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Politik

Bulgarien: Sieg eines ambivalenten Staatschefs

22. November 2021

Der bulgarische Staatspräsident Rumen Radew wurde für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Er hat sich als Kämpfer für den Rechtsstaat und gegen Korruption profiliert. Wofür er wirklich steht, ist unklar.

Rumen Radew bei einem Pressestatement nach der Stichwahl (21.11.2021)
Wahlsieger Radew: "Bulgarien kommt aus der Sackgasse"Bild: Nikolay Doychinov/AFP/Getty Images

Bulgarien hat in den vergangenen Monaten viele politische Überraschungen erlebt - mehrfache Parlamentswahlen, kometenhafte Aufstiege neuer Parteien, Weigerungen von Wahlsiegern, eine Regierung zu bilden. Doch diesmal ging es unspektakulär zu: Am Sonntag (21.11.2021) wurde in der Stichwahl für den Posten des Staatspräsidenten der bisherige Amtsträger Rumen Radew mit klarer Mehrheit wiedergewählt - so wie es die Umfragen vorausgesagt hatten. Der 58-jährige Kampfpilot und frühere bulgarische Luftwaffenchef Radew erhielt rund 67 Prozent der Stimmen. Sein Herausforderer, der konservative Universitätsprofessor Anastas Gerdschikow, kam nur auf 32 Prozent.

In Bulgarien geht damit ein historischer Wahlmarathon zu Ende: Drei Mal mussten die Bulgaren in diesem Jahr ein neues Parlament wählen - zum ersten Mal in einer regulären Wahl im April, dann bei zwei weiteren Gelegenheiten, weil zuvor Regierungsbildungen jeweils gescheitert waren. Parallel zur Parlamentswahl am 14. November fand auch die erste Runde der regulären Präsidentschaftswahl statt. Dabei verfehlte Radew die absolute Mehrheit jedoch knapp.

Kiril Petkow und Assen Wassilew von der Partei Wir setzen den Wandel fort (PP) nach der Parlamentswahl am 14.11.2021Bild: Valentina Petrova/AP/picture alliance

Nach seinem Gewinn in der zweiten Runde erklärte Radew das Ende der bisherigen politischen Ära mit ihren ungezählten Affären um Machtmissbrauch und Korruption und verkündete einen Neuanfang für Bulgarien: Die Bürger hätten "für den Wandel, für einen Bruch mit der Korruption, mit Plünderung und Rechtlosigkeit, für eine Vertreibung der Mafia von der Macht" gestimmt, sagte der alte und neue Staatschef. "Bulgarien kommt aus der Sackgasse", so Radew.

Wendepunkt für Bulgarien

Obwohl das Amt des Staatspräsidenten in Bulgarien eher repräsentativ und nur mit wenigen Vollmachten verbunden ist, stellt Radews Wiederwahl tatsächlich einen Wendepunkt dar. Der Staatschef wurde in der Wahlkampagne von jenen neuen Reformparteien unterstützt, die bei der Parlamentswahl am 14. November eine Mehrheit erzielt hatten, darunter auch vom Wahlsieger, der erst im Sommer gegründeten Partei "Wir setzen den Wandel fort" (PP). Sie wollen nun eine Koalition bilden, die einschneidende Justiz- und Antikorruptionsreformen durchsetzen will. Radew hat dafür seine Unterstützung zugesagt.

Ex-Premier Borissow bei der Stimmabgabe zur Parlaments- und ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 14.11.2021Bild: Dimitar Kyosemarliev/AFP

Zu Ende geht nun auch ein jahrelanger Krieg zwischen Präsident und Ex-Premier. Radew war ein erbitterter Gegner des bis April amtierenden Regierungschefs Bojko Borissow und seiner Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens). Die war einst als gemäßigt konservative, proeuropäische Partei angetreten, gilt aber vielen Bulgaren längst als Inbegriff von Korruption und Machtmissbrauch. "Die Wählerinnen und Wähler haben bei der Präsidentschaftswahl noch einmal dieselbe Botschaft gesandt wie bei allen vorherigen Abstimmungen in diesem Jahr", sagt der Politologe Daniel Smilow vom Sofioter Zentrum für Liberale Studien (CLS) der DW. "Die Mehrheit lehnt das bisherige Regierungsmodell unter Borissow ab und will etwas Neues."

Relativierung der totalitären Vergangenheit

Es ist allerdings fraglich, ob Radew den Wunsch nach einem Wandel uneingeschränkt repräsentieren kann. Der ehemalige Kampfpilot war einst Mitglied der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) - wie auch der Ex-Premier Borissow - und hat die besonders schwerwiegende totalitäre Vergangenheit Bulgariens immer wieder relativiert. Er begann seine politische Karriere 2016 mit der Unterstützung der Sozialisten (BSP), der Nachfolgepartei der Kommunisten, die schon lange durch Nationalismus, Homophobie und Putin-Sympathien auffällt.

