Keine Strategie in Syrien?
3. September 2013 DW: Jetzt wo die USA kaum noch Zweifel hegen, dass Syriens Präsident Assad hinter den Giftgasanschlägen in seinem Land steckt, scheint ein Militärschlag vermutlich unausweichlich. Sind Sie für einen solchen Einsatz, wie schätzen Sie die Lage ein?
Zbigniew Brzezinski: Ich glaube, ein Militärschlag - wenn er tatsächlich passiert - sollte Teil einer umfassenden Strategie sein. Sonst wäre er vielleicht ein angemessener Vergeltungsschlag, aber löst man damit das Problem? Gibt es eine geeignete Strategie zur Lösung des Problems? Und wer ist Teil der Lösung und wer ist es nicht? Über diese Fragen sollte man intensiv nachdenken, bevor man militärisch eingreift. Ein solcher Eingriff scheint zunächst aufgrund der Schwere des ganz klar unmenschlichen Verbrechens in Syrien moralisch vertretbar, aber man muss auch sehen, dass er unerwünschte Folgen haben kann.
Glauben Sie, dass die US-Regierung eine klare Strategie hat in Syrien, auch für die Zeit nach einem militärischen Eingriff?
Wenn ja, dann ist sie ein wohlgehütetes Geheimnis.
Welche Strategie halten sie für angemessen?
Mir scheint, dass das Problem im Falle Syriens Teil eines größeren Dilemmas ist, vor dem Hintergrund der jüngsten Aufstände im Nahen Osten. Die Lösung kann weder rein militärisch sein, noch sollte man sie allein von den westlichen Mächten abhängig machen.
Sie sagten, an einem Militärschlag sollte, wenn möglich, eine größere Koalition beteiligt sein, an wen dachten Sie dabei?
Die Türkei sollte auf jeden Fall offen und direkt an einem Militärschlag beteiligt sein, das wäre das Mindeste. Außerdem sollten die Länder, die von der minimalen Stabilität im Nahen Osten wirtschaftlich profitieren, einen solchen Eingriff offen befürworten. Ich denke da an einige asiatische Mächte, deren Energieversorgung nur gesichert ist, wenn Transitländer im Nahen Osten nicht komplett im Chaos versinken.
Russland haben Sie jetzt nicht erwähnt. Wie sehen Sie dessen Rolle?
Russland sollte vernünftigerweise mit anderen Staaten zusammenarbeiten, nicht nur für eine Lösung des Syrienproblems, sondern auch generell um internationale Standards festzulegen, auch im Hinblick auf die Atompolitik Irans, also wie man das Atomprogramm dort stabil machen und international legitimieren könnte. Natürlich sollte sich Russland auch aktiv an einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts beteiligen, schließlich sind einige Probleme in der Region auf diesen Konflikt zurückzuführen.
Wie erklären Sie sich, dass die US-Regierung unter Obama scheinbar die UNO zur Zeit außen vor lässt und ganz auf die NATO setzt?
Ich glaube, das sehen sie eventuell nicht ganz richtig. Ich denke, die Regierung Obamas befürwortet schon ein UNO-Mandat [für einen Militärschlag, Anm. d. Redaktion], fürchtet jedoch ein Veto Russlands oder auch Chinas. Für mich bedeutet das, dass man intensive, ernste Gespräche mit den Ländern führen sollte, die von der sich ausbreitenden Gewalt in der Region betroffen sind oder sein werden.
Welche Auswirkungen könnte ein Militärschlag gegen das syrische Regime haben? Präsident Assad hat die USA ja schon vor einem zweiten Vietnam gewarnt. Kann man das ernst nehmen?
Nun ja, jede Analogie kann bis zu einem gewissen Grad angemessen sein, aber sie kann auch sehr irreführend sein. Ich denke, dass die Lage in Syrien sich doch sehr von der in Vietnam unterscheidet.
Ich fasse zusammen: Sie sind also nicht davon überzeugt, dass ein Militärschlag gegen Syrien zu diesem Zeitpunkt richtig wäre?
Ich sehe dafür keinen breiteren strategischen Zusammenhang. Was mir Sorge macht ist, dass die USA und ihre Verbündeten, also die ehemaligen Kolonialmächte, zu eng denken. Dadurch entsteht in meinen Augen direkt ein neues politisches Problem.
Zbigniew Brzezinski war Sicherheitsberater unter US-Präsident Jimmy Carter von 1977 bis 1981. Er gilt als einer der wichtigsten Experten zur Außenpolitik der USA. Brzezinski ist Professor für internationale Beziehungen an der Johns Hopkins Universität und Berater beim Center for Strategic and International Studies in Washington.
Das Interview führte Michael Knigge.