Steinmeier-Rede zum 9. November empört die AfD
10. November 2025
Es waren ungewöhnlich klare und drastische Worte, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier da am vergangenen Sonntag (9.11.) im Schloss Bellevue in Berlin gefunden hatte: Eine Rede zum 9. November zu halten ist sicher eine der schwierigsten Übungen für ein deutsches Staatsoberhaupt.
Gleich dreimal berührt der 9. November das deutsche Schicksal, im Guten wie im ganz Schlechten: Am 9. November 1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Reichstagsgebäude aus die Republik aus, die dann von 1933 an von den Nationalsozialisten zertrümmert wurde. In der Nacht auf den 10. November 1938 gingen die Nazis und ihre Helfershelfer dann zur offenen Gewalt gegen jüdische Bürger über, in Deutschland brannten die Synagogen. Und am 9. November 1989 öffnete die DDR-Führung eher versehentlich die Grenzen zur Bundesrepublik, nach monatelangen Massenprotesten. Die Berliner Mauer fiel.
Steinmeier spricht über die AfD, nennt sie aber nicht beim Namen
Der 9. November handelt also immer von der Demokratie in Deutschland, dem Streben nach Freiheit und von den Gefahren, denen die Demokratie ausgesetzt ist. Und heute ist sie wieder bedroht, daran ließ Steinmeier, der noch bis zum März 2027 im Amt ist, keinen Zweifel. Bedroht sei sie vor allem vom Rechtsextremismus, und auf der Ebene der Parteien vor allem von der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD). Das machte der Bundespräsident klar, ohne die Partei beim Namen zu nennen. Dass er sie im Kopf hatte, war aber überdeutlich zu erkennen.
"Sie betreiben das Geschäft mit der Angst"
"Die Selbstbehauptung der Demokratie ist die Aufgabe unserer Zeit", sagte Steinmeier. Die Demokratie stehe unter Druck wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs: "Populisten und Extremisten verhöhnen die demokratischen Institutionen, vergiften unsere Debatten und betreiben das Geschäft mit der Angst. Das Tabu, sich offen zu solcher Radikalität zu bekennen, gilt für viele Menschen nicht mehr."
So sei der Antisemitismus in Deutschland stark angestiegen in der letzten Zeit, vor allem seit dem Überfall der islamistischen Terror-Gruppe Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Deutschland werde durch einen russischen Aggressor bedroht, der die bisherige Friedensordnung beseitigen wolle. Und, noch einmal: durch rechtsextreme Kräfte, "die unsere Demokratie angreifen und an Zustimmung in der Bevölkerung gewinnen".
AfD: "Steinmeier missbraucht sein Amt"
Darf sich der Bundespräsident so klar äußern? Immerhin ist die Alternative für Deutschland demokratisch gewählt worden, zuletzt bei der Bundestagswahl im Februar dieses Jahres mit 20,8 Prozent der Stimmen. Und bei den beiden Landtagswahlen im Osten Deutschlands im kommenden Jahr kann die Partei nach gegenwärtigen Umfragen noch ganz andere Prozentsätze erreichen, bis zu 40 Prozent nämlich.
Und so fielen am Montag ihre Reaktionen denn auch heftig aus: "Nie hat ein Bundespräsident sein Amt so missbraucht", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Bundestag, Bernd Baumann, dem "Handelsblatt". Mit der Aussage, die Deutschen müssten handeln, rufe Steinmeier dazu auf, die AfD durch das Bundesverfassungsgericht verbieten zulassen. Das Staatsoberhaupt wolle "die Zusammenarbeit mit der in Umfragen stärksten politischen Kraft in Deutschland" verhindern und stelle sie am Jahrestag des 9. November in eine Reihe "mit den Nazimördern".
Zwar hat die Union aus CDU und CSU in der Umfrage des jüngsten ARD-Deutschlandtrends einen leichten Vorsprung vor der AfD, tatsächlich hat es aber in jüngster Zeit auch mehrere Umfragen gegeben, in denen die AfD vorn lag.
Steinmeier hält ein Parteiverbot für das letzte Mittel
Tatsächlich hatte sich Steinmeier in seiner Rede auch zu einem möglichen Verbot von rechtsextremen Parteien geäußert, wieder, ohne die AfD zu nennen. Er wies darauf hin, dass die Hürden dafür zu Recht sehr hoch lägen, auch wenn einige Politiker der Sozialdemokraten, der konservativen Union von CDU und CSU, der Grünen und der Linken ein solches Verbot befürworteten. Steinmeier: "Ein Parteienverbot ist die Ultima Ratio der wehrhaften Demokratie. Doch ich warne davor zu glauben, es sei die alles entscheidende Frage. Wann – und ob – dieses Mittel angemessen ist, ob es irgendwann sogar unausweichlich ist, diese politische Debatte muss geführt werden, und sie wird geführt."
Am Ende, so der Bundespräsident, könne Extremismus nur aus der Mitte der Gesellschaft heraus bekämpft werden: "Was wir jetzt brauchen, sind aktive Demokratinnen und Demokraten, die den Mund aufmachen, im Parlament, beim Fußball, am Stammtisch, in der Schule, an der Bushaltestelle und am Arbeitsplatz." Steinmeiers Rede wurde von den Zuhörern im Schloss Bellevue mit starkem Applaus aufgenommen.
AfD nimmt sich Donald Trump als Vorbild
Schon bei früheren Gelegenheiten hatte sich Steinmeier tief besorgt über rechtsextreme Tendenzen in Deutschland geäußert, etwa bei einer Rede in Jerusalem im Jahr 2020. Damals sagte er: "Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit. Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt. Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten."
Aber damit, dass sich der Bundespräsident so erkennbar zu einer deutschen Partei äußert, wenn er sie auch namentlich nicht nennt, betritt Steinmeier sicher Neuland und reizt die Grenzen seines Amtes weit aus. Was die AfD davon hält, und welche Politiker weltweit sie sich zum Vorbild nimmt, machte dann noch einmal der Abgeordnete Baumann am Montag klar: "Während unsere Schwesterparteien von Donald Trump bis Giorgia Meloni schon regieren und andere Länder kurz davor sind, laufen große Teile der linksgrünen politischen Klasse in Deutschland Amok." Zu dieser Klasse rechnet die AfD also auch den Bundespräsidenten.