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Bryjak: "Mich schmerzt die Ukraine"

Anastassia Boutsko22. August 2014

Oleg Bryjak hat in Bayreuth kurzfristig die Rolle des Alberich übernommen. Der renommierte Wagner-Sänger und Protodiakon der orthodoxen Kirche sprach mit der DW unter anderem über die Ukraine, die Heimat seines Vaters.

Oleg Bryjak
Bild: Bayreuther Festspiele / Jörg Schulze

DW: Vater Oleg, wie sind Sie nach Bayreuth gekommen?

Oleg Bryak: Etwas plötzlich. Ich habe mehrfach in Bayreuth vorgesungen, noch zu Lebzeiten Wolfgang Wagners (der 2010 starb, Anm. d. Red.) und neulich im Juni. Ich wurde für die Rolle des Klingsor für die "Parsifal"-Inszenierung 2016 engagiert. Aber von Alberich war gar nicht die Rede.

Wie viel Zeit hatten Sie für die Einführung in die Rolle?

Knapp eine Woche.

Was ist für Sie die zentrale Botschaft des "Rings"?

Diejenigen, die eine uneingeschränkte Macht erstreben, werden schlussendlich alles verlieren.

Man kann sich über Wagners Aktualität nur wundern. Wir sitzen hier auf dem Grünen Hügel - und keine zweitausend Kilometer entfernt tobt der Krieg.

Es schmerzt mich ganz furchtbar, den Geschehnissen in der Ukraine zuzusehen. Mein Vater war ein Ukrainer. Als der Krieg kam und die Deutschen in die Ukraine einmarschierten, war er 15 Jahre alt. Er wurde als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Und überlebte - nur um nach der Befreiung durch die Rote Armee als "Staatsfeind" und "Verräter" zu 25 Jahren Gulag verurteilt zu werden. Er landete in Kasachstan, wo ich dann auch geboren wurde. Das Gute an der Geschichte: Ich wuchs mit anderen Kindern der ehemaligen Gefangenen auf, mit Russen und Ukrainern, Letten und Georgiern, Litauern und Kasachen. Wir waren absolut international. So wäre es für mich undenkbar, zu sagen, die eine Nation ist besser als die andere.

Wie kann man bloß daran denken, in der Ukraine die russische Sprache zu verbieten? Lassen Sie uns offen reden: Die Hälfte der Bevölkerung Russlands hat ukrainische Wurzeln. Und wie viele Russen leben in der Ukraine! Aber das Schlimmste an diesem Konflikt für mich ist: Es kommen Menschen ums Leben, es sterben Kinder. Jeden Tag, jede Stunde. Kein politisches Ziel kann das rechtfertigen. Deswegen sage ich allen Politikern dieses Konfliktes: Ich bin nicht mit euch, ich bin gegen euch! Das sage ich nicht als Opernsänger, sondern als Mensch und als Protodiakon.

Alberich (Oleg Bryjak) und die launischen RheintöchterBild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

In welcher Kirche dienen Sie, Vater Oleg?

In der ukrainischen orthodoxen Kirche in Krefeld. Die Diakon-Weihe habe ich in der russischen orthodoxen Kirche Ende der 1980er Jahre empfangen, da gab es noch keine Trennung zwischen der russischen und ukrainischen Kirche.

In unsere Kirche kommen orthodoxe Gläubige aller Nationalitäten: Russen, Ukrainer, Äthiopier, Serben, auch orthodoxe Deutsche.

Protodiakon Vater Oleg während des Gottesdienstes in seiner Kirche in KrefeldBild: Privat

Sie sind in Bayreuth für Ihren Kollegen Martin Winkler eingesprungen. Diese kurzfristige Umbesetzung hat für Skandal gesorgt: Der "Ring"-Regisseur Frank Castorf hat in seinem "Spiegel"-Interview sogar angekündigt, deshalb vor Gericht ziehen zu wollen. Sind Ihnen Gründe für die Entscheidung der Festspielleitung bekannt?

Nein. Ich hatte auch keine Zeit, mich damit auseinanderzusetzen. Es kommt allerdings in meiner Karriere nicht zum ersten Mal vor, eine Produktion wenige Tage oder sogar Stunden vor der Premiere retten zu müssen. Wir sind schließlich alle Profis.

Sie stammen aus Kasachstan...

Ich sage stets: Ich stamme aus der Sowjetunion. Ich kam nach Deutschland 1991, während des Putsches. Ich bin in Kasachstan geboren, mein Vater, ein Ukrainer, wurde dorthin verbannt.

Oleg mit seinem "Jupiter"Bild: Privat

Ich besuchte in Karaganda eine Musikschule und eine Musikfachschule. Im Studentenchor, wo ich mir ein Zubrot zum Stipendium verdiente, wurde meine Stimme entdeckt. Ich wollte aber gar kein Sänger werden, sondern Akkordeonist. Denn ich spielte ganz ordentlich Akkordeon, muss ich sagen. Mein Vater hat mich überredet, es doch mit dem Vokalfach zu versuchen.

War ihr Vater Berufsmusiker?

Nein. Aber er spielte Ziehharmonika, Mandoline, Balalaika, auch Geige. Er sang auch gern, wenn auch falsch. Er hatte eine wunderbare Tenorstimme.

Sie haben bereits führende Wagner-Partien auf vielen bedeutenden Bühnen gesungen, unter anderem in Berlin und Wien. Was ist das Besondere an Bayreuth?

Ehrlich?

Bitte, Vater Oleg.

Der Medienhype. Das ganze Theater drum herum. Zum Beispiel: Gestern gab es den "Siegfried". Was kam heute in den Nachrichten? Dass die Kanzlerin da war. Von den Sängern, der Aufführung, den Publikumsreaktionen kein Wort. Ich verstehe das alles, aber ein bisschen Achtung uns, den Künstlern gegenüber, wäre nicht schlecht.

Also, so ein richtiger Bayreuth-Fan sind sie noch nicht geworden.

Das ist wohl so. Natürlich ist Bayreuth ein besonderer Ort, und es ist für jeden Sänger eine ganz große Ehre, hier zu singen. Aber es erinnert mich ein bisschen an die Situation in der Sowjetunion: Man konnte da nur richtig Karriere machen, wenn man ein Gewinner von internationalen Wettbewerben war. In Deutschland kann man zur Elite der Wagner-Sänger nur dann gehören, wenn man in Bayreuth gesungen hat.

Wagner gilt in Russland als schwierige Kost. Man hört sogar von Ihren Sängerkollegen: "Was wollt ihr mit eurem Wagner?"

Bassbariton Bryjak als AlberichBild: Bayreuther Festspiele / Jörg Schulze

Es liegt weitgehend daran, dass man den Text, den Zusammenhang zwischen Wort und Musik, nicht versteht. Man muss sich auf Wagner-Opern richtig vorbereiten, denn wenn man nicht versteht, was gesungen wird, geht sehr viel verloren. Wagners Botschaften an die Menschheit sind zeitlos und universell.

Was wünschen sie sich von Ihrem nächsten Auftritt in Bayreuth?

Etwas mehr Ruhe. Ansonsten wäre mein Traum, einmal mit Maestro Christan Thielemann arbeiten zu dürfen. Er ist ein Ausnahmekünstler und ein einmaliger Wagner-Dirigent.

Lassen Sie Ihren Vollbart wieder wachsen, sobald Bayreuth vorbei ist?

Unbedingt! Das hier geht gar nicht. Wenn ich durch Bayreuth laufen würde, denken sich wohl alle, die mich sehen würden: Was ist der denn für ein komischer Vogel?

Das Gespräch führte Anastassia Boutsko.