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Bundeshaushalt im Zeichen der Krise

Sabine Kinkartz, Berlin24. November 2015

Fast 317 Milliarden Euro soll der Bund 2016 ausgeben dürfen und dafür keine neuen Schulden machen. Ist das realistisch, angesichts der vielen Flüchtlinge? Und was kostet die Terrorbekämpfung zusätzlich?

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Bundestag Berlin Rede Bundeshaushalt 2016
Bild: picture-alliance/dpa/K.Nietfeld

Es ist der Endspurt für den Etat 2016: Vier Tage sind für die abschließende Haushaltsdebatte im Bundestag angesetzt, am Freitag (27.11.2015) soll das Parlament entscheiden. Alles wie gehabt, sollte man meinen, doch in diesen Zeiten weicht vieles von der Routine ab.

Es hätten sich "manche politischen Prioritäten verschoben", sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert zur Eröffnung der Haushaltswoche in Berlin und nahm sich jenseits der Tagesordnung Zeit, um nicht nur der Opfer der Terroranschläge zu gedenken, sondern auch die Folgen des Terrors für das politische Handeln zu umreißen.

"Wir denken nicht nur an die Opfer von Paris", so der Bundestagspräsident und verwies ausdrücklich auch auf die russischen Flugpassagiere in Ägypten, auf Bamako, Mogadischu, Sarajewo, Bagdad und Beirut. Mehr als 32.000 Menschen seien im Verlauf des letzten Jahres Opfer fanatischer Terroristen geworden. "Wir bekennen uns unter dem Eindruck menschenverachtender, brutaler Mordanschläge zur Humanität als Leitlinie politischen Handelns", schlug Lammert den Bogen zur deutschen Politik. "Aber wir werden Humanität nicht mit Naivität verwechseln."

Bundestagspräsident Lammert fand nachdenkliche WorteBild: picture-alliance/dpa/K.Nietfeld

Muslime, Juden und Christen werde mit Respekt begegnet, Fanatikern mit der nötigen Härte. Die Politik trage die Verantwortung. "Wir stehen vor schwierigen Abwägungsprozessen und wir werden Entscheidungen treffen müssen, damit wir auch unter den gegenwärtigen Bedingungen größtmögliche Freiheit und Sicherheit gewährleisten können."

"Kommen wir zum Haushalt"

Lammert war nicht der Einzige, der zum Auftakt der Haushaltsdebatte vom üblichen Ablauf abwich. Gesine Lötzsch, die als Abgeordnete der Linken für die größte Oppositionspartei im Bundestag die Debatte eröffnen durfte, zeigte so wenig Interesse für die nüchternen Zahlen, dass der auf sie folgende haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Eckhardt Rehberg, seine Rede mit dem Satz: "Kommen wir zum Bundeshaushalt, zu in Zahlen gegossener Politik" begann und dafür zustimmenden Applaus und auch Lacher in der eigenen Fraktion erntete.

Lötzsch, die Vorsitzende des Haushaltsausschusses ist, hatte der Bundesregierung zuvor vorgeworfen, ihren Aufgaben nicht gerecht zu werden. Die Koalition stelle sich in der Öffentlichkeit als "Panik-Orchester" dar. "Die Dirigentin Merkel wird vom Orchester ignoriert und der CSU-Vorsitzende Seehofer gibt unaufgefordert ein schräges Solo nach dem anderen", kritisierte Lötzsch in Anspielung auf die Auseinandersetzungen in der Union wegen der hohen Flüchtlingszahlen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warf Lötzsch vor, den "Schattenkanzler" zu spielen. "Es vergeht keine Woche, in der Sie, Herr Schäuble, nicht mit boshaften Formulierungen die Stimmung gegen die Flüchtlinge aufheizen."

Acht Milliarden werden nicht reichen

Der Notstand, den die Union wegen der Flüchtlingsbewegung in der politischen Debatte ausrufe, sei im Haushalt allerdings nicht abgebildet, kritisierte die linke Politikerin, die für ihre Fraktion davon ausgeht, dass die im Etat 2016 zusätzlich veranschlagten rund acht Milliarden Euro für die Versorgung der Asylsuchenden nicht ausreichen werden. In der Griechenlandkrise habe es Milliardenhilfen für marode Banken gegeben. Wenn es um Bedürftige und Flüchtlinge gehe, werde Finanzminister Schäuble dagegen zum "Pfennigfuchser". Eine Meinung, die von der zweiten Oppositionspartei im Bundestag, den Grünen, durchaus geteilt wird. "Sie kommen nicht aus dem Modus heraus, nur auf Sicht zu fahren und wir werden, wenn es so weitergeht, diese Aufgaben nicht packen und scheitern", sagte die Haushaltsexpertin der Grünen, Anja Hajduk.

