Froh, wieder gehen zu können? Merz verärgert Brasilien
19. November 2025
Es ist gute Sitte, dass sich deutsche Regierungschefs auf Weltklimakonferenzen der Vereinten Nationen zumindest kurz blicken lassen. Der frühere Kanzler Olaf Scholz und dessen Vorgängerin Angela Merkel haben das so gehandhabt, auch der jetzige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wollte da keine Ausnahme machen. Deshalb flog er Freitag der vorvergangenen Woche, also vor zwölf Tagen, nach Brasilien, genauer nach Belém, dem Ort in Norden Brasiliens am Amazonas, in dem die diesjährige Klimakonferenz stattfindet. Für ein paar Stunden nur, aber immerhin. Und das, obwohl ihm zuhause in Deutschland mächtige innenpolitische Sorgen plagen: der Streit um die Zukunft der Renten etwa.
"Wer von euch würde denn gerne hierbleiben?"
Wieder zurück aus Brasilien - denn die Klimakonferenzen sind im Wesentlichen Sache der jeweiligen Umweltminister - besuchte Merz dann am Donnerstag der vergangenen Woche einen Handelskongress in Berlin. Und plauderte dort recht offenherzig über seine kurze Reise nach Belém.
Er sagte wörtlich: "Meine Damen und Herren, wir leben in einem der schönsten Länder der Welt. Ich habe einige Journalisten, die mit mir in Brasilien waren, letzte Woche gefragt: Wer von euch würde denn gerne hierbleiben? Da hat keiner die Hand gehoben. Die waren alle froh, dass wir vor allem aus diesem Ort, wo wir da waren, wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind."
Empörte Reaktionen in Brasilien
Merz hatte auf der Veranstaltung auch über die vielfältigen Herausforderungen gesprochen, denen sich die deutsche Gesellschaft gegenübersieht: Dem kaum noch bezahlbaren Rentensystem, der maroden Infrastruktur, der Polarisierung der Gesellschaft. Und brachte das in einen Zusammenhang mit seinem flüchtigen Eindruck der Stadt , die zu den ärmsten Orten in Brasilien gehört. Wollte er mit seinem Vergleich sagen, dass die Deutschen, wenn sie über ihre derzeitigen Baustellen reden, auf einem sehr hohen Niveau klagen? Wenn das so war, dann ist ihm das nur teilweise gelungen. Denn in Brasilien wurden seine Worte, mit einiger zeitlichen Verzögerung, ganz anders aufgenommen.
"Unglücklich und arrogant"
So sagte der Bürgermeister der brasilianischen Stadt, Igor Normando, der Kanzler habe mit seiner Rede "Arroganz und Vorurteile" gezeigt. Seine Aussage repräsentiere nicht das, was die Deutschen über Belém dächten, die ihre Bewunderung in den Straßen von Belém ausgedrückt" hätten, so der erzürnte Bürgermeister. Und das Nachrichtenportal "Diário do Centro do Mundo" sprach von einem "unverschämten Vergleich". Offenbar halte der deutsche Kanzler Brasilien für keinen Ort, an dem man gut leben könne.
Kaum Reaktionen in Deutschland
Während die Sätze des Kanzlers in Brasilien hohe Wellen schlugen, ist die Aufregung darüber in Deutschland eher gedämpft, auch wenn einige Zeitungen darüber berichteten. Und dabei daran erinnerten, dass Merz in Deutschland selbst vor einigen Wochen mit einer ähnlich flapsigen Bemerkung für Schlagzeilen gesorgt hatte. Befragt, welche Auswirkungen seine harte Migrationspolitik jetzt schon habe, antwortete Merz damals, die Regierung werde die illegale Zuwanderung weiter bekämpfen. Dass hier noch viel zu tun sei, "sieht man ja auch im Stadtbild." Viele Menschen waren über diese Äußerung irritiert, die Debatte um das "Stadtbild", und wen oder was Merz genau damit gemeint haben könnte, bestimmte über Tage die Schlagzeilen. Seine spätere Ergänzung "Fragen Sie Ihre Töchter" machte das Ganze nicht besser.
Kanzleramt spricht von einer "großartigen Konferenz" in Belém...
Auf Anfrage der DW sagte ein Regierungssprecher, Merz habe mit dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva ein "produktives und vorwärtsgewandtes" Gespräch führen können. Und weiter: "Der Bundeskanzler hat bedauert, dass er aus Zeitgründen keine Möglichkeit hatte, an den Rand des Amazonas zu reisen und die überwältigende Natur der Region besser kennenzulernen." Der kurze Text endet mit der Zusicherung: "Der Bundeskanzler hat großen Respekt für die Leistung, eine solche große internationale Konferenz in Belém zu organisieren."
..und auch der Umweltminister bemüht sich um Schadensbegrenzung
Auf der Weltklimakonferenz in Brasilien wird Deutschland derweil von Umweltminister Carsten Schneider (SPD) vertreten. Und der bemühte sich vor Ort, bei seinen Gastgebern in Belém einen anderen Eindruck zu hinterlassen: Anfang dieser Woche sagt er: "Am Wochenende hatte ich die Gelegenheit, mir ein erstes Bild von Belém, dieser großartigen Stadt, und der Umgebung, zu machen. Ich habe extrem viel Engagement gesehen, tolle Menschen, aber auch viel Armut." Ob Schneider damit bewusst einen Kontrapunkt zu Merz setzen wollte, ist nicht klar.
Mit Humor hat derweil Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva auf die Worte der Kanzlers reagiert: Merz hätte in Belém in eine Bar gehen, dort tanzen und die lokale Küche probieren sollen, "denn dann hätte er gemerkt, dass Berlin ihm nicht einmal zehn Prozent der Qualität bietet, die der Bundesstaat Pará und die Stadt Belém bieten", meinte Lula lapidar.