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Abpfiff mit 47 - muss das sein?

Lorenz Schalling
19. Mai 2021

An diesem Samstag beenden drei Schiedsrichter der Fußball-Bundesliga ihre Karrieren. Mit 47 Jahren ist Schluss - ohne Wenn und Aber. Muss das so sein?

Deutschland Fußball Bundesliga | SV Werder Bremen - Borussia Mönchengladbach
Auch Manuel Gräfe steht vor seinem letzten Spiel als Bundesliga-SchiedsrichterBild: picture-alliance/M.i.S. via GES-S/C. Mueller

An diesem Samstag gegen 17:17 Uhr ist es so weit: Schlusspfiff für drei Schiedsrichter-Karrieren in der Fußball-Bundesliga. Altersbedingt müssen Manuel Gräfe, Markus Schmidt und Guido Winkmann die Auswahl der besten Unparteiischen Fußball-Deutschlands verlassen. Sie alle feierten im Laufe der Saison ihren 47. Geburtstag.

Daran, wie sich die letzten Sekunden einer langen Schiedsrichter-Laufbahn anfühlen, erinnert sich Thorsten Kinhöfer noch ganz genau. Von 2001 bis 2015 war er in der Bundesliga als Spielleiter im Einsatz. "Du weißt, in zwei Minuten ist deine Karriere vorbei. Du wirst nie wieder erleben, auf einem Feld Spiele leiten zu dürfen. Du wirst nie mehr die Atmosphäre auf dem grünen Rasen spüren", sagt Kinhöfer der DW: "Dann zieht ein Film an deinem inneren Auge vorbei, und man sieht die Sekunden runterlaufen. 5, 4, 3, 2, 1, 0. Du pfeifst - und deine Karriere ist vorbei. Das war schon ein emotionaler Moment."

Trommeln für Gräfes Verbleib

Vor allem das Aus für Manuel Gräfe hat in den letzten Wochen eine Diskussion um die Altersgrenze der Unparteiischen ausgelöst. Viele Bundesliga-Spieler, Trainer und Manager haben sich für eine Fortsetzung seiner Laufbahn ausgesprochen - was kaum verwundert, wählten die Profis doch bei halbjährlichen Abstimmungen bis zum Winter 2019/20 Gräfe sechsmal in Folge zum besten Bundesliga-Schiedsrichter.

"Man hat immer das Gefühl, er versucht nicht, sich in den Vordergrund zu rücken, sondern er sieht das Spiel. Er argumentiert sehr ruhig und sachlich, man kann sehr gut mit ihm auf dem Platz reden", sagte BVB-Profi Mats Hummels, im Sommer 2020 Gründungsmitglied des neuen Bündnisses deutscher Fußballerinnen und Fußballer, im ZDF: "Neben den qualitativ hohen Schiedsrichter-Entscheidungen ist es das, was uns Spielern an ihm immer am besten gefallen hat."

Deutlichere Töne schlägt Manager Alexander Rosen auf der Website der TSG Hoffenheim an: "Es geht darum, die Besten in der Liga einzusetzen, auf allen Ebenen. Man muss sich an den Kopf greifen, wenn man einen Mann auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit einfach so auf Eis legt, nur weil er an einer vor Urzeiten festgelegten imaginären Zeit-Schwelle angekommen ist."

DFB winkte ab

Die drei jetzt betroffenen Schiedsrichter würden gerne weiter Bundesliga-Spiele pfeifen. Sie suchten das Gespräch mit den Schiedsrichter-Bossen beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) und äußerten dabei vor allem den Wunsch, ihren Abschied nicht vor coronabedingt leeren Rängen, sondern bei einem Spiel vor Zuschauern geben zu dürfen. Nein, sagte der DFB, sie würden jüngere Kollegen blockieren. Dabei hatte sich Markus Schmidt nur ein letztes Spiel im vollen Stadion gewünscht. Guido Winkmann wollte noch eine halbe, Manuel Gräfe eine komplette Saison anhängen.

