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"Ich bewundere Merkels Menschlichkeit"

Alexander Andreev16. März 2016

Bulgarien erwartet von dem EU-Türkei-Abkommen, dass alle EU-Außengrenzen mit der Türkei gleichermaßen abgesichert werden, sagt der bulgarische Präsident Rossen Plewneliew - und lobt gleichzeitig Angela Merkels Politik.

Der bulgarische Präsident Rossen Plewneliew (Foto: BGNES)
Bild: BGNES

DW: Herr Präsident, suchen die Flüchtlinge und Migranten einen neuen Weg über Bulgarien nach Westeuropa, nachdem die sogenannte Balkanroute dicht gemacht wurde?

Rossen Plewneliew: Wir beobachten die Situation auf der sogenannten Balkanroute aufmerksam und haben schon Maßnahmen getroffen für den Fall, dass größere Migrantengruppen den Weg nach Bulgarien suchen sollten. Der Rat für nationale Sicherheit hatte das Thema bereits zweimal auf der Tagesordnung. Wir haben auch das Verteidigungsgesetz geändert und einen Reaktionsplan für den Fall eines wachsenden Migrationsdrucks entworfen.

Die Flüchtlingskrise betrifft uns alle - und sie kann nicht bewältigt werden, wenn wir getrennt agieren und nur die jeweiligen nationalen Interessen berücksichtigen. Was wir brauchen, ist eine gemeinsame europäische Lösung und feste Regeln, die für alle gelten. Die Erfahrung zeigt, dass die Schließung der einen oder anderen Route die Krise nur vertiefen kann. Das gilt auch für das Durchwinken der Migranten zu den Nachbarstaaten. Aus meiner Sicht besteht überhaupt kein Widerspruch zwischen dem Einhalten der Menschenrechte und einer guten Grenzkontrolle. Bulgarien hält sich strikt an seine internationalen Verpflichtungen, das bestätigen auch unsere Partner. Gleichzeitig aber rechnen wir mit mehr Solidarität innerhalb der EU, damit die bereits getroffenen Entscheidungen umgesetzt werden können. Während der letzten Sitzung der EU-Innenminister wurde auch der mögliche Migrantendruck auf Länder wie Italien, Albanien und Bulgarien angesprochen, es sind auch Reaktionsmaßnahmen anvisiert worden. Hoffentlich bekommen wir von unseren Partnern die entsprechende Hilfe, damit Bulgarien keine Ausweichroute wird. Denn gewisse Vereinbarungen und Versuche, die Balkanroute zu schließen, gehen ja in diese Richtung.

Falls der Druck an Bulgariens Südgrenzen zur Türkei und Griechenland doch wachsen würde, gibt es grundsätzlich zwei Optionen: die Menschen an der Grenze aufzuhalten oder sie schnell in Richtung Serbien oder Rumänien durchzulassen. Wie werden die bulgarischen Behörden handeln?

Im Unterschied zu einigen anderen Staaten hat sich Bulgarien bislang strikt an die EU-Regeln, an Dublin und Schengen gehalten. Wir suchen keine "kreativen Lösungen", um die Probleme zu umgehen und die Nachbarn zu belasten. Alle Flüchtlinge und Migranten werden in Bulgarien registriert und in die entsprechenden Sammelzentren der Flüchtlingsagentur eingewiesen. Dies ist mittlerweile bekannt geworden und gerade deswegen ist der Migrantendruck auf Bulgarien vielfach kleiner als jener auf Griechenland. Die heutigen Krisen sind global, die Lösungen liegen weit über den Möglichkeiten der einzelnen Staaten. Wir brauchen Ehrlichkeit, da ist kein Platz für nationalen Egoismus.

Zaun an der Grenze zwischen Bulgarien und der TürkeiBild: picture-alliance/dpa/V. Donev

Braucht Bulgarien von der EU bestimmte Hilfsleistungen in Bezug auf die Flüchtlinge?

Ja. Die Kosten der Grenzsicherung und für die Unterkunft, Verpflegung und medizinische Versorgung der Flüchtlinge und Migranten belasten unseren Haushalt. Auch das Abkommen der EU mit der Türkei müsste Bulgariens Interessen und Sorgen in Bezug auf den Druck an den Grenzen berücksichtigen. Die EU verhandelt mit der Türkei über mögliche Maßnahmen zur Reduzierung der Zahl der Migranten, die aus der Türkei nach Europa kommen. Bulgarien besteht darauf, dass alle EU-Außengrenzen mit der Türkei gleichermaßen abgesichert sein sollten. Die EU darf sich nicht nur auf den Migrantenstrom aus der Türkei auf die griechischen Inseln konzentrieren. Die Verhandlungen mit Ankara sollten auch auf die Landesgrenzen der Türkei mit Griechenland und Bulgarien, beziehungsweise auf die Seegrenze im Schwarzen Meer zwischen der Türkei und der EU erweitert werden. Sonst werden die Voraussetzungen für Ausweichrouten geschaffen. Beim EU-Gipfeltreffen in Brüssel hoffen wir auf Unterstützung für diese bulgarische Position.

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in drei Bundesländern haben gezeigt, dass sich viele Menschen in Deutschland Sorgen über den Zuzug von Flüchtlingen machen. In Deutschland und im Ausland gibt es viele Personen, die die humanitäre Einstellung der Bundeskanzlerin zwar begrüßen, aber kritisieren, dass eine praktische Lösung des Problems nicht vorhanden sei. Wie kann man aus Ihrer Sicht beide Aspekte unter einen Hut bringen: die Menschlichkeit und die Sicherheit der Bürger?

Ich sehe keinen Widerspruch zwischen dem humanen Umgang mit den Flüchtlingen und der Gewährleistung der Sicherheit. Wir müssen in erster Linie gute Menschen sein, human und tolerant. Gleichzeitig aber darf unsere Humanität nicht die Sicherheit beeinträchtigen. Die wertvollste Einstellung der Europäer seit der Renaissance ist die Menschlichkeit, das Mitgefühl und die Empathie für alle leidenden und hilflosen Menschen. Unsere Werte und unsere geschichtlichen Erfahrungen sind unsere Stärke - und nicht unsere Schwäche. Es scheint einfach zu sein, neue Mauern aufzubauen und die Anderen wegzujagen. Doch das wird uns gleichgültig machen und bald werden wir feststellen, dass hinter unseren neu aufgebauten Mauern nichts Wertvolles mehr übrig geblieben ist, was verteidigt werden kann. Gegenüber den Wirtschaftsmigranten müssen wir aber auch ehrlich sein und ihnen klar machen, dass wir nicht in der Lage sind, jedem einzelnen das erhoffte bessere Leben zu bieten. Gleichzeitig ist Europa durchaus in der Lage, mehr gegen die Fluchtursachen zu unternehmen. Ich bewundere den Humanismus und die Menschlichkeit der Bundeskanzlerin Angela Merkel. In einer äußerst schwierigen Zeit bietet sie ein Beispiel für eine werteorientierte, verantwortungsvolle Politik - im Unterschied zu anderen Politikern in Europa, die kurzfristig denken und handeln, getrieben von engstirnigen parteipolitischen Interessen.

Rossen Plewneliew ist ein bulgarischer Unternehmer, Politiker der konservativen Partei Bulgariens und ehemaliger Minister für regionale Entwicklung des Landes. Er wurde am 30. Oktober 2011 zum Staatspräsidenten gewählt.

Das Gespräch führte Alexander Andreev.

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