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Politik

Bulgarien: Eine bunte Koalition regiert

Christopher Nehring
13. Dezember 2021

Harvard-Manager, Konservative, Sozialisten und Populisten bilden die neue bulgarische Regierung. Was wollen sie? Und kann das funktionieren?

Bulgarien | neue bulgarische Regierung
Ministerpräsident Kiril Petkow (am Pult vorne im Bild) mit den Mitgliedern der neuen bulgarische RegierungBild: BGNES

Seit dem 3. April 2021 oder genau 254 Tage war Bulgarien ohne gewählte Regierung. Am 13. Dezember 2021 bestätigte das Parlament in der Hauptstadt Sofia nun endlich eine neue Regierung, die durch eine Wahl legitimiert ist. Gebildet hat diese eine bunte Vier-Parteien-Koalition. Neben den Überraschungswahlsiegern von der neuen Partei Wir setzen den Wandel fort (PP) gehören ihr die Populisten von Es gibt so ein Volk (ITN), die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) und die konservativ-liberale Partei Demokratisches Bulgarien (DB) an. "Heute ist ein wichtiger Tag, um den Wandel des Denkens und der Regierung fortzusetzen", kommentierte der neue Ministerpräsident Kiril Petkow seine Wahl.

Experten sehen noch einen weiteren Machtfaktor in der neuen Regierung: den gerade wieder gewählten Staatspräsidenten Rumen Radew. "Eigentlich ist es also logisch, von einer Koalition aus fünf Partnern zu sprechen", sagt Parwan Simeonow, der Direktor des Meinungsforschungsinstituts Gallup International Balkans, dem bulgarischen Online-Portal Mediapool. Ein Beweis für Radews Bedeutung ist der Umstand, dass mit Petkow (Premier), Assen Wassilew (Finanzen), Bojko Raschkow (Inneres) und Stefan Janew (Verteidigung) vier Mitglieder der im April vom Präsidenten ernannten Übergangsregierung auch in der neuen Koalition wichtige Ministerien besetzen.

Präsident Rumen Radew (r.) übergibt Premier Kiril Petkow (l.) dessen ErnennungsurkundeBild: Valentina Petrova/AP/picture alliance

"Ihnen und ihren Partnerparteien in der Koalition kommt die Verantwortung zu, das bösartige Modell der Macht zu reformieren, das sie von einer zwölfjährigen autoritären Regierung geerbt haben", hatte Präsident Radew zuvor Kiril Petkows Kabinettsvorschlag kommentiert. Neben der unverhohlenen Spitze gegen den Ex-Premier Bojko Borissow umriss Bulgariens Staatschef damit die wichtigsten Aufgaben der neuen Regierung: Korruptionsbekämpfung und Justizreform, die im Koalitionsvertrag an erster Stelle stehen. Ambitioniert ist das dort formulierte Ziel, das EU-Land auf dem Balkan zum Vorbild für andere Staaten bei der Korruptionsbekämpfung zu machen.

Große Veränderungen werden auch im Politikstil erwartet. Während der Ex-Premier Borissow von seinen Anhängern für seine einfache Sprache und Volkstümlichkeit geschätzt wird, sind Petkow und Wassilew Technokraten. Wirtschaft und Finanzen gehören zu den Spezialgebieten der beiden Harvard-Absolventen. An der US-Eliteuniversität haben auch viele andere aus Petkows Kerntruppe studiert. Dieses Personal will der neue Premier dort zum Einsatz bringen, wo er die größten Probleme sieht: Er will korrupte Mandatsträger durch seine Experten ersetzen und zudem in allen Ressorts Expertengruppen einrichten, die bei der Reform der Apparate helfen sollen.

Transparenz und Disziplinierung

Transparentes Regierungshandeln soll ein weiteres Markenzeichen der Regierung Petkow werden. Die Koalitionsverhandlungen übertrug PP live im Internet. Das hatte auch eine unverkennbar disziplinierende Wirkung: "Niemand schlug auf den Tisch, es gab nicht einen Streit und auch die kritischen, provokativen und zweifelnden Zwischenrufe hielten sich im Gegensatz zu vorherigen Koalitionsverhandlungen in Grenzen", sagt der Politikexperte Jassen Bojadschiew der DW.