Flüchtlinge sollen für Sprachkurse zur Kasse gebeten werden, fordert der FinanzministerBild: picture-alliance/dpa/H.Schmidt

Im Haushaltsausschuss habe der Bundesinnenminister erklärt, dass allein der zusätzliche Bedarf für Integrationsmaßnahmen und Sprachkurse im kommenden Jahr bei 570 Millionen Euro liege. Im Etat seien aber nur 250 Millionen Euro zusätzlich veranschlagt worden. "Sie machen die Hälfte von dem, was sie selber wissen, was nötig ist", kritisierte Hajduk, die vor einem "Blindflug" warnt.

Gleiches gelte für den sozialen Wohnungsbau, für den statt 500 Millionen Euro im kommenden Jahr nun eine Milliarde Euro veranschlagt würden. "Wir wissen aber, wir brauchen im kommunalen Wohnungsbau ein Programm, das zwei Milliarden umfasst." Am Beispiel des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge habe man erlebt, welche Folgen eine mangelhafte Vorbereitung habe, kritisierte Hayduk. Zu spät und zu langsam, das dürfe sich nicht wiederholen.

Schäuble kontert

Und was sagt zu alledem der Bundesfinanzminister? Wolfgang Schäuble ergriff das Wort erst als sechster Redner und wies den Vorwurf, bei der finanziellen Bewältigung der Flüchtlingskrise "auf Sicht zu fahren", gar nicht von sich. Niemand wisse, wie groß die Zahl der nach Deutschland kommenden Menschen im kommenden Jahr sein werde. "Wir hoffen, dass sie zurückgeht", sagte der Minister. Mit Ländern und Kommunen ist eine Pauschale in Höhe von 670 Euro pro Flüchtling und Monat ausgehandelt. Rund drei Milliarden Euro werden dafür als Vorauszahlung eingeplant. "Spitz abgerechnet" werde erst zum Jahresende 2016, so Schäuble.

Damit wird die Frage, ob der Haushalt 2016 ohne neue Schulden auskommen wird, aber ebenfalls auf das kommende Jahr vertagt. Zusätzliche Mittel würden dann über einen Nachtragshaushalt laufen. Dass es so sein wird, stellt Schäuble nicht in Frage, auch wenn er weiterhin hofft, die "schwarze Null" halten zu können. "Wir können im kommenden Jahr diese Aufgabe, wenn möglich, ohne neue Schulden schaffen." Die Frage, was zur Bewältigung der Herausforderung nötig sei, habe erste Priorität. "Die Frage, ob wir das mit welchen Schulden oder nicht schaffen, hat die zweite Priorität."

Alle gleich arm

Das heiße aber nicht, "dass wir uns dann in allen anderen Bereichen auch alles leisten können", warnte Schäuble, der seine Ministerkollegen schon mehrfach darauf hingewiesen hat, dass zunächst im den einzelnen Ressorts gekürzt werden müsse, bevor neue Schulden aufgenommen würden. In diesem Jahr bescheren niedrige Zinsen und eine gut laufende Wirtschaft Schäuble einen Überschuss von mehr als sechs Milliarden Euro. Mit dem Geld sollten eigentlich Schulden abgebaut werden. Jetzt wird es als Rücklage ins kommende Jahr übertragen, damit der 316,9 Milliarden Euro schwere Etat ohne zusätzliche Mittel auskommen kann.

Einem zusätzlichen milliardenschweren Investitionspaket, das die Opposition beantragt hat, um die "auf Verschleiß" gefahrene Infrastruktur zu sanieren und zusätzliche Arbeitsplätze für Flüchtlinge zu schaffen, erteilte Schäuble eine deutliche Absage. Es sei "außergewöhnlich anspruchsvoll und kompliziert", in der enger werdenden weltwirtschaftlichen Lage eine "solide und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung" zu gewährleisten, erklärte der Minister.

"Wir müssen dafür sorgen, dass unsere wirtschaftliche und finanzpolitische Linie so ist, dass wir uns die soziale Absicherung und unser Lebenshaltungsniveau erwirtschaften können." Da sei man auf "die Regeln der Klugheit" angewiesen. Was die Opposition fordere, würde vielleicht dazu führen, dass alle ein bisschen mehr gleich seien. "Aber auch gleich arm."

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