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Politik

Bulgarien - ein russisches Territorium?

1. Mai 2022

In Bulgarien sind alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche und wohl schicksalhafte Beeinflussung durch Moskau vorhanden - und das ist sehr gefährlich, meint Alexander Andreev.

Bulgarien - Jährliche Versammlung der Russlandfreunde in Kazanlak
"Putin - der Präsident ist ein Friedensstifter": Prorussische Demonstration im bulgarischen KazanlakBild: BGNES

Es ist ernst. Und damit meine ich nicht nur den aggressiven Nationalismus oder die enorme Unterstützung, die Wladimir Putin vor dem Krieg gegen die Ukraine in Bulgarien genossen hat. Damit meine ich eine neue Meinungswelle, die sich in Bulgarien gefährlich ausbreitet. Getragen, leider, von meist jüngeren und teilweise bildungsfernen Menschen, die ihren Frust durch antiwestliche Parolen loswerden wollen.

Es ist ein Mix aus Antiliberalismus, Hass gegen alle Eliten, Verschwörungstheorien, Antisemitismus, Antiziganismus und Bewunderung des starken Mannes in Moskau, der den "liberalen Sumpf" austrocknen will. Weil sie sich von Europa und vom Westen enttäuscht fühlen, bekämpfen diese Menschen die westliche Zivilisation und alles Moderne, indem sie selbstgebastelte "orthodoxe christliche Werte" beschwören und ein archaisches Weltbild konstruieren. Ein Weltbild, in dem nur Blut und Boden zählen, in dem die Gewalt rechtens ist und die eiserne Faust Putins endlich all dies durchsetzen wird, was sie sich sehnlichst herbeiwünschen.

Demonstration in Sofia: Die Mehrheit der Bulgaren ist doch gegen Putins Krieg (7.04.2022)Bild: Georgi Paleykov/NurPhoto/picture alliance

Bulgarien ist das russlandfreundlichste Land in der Europäischen Union. Dafür gibt es tiefverwurzelte geschichtliche, kulturelle und konfessionelle Gründe. Vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine lag die Unterstützung für Putin bei etwa 50 Prozent. Jetzt ist sie unter 25 Prozent gefallen, was aber immer noch beängstigend hoch ist. Auch die Bündniseinstellungen der Bulgaren haben sich durch den Krieg positiv geändert. Heute meinen 63 Prozent der Bulgaren, das Land sei in der EU und in der NATO besser aufgehoben als in einem Bündnis mit Russland. Und trotzdem ist die bulgarische Gesellschaft hoffnungslos gespalten. Man mag Putin und den Krieg verurteilen, gleichzeitig aber sucht man nach Erklärungen und "mildernden Umständen".  

Abhängig und traditionell russlandfreundlich 

Diese Erklärungsmuster werden nicht nur von kleineren prorussischen Parteien, sondern auch von traditionellen (und traditionell russlandfreundlichen) Parteien wie den Sozialisten oder (erstaunlicherweise) der Partei der türkischen Minderheit, DPS, immer wieder angeboten.  

Die russischen Einflüsse in den heutigen kriegerischen und sehr dramatischen Zeiten erzeugen in Bulgarien sowohl politische als auch wirtschaftliche und mentale Abhängigkeiten. Bulgarien ist das Land in der EU, das am stärksten von russischen Energielieferungen abhängig ist, nicht nur von Gaslieferungen, sondern auch von Öl und Brennstoff für das AKW Kosloduj. Die 500.000 russischen Touristen jährlich sind ein weiterer wichtiger Wirtschaftsfaktor, ebenso wie die geschätzt 50.000 Russen, die Immobilien in Bulgarien gekauft haben.

Alexander Andreev ist Leiter der Bulgarischen DW-RedaktionBild: DW

Die bulgarische Armee, die zur NATO gehört, ist weitgehend mit Waffen und Gerätschaft aus der Sowjetzeit ausgerüstet, die sowjetischen Kampfjets MiG müssen in Russland gewartet werden. Ein Teil der heute hochrangigen Offiziere in der Armee ist in der ehemaligen Sowjetunion ausgebildet worden - und immer noch sehr russlandfreundlich. Es gibt sogar Auswüchse wie zum Beispiel eine Organisation der Reserve-Offiziere, die aggressiv die kriegerische Moskauer Rhetorik verbreitet. Auch die alten geheimdienstlichen Abhängigkeiten aus der Zeit vor 1989 sind nicht zu unterschätzen. Ehemalige Mitarbeiter der kommunistischen bulgarischen Staatssicherheit sind immer noch in Politik und Wirtschaft aktiv. Und die unzähligen Spionageskandale, die russische Netzwerke in Bulgarien sichtbar gemacht und die Ausweisung mehrerer russischer Diplomaten verursacht haben, sprechen für sich. 

