Bislang verstanden Forscher die Schrift und Zahlen der ersten Hochkultur Europas nur teilweise. Bereits vor 3500 Jahren rechneten die Minoer mit Brüchen, aber die Zeichen dafür konnten erst jetzt entschlüsselt werden.
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Staunend bewundern jährlich tausende Touristen die Palastanlagen von Knossos auf Kreta. Prächtige Gebäude, ein ausgeklügeltes Versorgungssystem, lebensechte Fresken. Geschaffen wurde all dies vor 3500 Jahren von den Minoern, der ersten Hochkultur Europas, über die wir aber nur überraschend wenig wissen.
Der Sprung über den Stier (Minos), der in der minoischen Mythologie von zentraler Bedeutung ist. Bild: ANE Edition/picture alliance
Mit ihrer fortschrittlichen Flotte beherrschten sie von Kreta aus einst das gesamte östliche Mittelmeer, sie betrieben ein weitverzweigtes Handelssystem und nutzten zwei unterschiedliche Schriftsysteme - eine Hieroglyphenschrift (wie in Ägypten) und eine Art Keilschrift (wie in Mesopotamien), die sogenannte Linearschrift A.
Rätselhafte Schrift
Diese Linear A ist bis heute nur ansatzweise entziffert, auch weil es nur wenige archäologische Funde gibt. Geschrieben wurde Linear A von links nach rechts und wahrscheinlich war es eine Silbenschrift, da auch die meisten von ihr abgeleiteten Schriften wie das später ans Griechische angepasste Linearschrift B überwiegend Silbenschriften sind.
Die Minoer nutzten neben einer Hieroglyphenschrift auch eine Keilschrift - die sogenannte Linearschrift A. Bild: Robert B. Fishman/ecomedia/picture alliance
Bekannt sind etwa 70 Silbenzeichen, 100 Zeichen mit Wortbedeutung und zahlreiche Zahlenzeichen. Denn die Minoer konnten bereits sehr komplexe mathematische Berechnungen vornehmen.
Dezimalsystem mit Brüchen
Vermutlich nutzen die Minor für ihre Berechnungen von Waren oder in der Verwaltung ein Dezimalsystem, das sich Forschende der Universität Bologna jetzt genauer angesehen haben. Zehnerwerte wurden mit waagerechten Strichen oder Punkten gekennzeichnet, Hunderter mit Kreisen und Tausender mit Kreisen, die wiederum von Strichen umgeben waren.
Für Berechnungen und zur Kennzeichnung von Mengenangaben wie Getreibe nutzten die Minoer Dezimalbrüche. Bild: imagebroker/picture alliance
Überraschenderweise nutzen die Minoer zudem für ihre Berechnungen und auch zur Kennzeichnung von Mengenangaben bereits Dezimalbrüche. "Linear A umfasst 17 Zeichen, die scheinbar für Bruchzahlen stehen", schreiben Professorin Silvia Ferrara und ihre Kollegen von der Universität Bologna. Silvia Ferrara von der Abteilung für Klassische Philologie und Italienische Studien leitet INSCIBE ERC, ein 5-Jahres-Projekt, das von der Europäischen Kommission gefördert wird und das grundlegende Faktoren bei der Schriftentwicklung in verschiedenen Teilen der Welt erforscht.
Dargestellt wurden diese Dezimalbrüche mit dreieckigen oder halbkreisförmigen Zeichen, die um einen oder mehrere Punkte ergänzt wurden. So viel war bekannt, aber bislang konnten diese Symbole noch nicht den entsprechenden Brüchen zugeordnet werden. Viele der gefundenen Tontafeln sind unvollständig und außerdem haben sich Zeichen zum Teil im Laufe der Zeit verändert.
Interdisziplinäre Kombination brachte Lösung
"Die genauen mathematischen Werte dieses Systems der Bruchzahlen sind eines der größten Rätsel der minoischen Linear-A-Schrift", schreiben die Forschenden. Entschlüsseln könnten die Forschenden aus Bologna die minoischen Rechenkünste schließlich durch eine Kombination aus verschieden linguistischen, mathematischen und archäologischen Methoden und dem direkten Abgleich mit ähnlichen ägyptischen und mesopotamischen Zeichen.
Bereits vor 3500 Jahren errichteten die Minoer prächtvoll gestaltete Palastanlagen auf Kreta Bild: Sunny Celeste/Bildagentur-online/picture alliance
Die Forschenden gingen davon aus, dass das einfache Teilen durch zwei, also der Bruch 1/2, am häufigsten vorkommen muss. "Denn jeder Bruch höher als 1/2 kann als 1/2+n ausgedrückt werden", berichten Silvia Ferrara und ihre Kollegen. Auf dieser Grundlage konnten die Forschenden dann die diversen Kombinationsmöglichkeiten und Häufigkeiten berechnen.
Für jeden Bruch ein Symbol
Entstanden ist so eine Tabelle, in der alle möglichen Bruchsymbole in der Linearschrift A einem exakten Zahlenwert zuordnet werden konnte. Veröffentlicht wurde sie im Journal of Archaeological Science.
Aufgelistet sind dort halbkreisförmige Symbole mit einer entsprechend steigenden Zahl an waagerechten Strichen für die Brüche 1/4, 1/5 oder 1/8 oder auch 1/20, 1/30 usw. Das Symbol für 1/10 erinnert an unser T. Gefunden wurden Symbole bis zum Bruch 1/60.
Am häufigsten aber findet sich auf den Tonscherben der Bruch 1/2, den die Minoer mit einem Symbol darstellten, das an unser J erinnert.
Nach Ansicht der Forschenden aus Bologna kann die erfolgreiche kombinatorische Zuordnung der mathematischen Werte zu den Zeichen auch dabei helfen, irgendwann endlich auch die gesamte Schrift der Minoer zu entschlüsseln.
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