Guido Winkmann bat den DFB, seine Schiedsrichter-Karriere um ein halbes Jahr zu verlängernBild: Getty Images/Bongarts/M. Stoever

Gräfe kann das Argument des DFB, damit würden jüngere Schiedsrichter benachteiligt, nicht nachvollziehen. Im ZDF machte er eine Gegenrechnung auf: "Bei Guido wären es vielleicht sechs, sieben Spiele und bei mir 17 oder 18. Insgesamt also 24 oder 25 Spiele, das bedeutet pro Bundesliga-Schiedsrichter ein Spiel weniger in der Saison. Damit behindern wir jetzt wirklich keine Fluktuation oder Entwicklung."

Kuipers darf auch mit 48 noch zur EM

Die Diskussion um die Altersgrenze der Schiedsrichter ist nicht neu, wird aktuell durch die Corona-Umstände nur neu befeuert. Beim Weltfußball-Verband FIFA liegt die Grenze für internationale Einsätze eigentlich bei 45 Jahren. Doch auch hier gibt es Ausnahmen: Der niederländische Top-Mann Björn Kuipers sollte eigentlich bei der Fußball-EM 2020 sein fünftes und letztes großes Turnier pfeifen. Trotz der EM-Verschiebung um ein Jahr wegen der  Pandemie soll ihm diese Ehre nicht genommen werden. Bei der Endrunde, die am 11. Juni beginnt, kommt Kuipers zum Einsatz - obwohl er bereits 48 Jahre alt ist. 

Björn Kuipers ist eine Autorität auf dem Platz und lässt sich nicht beirrenBild: Reuters/J. Sibley

Auch in der englischen Premier League ist das Alter der Referees nicht das Maß aller Dinge. Dort sind der bereits 52-jährige Mike Dean und Martin Atkinson mit 50 Jahren noch absolute Spitzenkräfte an der Pfeife.

"Ich finde, diese 47 Jahre sollten eine Richtlinie sein, aber dann sollte individuell entschieden werden. In einzelnen Fällen kann auch früher Schluss sein, wenn die Leistung nicht mehr stimmt," sagte Manuel Gräfe und führte aus, was in seinen Augen wichtig ist: "In erster Linie die Schiedsrichterkompetenz und wie wenig Fehler man macht, dazu das Spielmanagement und die Kommunikation. Das sind für mich die entscheidenden Faktoren."

In einigen Bereichen werde ein Schiedsrichter mit dem Alter ja auch erst richtig gut, erläutert Ex-Schiri Kinhöfer am Beispiel von Pierluigi Collina, dem FIFA-Weltschiedsrichter der Jahre 1998 bis 2003: "Der musste im Endeffekt keine Karten haben. Die Zuschauer und auch die Spieler haben alles akzeptiert, was er gemacht hat, weil er eine riesige Ausstrahlung hatte. Und das ist die Kunst: so zu pfeifen, dass die Spieler und Zuschauer es akzeptieren."

"Vielleicht reicht es ja für Aytekin"

Thorsten Kinhöfer pfiff 213 Bundesliga-SpieleBild: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images

Der DFB hat angekündigt, nach Saisonende erneut über die Altersgrenze beraten. Sollte der Verband zu einem Umdenken kommen, wird die Diskussion über die künftigen Beurteilungskriterien wohl noch intensiver. "Wie soll man objektiv vergleichen, ob jetzt ein Schiedsrichter der zweiten Liga besser ist als ein Schiedsrichter der ersten?", fragt Thorsten Kinhöfer. "Das ist schwer, man kann Spiele der beiden Ligen nicht vergleichen."

Eigentlich drängt die Zeit für eine Entscheidung. Doch Manuel Gräfe will die Diskussion auch unabhängig von seinem eigenen Fall führen: "Wenn es jetzt nicht für mich reicht, sich aber das Schiedsrichter-System vielleicht weiterentwickelt und es in drei, vier Jahren für Deniz Aytekin greift, dann freue ich mich auch für ihn. Er pfeift nämlich überragend."

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