Wesela Tschernewa, Direktorin des European Council on Foreign Relations (ECFR) in SofiaBild: BGNES

Messen lassen muss sich die neue Regierung auch an dem im Koalitionsvertrag festgehaltenen "Prinzip von Einheit und Zusammenarbeit". Damit sich niemand aus der Verantwortung stehlen kann, veröffentlichte PP das Papier. "Die Parteien haben einen Vereinbarung von über 140 Seiten beschlossen, die eine Garantie geben soll, dass es in Zukunft um politische Inhalte geht. Es bleibt abzuwarten, wie viele der Parteien in der Koalition das ernst meinen", sagt Vessela Tchernewa, die Direktorin des European Council on Foreign Relations in Sofia, der DW. "Rechnerisch war dieses Regierungsbündnis die einzige Kombination, die ohne GERB (die Partei von Ex-Premier Bojko Borissow, Anm. d. Redaktion) und die DPS (Partei der türkischen Minderheit, Anm. d. Red.), die beide für Hinterzimmerpolitik stehen, möglich war. Es wird eine sehr heterogene Koalition, aber in den wichtigsten Fragen - Korruption, Justiz, Budget und Corona-Management - liegen sie gar nicht so weit auseinander", so Tchernewa weiter. 

Wie stabil ist die neue Regierung?

Die Spannungen zwischen den vier Parteien sind indes nicht zu übersehen. "Die BSP kann nicht glaubwürdig das Gesicht eines Wandels sein", sagt der parlamentarische Beobachter Georgi Angelow der DW. Die sozialistische Spitzenpolitikerin und und zukünftige Wirtschaftsministerin Kornelia Ninowa sei "bekennende COVID-Skeptikerin, Nationalistin, Anhängerin von Verschwörungstheorien und Vorkämpferin gegen 'Gender'." Deshalb hätte zum Beispiel Demokratisches Bulgarien eine Zusammenarbeit mit den Sozialisten jahrelang ausgeschlossen. Und auch jetzt schlossen die vier Parteien der neuen Regierungskoalition ihre Vereinbarung nicht etwa alle miteinander ab, sondern jede Partei unterschrieb einzeln eine Vereinbarung mit der PP. 

Kornelia Ninowa von der Bulgarischen Sozialistischen Partei ist neue Wirtschaftsministerin Bild: BGNES

Um weitere Spannungen auszugleichen, sieht der Koalitionsvertrag einen Vize-Premier pro Koalitionspartner vor. Weiterhin entsendet jede Partei einen Berater in jene Ressorts, die nicht von ihr geführt werden. "Das soll als Gegengewicht gegen eine Feudalisierung der Ministerien durch Parteien dienen", erklärte Hristo Iwanow, Co-Vorsitzender von Demokratisches Bulgarien, im Interview mit dem Bulgarischen Nationalen Radio BNR. Vertrauen in neue Partner sieht anders aus.

Was hält die Regierung zusammen?

"Was die vier Parteien vereint, ist das Verständnis, dass GERB und die DPS von der Regierung ausgeschlossen werden müssen", sagt Georgi Angelow der DW. Der Kitt, der die neue Regierung zusammenhalten soll, ist also vor allem eine klare Absage an den Langzeit-Premier Borissow. Dessen GERB-Partei ist in den Apparaten, Städten und Kommunen immer noch stark vertreten. Obwohl die neue Regierung betont, volle vier Jahre regieren zu wollen, plant sie offenbar erst einmal bis zu den Regionalwahlen 2023.

Hristo Iwanow, Ko-Vorsitzender der konservativ-liberalen Partei Demokratisches BulgarienBild: Hristo Rusev/Getty Images

"Diese Regierung ist eine Brücke zwischen der Borissow-Ära und einem neuen Regierungsstil", meint Hristo Iwanow. "Es kann sein, dass es bis zu den Regionalwahlen dauert, bis diese politische Konstruktion zu etwas Stabilem wird." Ex-Premier Bojko Borissow kommentierte das neue Kabinett am Samstag in der ihm eigenen Art: "Nach dieser Regierung wird es eine Katastrophe geben."

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