Bulgarien, Nordmazedonien und die russischen Balkan-Ansprüche

Mit dem russischen Krieg in der Ukraine und mit den bulgarischen Abhängigkeiten von Moskau ist eine weitere politische Entwicklung, wenn auch nicht so sichtbar, eng verbunden: das bulgarische Veto gegen den Start der EU-Verhandlungen mit Nordmazedonien

Dieses Veto wird von einer breiten Mehrheit in Bulgarien unterstützt und spielt direkt in die Hände der russischen Propaganda. Russland versteht sich seit dem 19. Jahrhundert als die Macht, die den Balkan kontrollieren will. Putin setzt diese Politik fort. Mit aller Kraft tritt er gegen die Anbindung der Balkanländer an die EU und an die NATO ein - zurzeit ist der Balkan für ihn ein weiterer bedeutender Kriegsschauplatz. Nur, dass die Kämpfe dort noch unblutig sind, es ist ein Kampf um Herzen und Köpfe. 

Kurz zusammengefasst: Was wir heute beobachten, ist der Versuch Russlands, mit Hilfe der prorussischen Eliten auf dem Balkan den Zwist zwischen Bulgarien und Nordmazedonien zusätzlich zu befeuern und die Menschen auf dem Westbalkan in ihrem Bestreben nach europäischer Integration zu verunsichern. 

Propaganda und Fake News

Und weil das Stichwort Propaganda unvermeidbar gefallen ist: Ja, es ist ein sehr schmutziger Krieg, der in Bulgarien geführt wird. Angefangen von der manipulativen und teilweise obszönen Wortwahl der russischen Botschafterin in Sofia ("Bulgarien, die euroatlantische Bettpfanne") bis hin zu der unermüdlichen Arbeit von Hunderten bezahlter oder freiwilliger Nutzer in den sozialen Netzwerken, die rund um die Uhr Putin und den Krieg loben und die Ukrainer pauschal als Nazis und Faschisten diffamieren. Beobachter behaupten, dass ganze Trollfabriken um die Deutungshoheit in Bulgarien kämpfen. Auf Facebook beispielsweise finden sich zu Nachrichten über die Gräuel des Krieges in der Ukraine überwiegend Pro-Putin-Postings, teilweise mit zynischen Smiley-Emoticons. 

Eleonora Mitrofanowa, russische Botschafterin in Sofia Bild: BGNES

Es sind aber nicht nur die Trolle, die Bots und die teilweise "berufsmäßigen" User, die die Kreml-Propaganda in Bulgarien verbreiten. Leider berichten auch manche Medien mit offener oder verdeckter Sympathie über Putins Krieg, über seine Ziele und seine aus der Luft gegriffenen Behauptungen. Ein öffentlich-rechtlicher Hörfunkmoderator, der Betreiber eines Infoportals oder eine einflussreiche Nachrichten-Webseite, die nachweislich russische Propaganda der schlimmsten Art verbreiten - sie alle multiplizieren die zynischen Stichwörter aus Moskau und laden als Interviewpartner nachweisliche Scharlatane oder russlandfreundliche Politiker ein. Und das alles läuft unter dem scheinheiligen Motto der Meinungsvielfalt. Anders gesagt: Sie verbreiten Fake News, Lügen und Propaganda am laufenden Band und blocken alle Einwände mit Verweis auf die Meinungsfreiheit ab.

Ähnlich agierten diese "Medien", "Journalisten", Youtuber, Influencer oder Online-Foren auch während der Corona-Pandemie, sprachen andauernd von der "COVID-Lüge" und machten Stimmung gegen die Impfkampagnen. Viele Medien in Bulgarien sind wortwörtlich von politischen und wirtschaftlichen Interessen gekapert.Das Land ist nicht von ungefähr Schlusslicht in Sachen Medienfreiheit - nicht nur in der EU, sondern selbst auf dem Balkan. Bulgarien ist auch das erwiesenermaßen korrupteste Land in der Europäischen Union, mit einer Justiz, die diesen Namen nicht verdient. Ein Teil der bulgarischen Intelligenzija ist per se russlandfreundlich, Militär und Geheimdienste stehen immer noch im Verdacht, alte Seilschaften aus der Sowjetzeit zu pflegen. Unter dem Strich: Man kann sich kaum einen besseren Nährboden für den russischen Einfluss vorstellen.  

"Nato raus aus Bulgarien" - prorussische Demonstration in Sofia (21.03.2022)Bild: BGNES

Bulgarien, das Trojanische Pferd Russlands

Bulgarien - ein Land, das nicht selten als Trojanisches Pferd Moskaus in der EU und der NATO bezeichnet wird. Ein Land, das ein russisches Sprichwort so beschreibt: "Das Hähnchen ist kein Vogel, Bulgarien ist kein Ausland." Welch schauderhaftes Sprichwort, wenn man bedenkt, dass noch zu Zarenzeiten Bulgarien als eigenes Territorium jenseits der Donau galt. Und das sich zu Sowjetzeiten zweimal als 16. Sowjetrepublik beworben hat. Ein Land am Schwarzen Meer, das nur ein paar hundert Kilometer Luftlinie von den Kriegsschauplätzen in der Ukraine liegt.  

Ein durch und wegen Russland tiefgespaltenes Land, das sich nach dem Stopp der russischen Gaslieferungen auch auf eine unsichere wirtschaftliche und politische Zukunft vorbereiten muss. 

Dieser Text ist eine gekürzte Fassung des Vortrags "Der Krieg und die russischen Einflüsse in Bulgarien", den Alexander Andreev bei der Jahresversammlung des Deutsch-Bulgarischen Forums in Berlin am 26. April 2022 gehalten hat. 

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