Rumen Radew während der Kampagne zur Präsidentschaftswahl im November 2016Bild: Reuters/P. Ganev

Nachdem Radew im November 2016 erstmals zum Staatschef gewählt wurde, hatte seine Gegnerschaft zu Borissows Regime lange Zeit einen parteipolitischen Beigeschmack. Das änderte sich erst im vergangenen Jahr: Im Juli 2020 durchsuchten Ermittler seinen Amtssitz. Die politisch motivierte Aktion erfolgte auf Befehl des umstrittenen Generalstaatsanwalts Iwan Geschew, dessen Ernennung Radew im Jahr zuvor vergeblich versucht hatte zu verhindern und der Korruptionsermittlungen immer wieder blockiert.

"Persönliche Entwicklung durchgemacht"

Die Durchsuchung von Radews Amtssitz fand in einer Zeit statt, als bereits zehntausende Menschen auf den Straßen Bulgariens gegen Borissows Regime protestierten und eine zivile Massenbewegung für Reformen entstand. Radew positionierte sich nach der Durchsuchung als eine starke Stimme des Protests. Der Politologe Smilow glaubt, dass das nicht nur Kalkül war. "Ich denke, er hat damals eine persönliche Entwicklung durchgemacht", so Smilow zur DW. "Seitdem tritt er wirklich glaubwürdig als Kämpfer gegen Korruption auf und ich denke, er meint es wirklich ernst."

Bulgariens Staatschef Rumen Radew bei Protesten im Juli 2020 nach der Durchsuchung seines AmtssitzesBild: Reuters/S. Nenov

Die Politikwissenschaftlerin Vessela Tcherneva vom Sofioter Büro des European Council on Foreign Relations (ECFR) sagt der DW, Radew müsse nun unter Beweis stellen, wie glaubwürdig er sei. "Er kann das tun, indem er Reformgesetze einer neuen Koalition unterstützt, vor allem aber, indem er sich mit symbolischen Gesten hinter eine neue Reformkoalition stellt."

Fragwürdige Haltung zu Russland

Der wohl umstrittenste Punkt in Radews bisheriger Amtszeit ist seine Haltung zu Russland. Er galt zu Beginn seiner Präsidentschaft vor allem im Ausland als prorussisch. Obwohl diese Perzeption bereits damals ungenau war, provoziert er immer wieder Konflikte mit zweifelhaften Aussagen zu Russland. Mehrfach forderte er ein Ende von antirussischen Sanktionen. In der vergangenen Woche erklärte er in einem Fernsehduell mit seinem Konkurrenten Anastas Gerdschikow, man müsse eine "pragmatische Beziehung zu Russland" haben. Dann formulierte er den folgenschweren Satz: "Die Krim ist zur Zeit russisch, was sonst." Er sorgte damit nicht nur für immensen innenpolitischen Wirbel, sondern löste auch eine diplomatische Krise mit der Ukraine aus.

Die Politologin Tcherneva glaubt, dass sich Radew in der Debatte unbeabsichtigt auf Glatteis habe locken lassen. Unabhängig davon hänge er aber einer in Bulgarien verbreiteten außenpolitischen Idee an, "und zwar, dass man als kleines Land gegenüber den großen geopolitischen Akteuren ein Gleichgewicht bewahren sollte". Radew habe in den ersten Präsidentschaftsjahren "teilweise eine falsche Einschätzung" gehabt, wie dieses Gleichgewicht aussehen solle. "Er hat dann aber gezeigt, dass er eigentlich nicht prorussisch ist, sondern Bulgarien bei seiner transatlantischen, prowestlichen Linie bleibt."

Bald nur noch zweite Geige?

Daniel Smilow sieht wahltaktische Gründe hinter prorussischen Aussagen Radews, da viele Bulgaren große Sympathien für Russland empfinden würden, was allerdings nicht mit Zustimmung für Putin zu verwechseln sei. "In jedem Fall existiert eine Doppeldeutigkeit in Radews Haltung zu Russland, und das ist der fragwürdigste Teil seiner Präsidentschaft."

Mit Fragezeichen versehen bleibt vorerst auch, welche innenpolitische Rolle Radew nach seiner Wiederwahl ausfüllen will. In der seit Monaten andauernden Krise mit ihrem Machtvakuum ist er derjenige politische Akteur in Bulgarien mit dem größten Einfluss - den er laut Verfassung gar nicht besitzt. Ob er sich aus der Position des starken und politisch sehr aktiv agierenden Präsidenten zurückzieht, ist unklar.

Die Politologin Vessela Tcherneva sagt, es bleibe vorläufig eine offene Frage, ob Radew seine über die Sozialisten hinaus stark angewachsene politische Unterstützung auch parteipolitisch instrumentalisieren wolle. Ihr Kollege Daniel Smilow glaubt hingegen, Radew werde zurückstecken müssen. "Ich denke nicht, dass die Führer der Reformparteien ihre Projekte aus der Hand geben werden. Radew wird sich damit abfinden müssen, bald nur noch die zweite Geige zu spielen."