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Politik

Bulgarien im Dauerwahlmodus

Christopher Nehring
7. September 2021

Das Parlament in Sofia beschließt einen Termin für die Präsidentschaftswahl - und die Sozialisten scheitern mit der Regierungsbildung. Damit stehen auch Wahlen zum Parlament an, zum dritten Mal in diesem Jahr.

Rumen Georgiew Radew I Staatspräsident Bulgarien
Präsident Rumen Radew ist der große Gewinner des politischen Jahres 2021 in BulgarienBild: picture-alliance/J. Ratz

Bulgarien wählt am 14. November einen neuen Präsidenten. Was wie eine politische Pflichtübung klingt, war eines der wichtigsten politischen Ereignisse des Sommers. Denn die politische Lage in Bulgarien ist verfahren. Parteipolitische Grabenkämpfe, gescheiterte Regierungsbildungen und zwei Parlamentswahlen in einem Jahr haben sich zu einem Dickicht verflochten.

Zur Erinnerung: Im April und im Juli dieses Jahres haben die Wählerinnen und Wähler Bulgariens ein neues Parlament gewählt. Doch nach beiden Abstimmungen konnte keine der Parteien eine Regierung bilden. Stattdessen amtiert eine von Präsident Rumen Radew eingesetzte Übergangsregierung aus Experten, Politneulingen und Köpfen der Protestbewegung des Sommers 2020.

Parwan Simeonow, Direktor des Meinungsforschungsinstituts Gallup International BalkansBild: Parvan Simeonov/Gallup International Bulgaria

Für Präsident Radew, der 2017 als Kandidat der oppositionellen Sozialisten gewählt wurde und seitdem zum Erzfeind des langjährigen, umstrittenen Ex-Premiers Bojko Borrisow avancierte, brachte das Jahr 2021 einen enormen Bedeutungszuwachs. Ähnlich wie in den meisten europäischen Ländern verfügt das Staatsoberhaupt in Bulgarien unter normalen Umständen nur über begrenzte politische Vollmachten. Seine Bedeutung wächst erst, wenn es zu einem Machtvakuum kommt. Denn in Zeiten des Interregnums setzt der Präsident die Übergangsregierung ein und entscheidet über die Auflösung des Parlaments - und damit auch über Neuwahlen.

Radew hat mit der Zusammenstellung der Übergangsregierung nicht nur geschickt neue politische Persönlichkeiten in Stellung gebracht, sondern auch dafür gesorgt, dass Korruption und Machtmissbrauch unter Borissow ans Tageslicht kamen. "Präsident Radew ist der große Gewinner der Protestwelle und des aktuellen politischen Patts", sagt Parwan Simeonow, Direktor des Meinungsforschungsinstituts Gallup International Balkans, der DW. "Nach dem Ende der Ära Borissow ist er die stärkste politische Figur." Dies schlägt sich auch in Umfragewerten nieder, in denen der Präsident die Liste der beliebtesten bulgarischen Politiker anführt.

Fingerzeig an Präsident Radew

Eben deshalb ist die Ansetzung der Präsidentschaftswahl, bei der Radew bislang als Favorit gilt, von höchster politischer Bedeutung. Dies zeigte sich nur einen Tag nach der Verkündung des Termins: Unerwartet erklärte die Vorsitzende der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP), Kornelia Ninowa, das Mandat zur Regierungsbildung an diesem 7. September zurückgeben zu wollen. Eine erneute Parlamentswahl - die dritte in diesem Jahr - ist damit unausweichlich.

Konnte keine Regierung bilden: Die Sozialisten-Chefin Kornelia NinowaBild: BGNES

Die Rückgabe des Mandats durch Ninowa ist ein klarer Fingerzeig an Präsident Radew. Dieser hatte die BSP als drittstärkste Kraft mit der Regierungsbildung beauftragt. Zwar stand schon vorher fest, dass die Sozialisten keine Regierung bilden wollten. Aber sie hatten angekündigt, das Mandat erst in zwei Wochen zurückzugeben, damit das Parlament den dringend benötigten Haushalt verabschieden könne.

Ende der Übergangsregierung

Mit ihrer Kehrtwende setzt die BSP nun den Präsidenten unter Druck: Radew kann jetzt das Parlament sofort aufzulösen und damit die Arbeit der beliebten Übergangsregierung abrupt beenden. Oder er verzögert die Auflösung des Parlaments, was jedoch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Parlament und Präsident zeitgleich im November gewählt werden. Radew hatte sich immer wieder gegen dieses Modell ausgesprochen. Zuletzt erklärte er am vergangenen Freitag: "Doppelwahlen widersprechen dem Geist der Verfassung und stehen derzeit nicht auf der Tagesordnung."

Bulgariens langjähriger, umstrittener Ministerpräsident Bojko BorissowBild: BGNES

Nicht ohne eine gewisse Schadenfreude kommentierte Ex-Premier Borissow die vertrackte politische Situation vergangene Woche mit den Worten: "Wenn ihr es nicht könnt, holt mich, ich werde euch den Job wieder erledigen." Unterdessen spekuliert das politische Sofia seit Wochen laut über eine mögliche Parteigründung zweier Minister der Übergangsregierung, Kiril Petkow (Wirtschaft) und Asen Wasilew (Finanzen). Der Interims-Premier Stefan Janew erklärte jüngst öffentlich, dass er für ein solches Projekt stimmen würde. Doch die beiden Shootingstars halten sich bedeckt, wohl auch, weil die Zeit bis zur nächsten Parlamentswahl zu knapp sein dürfte, um eine neue politische Struktur zu schaffen.

Parteienkrise und Isolation

Unzweifelhaft befindet sich Bulgarien in einer Krise. Der Politologe Daniel Smilow sagt der DW, dass es sich dabei vor allem um eine Parteienkrise handele. Das bulgarische Parteiensystem sei seit den Massenprotesten des Sommers 2020 kräftig durcheinandergewirbelt worden: "Gleich drei neue Protestparteien sind ins Parlament eingezogen", so Smilow. "Doch bereits nach der April-Wahl isolierten sich nahezu alle Parteien entweder selbst oder gegenseitig."

Slawi Trifonow, Vorsitzender der Partei "Es gibt so ein Volk"Bild: TV/Handout/REUTERS

Bestes Beispiel dafür war der erfolglose Regierungsbildungsversuch der Populisten von "Es gibt so ein Volk" unter Führung des Showmasters Slawi Trifonow, die stur jede Koalitionsbildung ablehnten. "Nach der Juli-Wahl wurde erwartet, dass zumindest die Protestparteien diese Isolation aufgeben, doch es passierte das Gegenteil", sagt Parwan Simeonow. "Bei der dritten Wahl wird es zu Koalitionen und Kompromissen keine Alternative geben."

Paradoxerweise scheint die politische Dauerkrise in der bulgarischen Gesellschaft ein Umdenken bewirkt zu haben. Professor Georgi Lozanow, Medienexperte der Sofioter Universität, spricht gar von einer Aufbruchstimmung der Eliten: "Bulgarien hat einen Umkehrpunkt erreicht, still und heimlich macht sich ein Wandel bemerkbar - die Abkehr vom Prinzip der Ein-Mann-Parteien." Lozanow diagnostiziert Ermüdungserscheinungen der Bevölkerung gegenüber politischen Heilsbringern. Stattdessen steige der Wunsch nach Sachpolitik.

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