and live, sing and die, sing and live" ("Leben und sterben, leben und leben, singen und sterben, singen und leben"). Am Ende eines Durchlaufs leuchten alle Wortpaare gleichzeitig wie auf einer bunten Farbwand. Als Nauman in den 1970er-Jahren die Neonröhre für sich entdeckt, ist das längst noch kein gängiger Kunst-Werkstoff. Nauman, der sich früh von der Malerei losgesagt hat, ist hier Pionier - wie auch bei anderen Materialien wie Gummi, Wachs, Gips oder Glasfaser.

Retrospektive in der Tate: Mystische Wahrheiten enthüllen

In seinen "Corridor Installations" der 1970er-Jahre lädt er sein Publikum zu klaustrophobischen Erfahrungen ein. Manche Korridore sind so schmal wie unbetretbar. Andere überwacht der Künstler mit Kamera und Monitor, was Besucher ihrem eigenen Bild begegnen lässt. Im "Walk with Contrapposto" ("Gehen mit Gegensatz") von 1968 wechselt Nauman zwischen Stand- und Spielbein, eine Pose, die schon antike Bildhauer für menschliche Darstellungen nutzten.

Ganz schön eng: Das Werk "Green Light Corridor" lässt Besuchern nur wenig Platz beim DurchquerenBild: Haus der Kunst, 2011

Naumann beschäftigt sich mit dem minimalistischen Komponisten Steve Reich und den Werken der Klangpioniere John Cage (1912 - 1992), Merce Cunningham (1919 - 2009) und Karlheinz Stockhausen (1928 - 2007). Während einer Ausstellung im New Yorker MoMA inszeniert er 1969 eine Performance mit der Sängerin und Tänzerin Meredith Monk. Sie alle hätten ihn und seine Arbeit inspiriert, sagt Nauman in einem seiner seltenen Interviews, nicht zu vergessen: der irische Schriftsteller Samuel Beckett (1906 - 1989) und der Philosoph und Sprachtheoretiker Ludwig Wittgenstein (1889 - 1951).

Als die Tate Gallery in London Naumans Werk Anfang 2021 in einer Retrospektive ausbreitet, leuchtet über dem Eingang seine neonblaue und rote Lichtskulptur von 1967 mit dem Neonschriftzug: "The true artist helps the world by revealing mystic truths." ("Der wahre Künstler hilft der Welt, indem er mystische Wahrheiten enthüllt.") Die spiralförmige Anordnung der Wörter zwingt Betrachtende den Kopf zu drehen, um sie lesen und verstehen zu können. Ein frühes Werk zwar, und doch wirkt es wie ein Rückgriff auf Naumanns Manifest: Das menschliche Wesen zu erkunden, ist die Idee dieses Künstlers. Mitdenken erwünscht.

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