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Bundeskanzler Merz zweifelt am freiwilligen Wehrdienst

7. Oktober 2025

Freiwilliger Wehrdienst oder doch eine Rückkehr zur Wehrpflicht bei der Bundeswehr? Der Streit darüber schien in der deutschen Regierung beigelegt. Nun bricht der Konflikt wieder auf.

Eine Gruppe Bundeswehr-Soldaten bei der Ausbildung im Wald, im Hintergrund ein Zelt und Bäume
Mit einem neu gestalteten freiwilligen Wehrdienst will die Bundeswehr mehr Personal gewinnenBild: Detlef Heese/epd-bild/picture alliance

"Ich bin skeptisch", sagt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mit Blick auf das neue Modell eines freiwilligen Wehrdienstes, auf das sich die Koalition längst geeinigt hatte. Mit dem neuen freiwilligen Wehrdienst, der 2026 starten soll, will die Bundeswehr das benötigte zusätzliche Personal gewinnen.

In dieser Woche sollte der Gesetzentwurf im Bundestag beraten werden. Doch in den konservativen Unionsparteien CDU und CSU sind die Zweifel am Erfolg des Modells so groß, dass selbst der Bundeskanzler sie öffentlich äußerte. "Ich vermute, es wird bei Freiwilligkeit allein nicht bleiben", sagte er am Sonntagabend im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD.

Die erste Lesung des Gesetzentwurfs wurde vertagt

Damit hat Merz nicht nur die Debatte über eine Rückkehr zur Wehrpflicht weiter angeheizt, sondern auch den Koalitionspartner SPD düpiert. Aus dem Haus von SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius stammt der Gesetzentwurf, dessen Beratung nun auf die kommende Sitzungswoche verschoben wurde. Er sieht attraktivere Konditionen für junge Menschen vor, die zur Bundeswehr gehen. Doch die Entscheidung bleibt freiwillig, eine Rückkehr zur Wehrpflicht ist vorerst nicht vorgesehen.  

In der ARD-Sendung Caren Miosga machte Bundeskanzler Friedrich Merz keinen Hehl aus seiner Skepsis bezüglich des freiwilligen WehrdienstesBild: picture alliance / HMB Media

SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf kritisierte die offen zur Schau getragene Skepsis des Bundeskanzlers. "Wir haben uns in der Koalition auf einen ganz klaren Weg verständigt: Das ist der freiwillige Wehrdienst", betonte er in Berlin. Er könne nicht nachvollziehen, dass dies aus den Reihen von CDU und CSU immer wieder infrage gestellt werde. Es verunsichere junge Menschen, wenn diese Debatte "immer wieder aufgewärmt" würde. 

Ende August herrschte noch Einigkeit im Kabinett 

Der Gesetzentwurf, der nun für Verstimmung in der Koalition sorgt, war Ende August von der Bundesregierung beschlossen worden. Dafür traf sich das Kabinett eigens im Bendlerblock, dem Berliner Amtssitz des Verteidigungsministeriums. An diesem symbolträchtigen Ort einigten sich die Regierungsparteien SPD und CDU/CSU darauf, dass der Wehrdienst vorerst freiwillig bleibt, so wie es auch im Koalitionsvertrag steht.

Allerdings: Sollten die Personalziele nicht erreicht werden oder die Sicherheitslage sich dramatisch verschärfen, könnte die Regierung mit Zustimmung des Bundestags beschließen, zur Wehrpflicht zurückzukehren - auch das sieht das geplante Gesetz vor. Es enthielt aber bisher keine "automatische" Reaktivierung der Wehrpflicht für den Fall, dass der neue Wehrdienst zu wenige Freiwillige anzieht.

Die Debatte immer wieder aufzuwärmen, verunsichere junge Menschen, kritisiert SPD-Generalsekretär Tim KlüssendorfBild: Uwe Koch/HMB-Media/IMAGO

Einen solchen Automatismus fordern nun erneut Politiker aus den Reihen der Unionsparteien CDU und CSU. Ihnen fehlen klare Zielmarken für den Personalaufwuchs. Für den Fall, dass sie nicht erreicht werden, seien Mechanismen für die Rückkehr zur Wehrpflicht nötig.

Die SPD lehnt eine Rückkehr zur Wehrpflicht ab, die CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg 2011 ausgesetzt hatte. Verteidigungsminister Pistorius verweist darauf, dass die Bundeswehr derzeit nicht die Kapazitäten habe, um ganze Jahrgänge junge Männer unterzubringen und auszubilden. Das räumt auch Friedrich Merz ein. Pro Jahrgang gebe es in Deutschland rund 350.000 junge Männer, die gar nicht alle eingezogen werden könnten, betonte der Kanzler.  

Schon jetzt melden sich deutlich mehr Freiwillige

Die Bundeswehr braucht mittelfristig 260.000 aktive Soldaten, um die NATO-Ziele zu erreichen und angesichts der Bedrohung durch Russland verteidigungsfähig zu werden. Derzeit sind es gut 182.000. Schon jetzt steigen die Bewerberzahlen: Hatten im vergangenen Jahr noch gut 10.000 junge Männer und Frauen freiwillig Wehrdienst geleistet, so waren es im August dieses Jahres bereits 13.000.

Angesichts dieser Zuwächse ist Pistorius ist zuversichtlich, dass der freiwillige Wehrdienst genügend neues Personal anziehen wird. Zumal das geplante Gesetz auch verpflichtende Elemente enthält. Dazu gehört ein Fragebogen, den alle 18-jährigen Männer ausfüllen müssen, für Frauen ist das freiwillig. Sie müssen dort angeben, ob sie zum Dienst in der Bundeswehr bereit wären. Darüber hinaus soll ab 2027 die Musterung aller jungen Männer verpflichtend werden.

260.000 Soldatinnen und Soldaten und 200.000 Reservisten - das sind die Zielmarken der Bundeswehr beim PersonalBild: Björn Trotzki/IMAGO

Auch Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer plädiert dafür, "es erst einmal auszuprobieren" mit dem freiwilligen Wehrdienst. Aus militärischer Sicht sei ihm es wichtig, "dass es schnell geht, dass wir nicht erst jetzt nochmal lange diskutieren", damit im Januar die Fragebögen verschickt werden könnten, sagte der ranghöchste deutsche Soldat in der ARD. 

Kritik an der "Fragebogen-Armee"

Besonders harsch kritisierte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder den Gesetzentwurf des SPD-Ministers. An der Rückkehr zur Wehrpflicht führt seiner Ansicht nach kein Weg vorbei. Eine "Fragebogen-Armee" oder eine "Wischiwaschi-Wehrpflicht" helfe niemandem. Auch Außenminister Johann Wadephul (CDU) ist ein prominenter Befürworter der Wehrpflicht.

Da die Wehrpflicht für Männer nie aus dem Grundgesetz gestrichen wurde, könnte sie problemlos per Gesetz reaktiviert werden. Anders sähe das mit der Wehrpflicht auch für Frauen aus oder mit einem verpflichtenden Gesellschaftsjahr für alle jungen Menschen. Ein solches hatte Kanzler Merz erneut ins Gespräch gebracht. Dafür wäre allerdings eine Änderung des Grundgesetzes nötig. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag gilt aber in dieser Legislaturperiode als nicht erreichbar. "Das würde auf jeden Fall länger dauern - und diese Zeit haben wir nicht", mahnte Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer.

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