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PolitikEuropa

Bulgarien: Warum wurde Borissow festgenommen?

18. März 2022

Völlig überraschend nahm die Polizei in Bulgarien den umstrittenen Ex-Premier Bojko Borissow fest - ohne Anklage und Begründung. Ein politisches Manöver oder Beginn eines echten Kampfes gegen Korruption?

Bulgariens Ex-Regierungschef Borissow festgenommen
Bulgariens Ex-Premier Bojko BorissowBild: Ye Pingfan/imago/Xinhua

Er war mehr als ein Jahrzehnt lang der starke Mann Bulgariens. Er trat einst mit einem Antikorruptionsprogramm an - und unter ihm versank Bulgarien in Korruptionsaffären. Immer wieder gewann er Wahlen, und immer wieder gab es Massenproteste gegen ihn. Vor knapp einem Jahr wurde er schließlich abgewählt: Bojko Borissow, Ex-Premierminister und Chef der national-konservativen Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB). Nun geschah, was viele im Land längst für überfällig hielten: Am Donnerstagabend (17.03.2022) kam er in Haft.

Die Festnahme Borissows ist eines der spektakulärsten politischen Ereignisse der vergangenen Jahre in Bulgarien. Denn die von vielen geforderte, aber bisher nicht erfolgte juristische Abrechnung mit dem vom Ex-Premier errichteten Klientelsystem bestimmt seit langem die innenpolitische Agenda des Landes. Mit dem Antritt der Reformregierung unter Premier Kiril Petkow Mitte Dezember 2021, die sich den Kampf gegen die Korruption und eine strikte Justizreform auf die Fahnen geschrieben hat, rückt das erstmals in greifbare Nähe.

Widersprüchliche Informationen

Dennoch kam Borissows Festnahme für die bulgarische Öffentlichkeit und Politik völlig überraschend. Vor allem wegen ihrer Umstände: Borissow wurde nicht auf Initiative der Staatsanwaltschaft, sondern durch die Polizei festgenommen. Eine konkrete Anklage gegen den Politiker liegt bislang nicht vor.

Laura Kövesi, die Chefin der EU-Staatsanwaltschaft, und Bulgariens Premier Kiril Petkow am 16.03.2022 in SofiaBild: Georgi Paleykov/NurPhoto/picture alliance

Die Polizei hat das Recht, Verdächtige bis zu 24 Stunden festzusetzen. Das bulgarische Innenministerium gab am Donnerstagabend zunächst lediglich an, dass die Festnahme im Zuge einer großen Polizeioperation im Zusammenhang mit 120 Betrugsfällen erfolgt sei, die die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) den bulgarischen Behörden übergeben habe. Die EPPO-Chefin Laura Kövesi war nur wenige Stunden zuvor zu einem Besuch in Bulgarien gewesen und hatte Vertreter von Regierung und Justiz getroffen.

"Intransparent und verwirrend"

Am Freitag (18.03.2022) wurde die Information zur Festnahme von Borissow von der Webseite des Innenministeriums entfernt. Die Staatsanwaltschaft Sofia teilte zugleich mit, gegen Borissow werde wegen Erpressung ermittelt; die EPPO sei dabei nicht zuständig und auch nicht mitbeteiligt. Auf Anfrage der DW wollte eine Sprecherin der EPPO weder bestätigen noch dementieren, dass ihre Institution etwas mit der Festnahme von Borissow zu tun habe.

Polizeiwagen vor dem Wohnhaus von Ex-Premier Bojko Borissow am 17.03.2022 in SofiaBild: BGNES

"Die Festnahme Borissows ist völlig unerwartet für die gesamte bulgarische Öffentlichkeit und hat etwas sehr Seltsames", sagt der Investigativjournalist Assen Jordanow vom Portal Bivol der DW. "Es gibt keine exakten Informationen dazu, man weiß nicht, woher die Anordnung zur Festnahme kam und was Borissow vorgeworfen wird. Diese Intransparenz ist nicht in Ordnung und sie ist sehr verwirrend für die bulgarische Gesellschaft." Jordanow und seine Kollegen vom Portal Bivol haben zu hunderten Korruptionsfällen recherchiert, in die der Ex-Premier und sein Umfeld verwickelt sein sollen. "Borissow hat sich zweifellos schwere Verfehlungen zuschulden kommen lassen und gegen ihn sollte ermittelt werden", sagt Jordanow, "aber man sollte dabei nur rechtsstaatliche Methoden anwenden."

