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Im Mausoleum des kommunistischen Diktators Georgi Dimitroff

04:20

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Mariya Milkova | Ognyan Penev
21. November 2024

1992 bekam Ewgeni Dimitrow als erster Fotograf überhaupt Zugang zum Keller unter dem Mausoleum von Georgi Dimitroff, dem 1949 verstorbenen Führer des kommunistischen Bulgariens in der Stalin-Ära. 32 Jahre später kehrt die DW zusammen mit dem Fotografen zurück.

Der Bulgare Georgi Dimitroff war einer der wichtigsten Parteigänger des sowjetischen Diktators Josef Stalin. Dimitroff war Präsident der Kommunistischen Internationale, dann Bulgariens erster kommunistischer Ministerpräsident. International bekannt wurde er 1933, als er in Nazi-Deutschland wegen Brandstiftung im Prozess zum Berliner Reichstagsbrand angeklagt - und freigesprochen werden musste.

Die DW besucht mit dem Fotografen Ewgeni Dimitrow die Überreste des kommunistischen Regimes, das Bulgarien über 40 Jahre beherrschte - eine Reise in eine Vergangenheit, in der Kinder sich vor der Mumie eines Diktators verbeugen mussten.

 

Hier können Sie das Manuskript des Beitrags lesen: 

In dieser bulgarischen Zeitung erschien im Januar 1992 ein Beitrag, der vor dem Ende der kommunistischen Diktatur 1989 undenkbar gewesen wäre: Eine Recherche des Fotografen Ewgeni Dimitrow.

+++ Ewgeni Dimitrow, Fotograf
"Damals veröffentlichten wir zum ersten Mal Aufnahmen aus den unterirdischen Räumen des Mausoleums, wo seit Dimitroffs Tod 1949 sein einbalsamierter Körper, die Mumie, konserviert worden war."

Über 40 Jahre wurde der einbalsamierte Körper von Georgi Dimitroff, Bulgariens erstem kommunistischen Führer, im Mausoleum in Sofia öffentlich zur Schau gestellt. Der unterirdische Teil des Gebäudes jedoch war nur für wenige eine Handvoll Menschen zugänglich.

+++ Ewgeni Dimitrow
"Für die untere Etage galt eine besondere Sicherheitsstufe."

1990 wurde Dimitroffs Leiche eingeäschert und begraben. Zwei Jahre später gelang es dem Fotografen, den Keller des Mausoleums zu besichtigen und Fotos für die renommierte Wochenzeitung "1000 Tage" zu machen. Der leere Sarkophag war damals noch da.
Heute, 32 Jahre später, steigt der Fotograf erneut in den Keller, um herauszufinden, was in den unterirdischen Räumen unter dem Mausoleum erhalten geblieben ist.

+++ Ewgeni Dimitrow
"Das Mausoleum von Georgi Dimitroff war ein heiliger Ort im kommunistischen Bulgarien."

Das Mausoleum wurde unmittelbar nach Dimitroffs Tod 1949 erbaut. 

+++ Ewgeni Dimitrow
"Die Menschen, mit denen ich 1992 gesprochen habe, waren sehr stolz auf ihre Arbeit an der Mumie. Sie waren gerne bereit, mir alles über deren Konservierung zu erzählen - über die Abläufe, über die Technologie."

Die Einbalsamierungs-Technologie war damals dank sowjetischer Erfahrungen auf dem neuesten Stand. In diesem Raum etwa hielten in der Sowjetunion hergestellte Anlagen eine konstante Temperatur.

+++ Ewgeni Dimitrow
"Hier geht es nach oben, wo die Mumie lag."

"Wir befinden uns nun in der Halle unter dem Sarkophag von Georgi Dimitroff. Regelmäßig wurde die Mumie mit einem Aufzug hinunter transportiert, um behandelt zu werden."

Der Leichnam wurde von einem Team bulgarischer Wissenschaftler betreut.

+++ Ewgeni Dimitrow
"Sie waren sehr glücklich, dass sie auf der Technologie aufbauen konnten, die bei der Einbalsamierung des Gründers der Sowjetunion Wladimir Iljitsch Lenin verwendet worden war. Ganz neu waren optische Fasern, die das Licht zum Gesicht des Leichnams leiteten, damit die Haut nicht trocken oder verbrannt wird."

Alle sechs Wochen wurde der Körper mit speziellen Chemikalien behandelt. Dabei wurden jedes Mal Gewebeproben entnommen und untersucht.

+++ Ewgeni Dimitrow
"Sie zogen ihm einen Latex-Overall an, dann darüber den Anzug. Nur die Hände und der Kopf blieben frei und sichtbar. Dann ging es mit dem Aufzug wieder nach oben, wo die Kinder dann die Leiche des “Führers und Lehrers“ bewundern durften."

Eines dieser Kinder war Ewgeni selbst.

+++ Ewgeni Dimitrow

"Ich bin in den 1970er und 80er Jahren aufgewachsen, als der Zynismus gegenüber dem kommunistischen Regime in Bulgarien schon sehr verbreitet war. Für mich war der Besuch im Mausoleum nur eine dieser lästigen Verpflichtungen, die man ausführen musste, um in der Schule nicht gescholten zu werden."

"Der Kommunismus ist eine Religion. Diese Religion braucht ihre Tempel, ihre Mausoleen, ihre Mumien, ihre Kultgegenstände, damit die Menschen sie anbeten und an sie glauben können."

Das Mausoleum selbst wurde im August 1999 gesprengt.
Nach dem Sturz der kommunistischen Diktatur 1989 war darüber diskutiert worden, Dimitroffs Grabmal in ein Museum oder eine Galerie umzuwandeln. Heute befindet sich dort ein Parkplatz

+++ Ewgeni Dimitrow
"Seit dem Ende der kommunistischen Diktatur sind mehr als 30 Jahren vergangen. Ich habe damals gehofft, dass sich nun das Bewusstsein [der Gesellschaft] ändern würde. Dass der Rückblick auf die Vergangenheit, diese Gewalt, in der wir gelebt haben, kritischer werden würde. Stattdessen kommt Nostalgie auf nach einer Zeit, die gar nicht schön war."

"Dreißig Jahre haben offensichtlich nicht ausgereicht, um mit einem nüchternen und unvoreingenommenen Blick auf die Vergangenheit zu schauen und daraus zu lernen. Stattdessen spaltet sie uns weiter."