Bulgarien Regierungsrücktritt
20. Februar 2013"Diebe, Räuber, Mafia!", skandierten Tausende Demonstranten in Bulgarien in den vergangenen Tagen. Anfangs ging es dabei um Strom- und Heizkostenrechnungen, die ihrer Meinung nach überhöht sind. Die Proteste richten sich aber mittlerweile generell gegen die Regierung. Nominell ist der Strompreis in Bulgarien der niedrigste in der ganzen EU - in Deutschland kostet elektrische Energie dreimal soviel. Die zwei privaten Stromanbieter allerdings, die tschechische CEZ und die österreichische EVN, erheben sehr hohe Netzgebühren. Das führte dazu, dass sich innerhalb eines Jahres der Strompreis verdoppelt hat und damit für viele Menschen faktisch unbezahlbar geworden ist.
Bei einem monatlichen Durchschnittslohn von umgerechnet 360 Euro oder bei den Renten von etwa 150 Euro führen alleine die gestiegenen Strom- und Heizkosten dazu, dass viele Bulgaren sich im Winter an den Rand ihrer Existenz gedrängt fühlen. Und das, obwohl die Regierung eine Strompreisobergrenze festgesetzt hat. Die halten die Stromlieferanten aber nicht ein, und sie rechtfertigen das damit, dass sie sonst nicht wirtschaftlich arbeiten könnten. Zudem führten die veralteten bulgarischen Netze zu Energieverlusten von etwa 25 Prozent, etwa dreimal so viel wie im EU-Durchschnitt, und das müsste preislich aufgefangen werden.
Allgemeine Armut in Bulgarien
Das Kabinett von Boiko Borissow ist das erste, das 2009 in Bulgarien gewählt wurde, nachdem das Land 2007 der EU beigetreten war. Es ist auch seit 16 Jahren das erste Kabinett, das vorzeitig zurücktrat. Der Strompreis war aber nur der Auslöser der Proteste und der Regierungskrise. Tatsächlich geht es darum, dass sich die Hoffnungen der Bulgaren auf schnell steigenden Wohlstand nicht erfüllt hätten, erklärt Marco Arndt, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia. Denn Bulgarien ist neben Rumänien das ärmste Land der EU, fiskalpolitisch aber auch eines der stabilsten. Es erfüllt alle Maastricht-Kriterien problemlos, was angesichts der Krise des Nachbarn Griechenland sehr wichtig und keineswegs selbstverständlich sei. "Doch diese finanzpolitische Stabilität hat einen hohen Preis: Die Investitionen in die Infrastruktur bleiben weitgehend aus und da, wo sie stattfinden, sind sie überwiegend aus den EU-Strukturfonds finanziert", so Arndt. "Die Einkommen sind extrem gering und seit Jahren nicht mehr gestiegen, die Renten reichen den wenigsten Alten zum Leben. Nach einer Statistik des Bulgarischen Wirtschaftsblatts vom Februar leben 1,5 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze - das ist ein Fünftel der Bevölkerung."
Auch Johanna Deimel, Vizegeschäftsführerin der Südosteuropagesellschaft in München, sieht die Strompreise nur als Anlass, die tiefere Ursache seien die falschen Wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen der Regierung: "Das ist ein Ventil, um soziale Ungerechtigkeiten anzuprangern. Die schlechte soziale und wirtschaftliche Lage weiter Teile der Bevölkerung ist nur zum Teil der Wirtschafts- und Finanzkrise im Euroraum geschuldet. Insofern ist der Protest richtigerweise gegen die Regierung gerichtet."
Laut Deimel ist der Rücktritt des Premiers und des Kabinetts in höchstem Maße unverantwortlich und gefährlich: "Ein Mann wie Borissow, der vor allem sein Macher-Image gepflegt hat, wirft sich wie ein kleines Kind hin, wenn ihm die Sympathie des Volkes entzogen wird, wenn sich die Bürger mehrheitlich friedlich auf die Straße begeben." Die gewaltsame Eskalation der Proteste bringt das Land in eine sehr kritische Situation, so Deimel, "die vor allem eine besonnene und klare Führung braucht - nicht aber einen beleidigten Rücktritt."
Die Stunde der Populisten und Extremisten
Borissow gilt sowohl im In- als auch im Ausland als ein EU-treuer Populist, der behauptet, er höre nur auf das Volk. Und wenn "seine" Polizei gegen dieses Volk mit Gewalt vorgehe und Demonstranten verletze, wie am Dienstag in Sofia, könne er das nicht mehr mittragen - so begründete der Premier am Mittwoch (20.02.2013) seinen Rücktritt. Tatsächlich aber geht es ihm um den Machterhalt. Borissow will auf jeden Fall so schnell wie möglich vorgezogene Parlamentswahlen, denn die Unterstützung für seine Partei GERB sinkt rapide und es besteht die Gefahr, dass sie bei dem regulären Wahltermin am 7. Juli keine Mehrheit mehr bekommen würde.
Bulgarien stehen keine guten Zeiten bevor, prognostiziert Johanna Deimel: "Ich befürchte, dass der Wahlkampf sehr schmutzig wird." Für die GERB sieht sie nur noch geringe Chancen auf eine Wiederwahl, "aber jetzt kommt die Stunde der Populisten und Extremisten - die bürgerliche Mitte wird es sehr schwer haben."
Rein verfahrenstechnisch ist jetzt der Staatspräsident Rossen Plevneliev am Zug. Er hätte die Möglichkeit, Beratungen über eine Interimsregierung einzuberufen. Beobachter in Sofia gehen allerdings davon aus, dass er als ehemaliger Minister in Borissows Regierung auf seinen Ex-Boss hören und vorzeitige Parlamentswahlen ansteuern wird.