Hat Borissow einen Oligarchen erpresst?

In Bulgarien wird nun heftig darüber diskutiert, vor welchem Hintergrund Borissows Festnahme erfolgt ist und warum sie ausgerechnet jetzt stattfand. Bereits am Donnerstagabend hatte der Finanzminister Assen Wassilew die Festnahme im Zusammenhang mit der Affäre um einen ins Ausland geflüchteten bulgarischen Oligarchen gebracht: Wassil Boschkow, einer der reichsten Bulgaren, der unter anderem mit Glücksspiel-, Bank- und Investment-Geschäften zu einem Milliardenvermögen kam.

Bulgariens Ex-Premier Bojko Borissow während der Parlamentswahl im Juli 2021Bild: Spasiyana Sergieva/REUTERS

Boschkow überwarf sich offenbar vor längerer Zeit mit Borissow und flüchtete 2020 in die Vereinigten Arabischen Emirate. Gegen ihn liegen zahlreiche Anklagen in Bulgarien vor, unter anderem wegen Steuerhinterziehung. Boschkow selbst wirft Borissow Erpressung vor und behauptet, Schmiergelder in zweistelliger Millionenhöhe an ihn und sein Umfeld gezahlt zu haben.

Der Investigativjournalist Nikolai Staikow von der Nicht-Regierungsorganisation Anti-Korruptionsfonds (AKF) hält es für möglich, dass der Borissow-Boschkow-Komplex jetzt aufgearbeitet wird. "Wir haben dazu schon vor langer Zeit recherchiert", sagt Staikow der DW. "Die Festnahmen und Beschlagnahmungen, die jetzt erfolgen, hätte es schon vor Jahren geben müssen, wenn wir eine unabhängige Staatsanwaltschaft gehabt hätten."

Streit um Haltung zum Krieg in der Ukraine

Einige Beobachter spekulieren auch darüber, dass es sich bei der Festnahme Borissows um eine Einzelaktion des Innenministers Bojko Raschkow handeln könne. Raschkows persönliche Feindschaft zu Borissow ist in Bulgarien kein Geheimnis; der Innenminister lässt seit Monaten alte Ermittlungen gegen Borissow wegen Korruption wieder aus den Schubladen hervorholen.

Bulgariens Premier Kiril Petkow (l.) und Staatschef Rumen RadewBild: BGNES

Andere wiederum bringen die Festnahme Borissows in Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und der bulgarischen Haltung dazu. Die Regierung unter Premier Kiril Petkow stürzte seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine in eine politische Krise. Einige Parlamentsabgeordnete und Koalitionsmitglieder, darunter die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP), scheuen sich, den Krieg beim Namen zu nennen und die Ukraine zu unterstützen. Ende Februar entließ Premier Petkow deshalb den Verteidigungsminister Stefan Janew.

Politischer Wendepunkt

Aktuell streitet die Regierung um die Lieferung von S-300-Flugabwehrraketen an die Ukraine. An diesem Freitag will der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Sofia Gespräche darüber führen. "Möglicherweise geht es darum, mit der Festnahme Borissows die öffentliche Aufmerksamkeit von dem heiklen Thema Waffenlieferungen abzulenken", sagt der Bivol-Journalist Assen Jordanow.

Der Politologe Daniel Smilow vom Sofioter Zentrum für liberale Strategien (CLS) sieht Bulgarien mit der Festnahme Borissows in jedem Fall an einem politischen Wendepunkt angekommen. "Jetzt wird sich das Schicksal der erst seit drei Monaten amtierenden Reformregierung entscheiden", sagt Smilow der DW. "Entweder geht es um eine gut begründete Festnahme, dann kann sie den Beginn eines Kampfes gegen Korruption markieren. Oder sie ist nur ein politisches Manöver, dann ist sie sehr kontraproduktiv und wird in einer schweren politischen Krise münden."