Gauck beendet Frankreich-Besuch
5. September 2013 In der südfranzösischen Hafenstadt Marseille wollte Gauck unter anderem Gespräche mit Jugendlichen, Intellektuellen und Lokalpolitikern führen. Auf dem Programm stand auch der Besuch von zwei kürzlich eröffneten Kulturinstitutionen: des Museums der Kulturen Europas und des Mittelmeeres sowie des Dialogzentrums Villa Méditerranée.
Mit dem Besuch in Marseille will Gauck nach Angaben des Präsidialamtes den Aufbruch der Stadt würdigen, der wegen Kriminalitätsproblemen und hoher Arbeitslosigkeit bis heute ein schlechter Ruf anhaftet.
Am Mittwoch hatten der Bundespräsident und der französische Staatspräsident François Hollande in der niedergebrannten Dorfkirche von Oradur-sur-Glane Hand in Hand der Opfer der SS gedacht.
Oradour-sur-Glane ist in Frankreich ein Inbegriff der Nazi-Verbrechen in dem im Zweiten Weltkrieg von Hitler-Deutschland besetzten Land. Am 10. Juni 1944 waren Soldaten des SS-Panzerregiments "Das Reich" in das Dorf im Südwesten Frankreichs eingedrungen und hatten innerhalb weniger Stunden 642 Dorfbewohner ermordet unter ihnen 207 Kinder. Ein Baby war gerade eine Woche alt.
Die SS-Soldaten brannten sämtliche Gebäude in Oradour nieder. Einige der Opfer wurden erschossen, die meisten verbrannten. Nur sechs Menschen konnten dem Massaker entkommen. Bis heute ist nicht restlos geklärt, warum die Nazi-Schergen Oradour zerstörten. Aus dem Dorf waren keinen besonderen Widerstandsaktivitäten bekannt. Wenige Tage vor dem Massaker waren die alliierten Truppen in der Normandie gelandet.
In einer Ansprache zeigte sich Gauck tief bewegt über die Einladung, gemeinsam mit Hollande Oradour-sur-Glane zu besuchen. "Als Bundespräsident ahne ich und als Mensch fühle ich, was diese Entscheidung für Frankreich und die Franzosen bedeutet - ganz besonders für diejenigen, die das Massaker überlebt haben und die Angehörigen derer, die grausam ermordet wurden", betonte er. "Dieser Ort und seine Bewohner wurden in einem barbarischen, in einem zum Himmel schreienden Verbrechen vernichtet", sagte Gauck. So großherzig die Geste der Versöhnung auch sei, "so kann sie mich doch auch nicht von dem tiefen Entsetzen befreien angesichts der großen Schuld, die Deutsche an diesem Ort auf sich geladen haben". Gauck versprach: "Wir werden Oradour und die anderen europäischen Orte des Grauens und der Barbarei nicht vergessen."
Die Hinterbliebenen in Oradour hatten Jahrzehntelang jeden offiziellen Kontakt zu Deutschland abgelehnt. Die beiden letzten Überlebenden des Massakers, Robert Hébras und Marcel Darthout, hatten kürzlich erst betont, dass es an der Zeit wäre, einen hochrangigen deutschen Politiker in Oradour zu empfangen und mit ihm gemeinsam der Opfer zu gedenken.
Der Bundespräsident sprach auch das Versagen der Justiz in der Nachkriegszeit bei der Aufarbeitung des Verbrechens an: "Ich teile Ihre Bitterkeit darüber, dass Mörder nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, dass schwerste Verbrechen ungesühnt blieben", sagte Gauck an die Angehörigen der Opfer gewandt. "Ich werde in meinem Land davon sprechen und dabei nicht verstummen", fügte er hinzu.
Der Kommandeur der Division "Das Reich", SS-Gruppenführer Heinz Lammerding, lebte bis zu seinem Tod 1971 von der Justiz weitgehend unbehelligt in Düsseldorf und machte als Unternehmer Karriere. Der als "Mörder von Oradour" bekannte SS-Mann Heinz Barth wurde im Jahr 1983 in der DDR zu lebenslanger Haft verurteilt und im Jahr 1997 freigelassen. Seit 2011 ermittelt die Dortmunder Staatsanwaltschaft gegen sechs mutmaßliche Täter, die alle weit über 80 Jahre alt sind. Drei von ihnen sind nicht mehr vernehmungsfähig, und bei den übrigen ist die Beweislage dürftig. In Frankreich sorgte die juristische Aufarbeitung für bittere Zerwürfnisse, denn an dem Massaker waren auch Elsässer beteiligt. 1953 wurden in Bordeaux zwar 21 Beteiligte verurteilt, doch 13 von den Nazis zwangsrekrutierte Elsässer unter ihnen wurden wenig später durch ein Gesetz aus Paris begnadigt.
Auf französischer Seite wird der Besuch Gaucks in Oradour in einer Linie gesehen mit der Versöhnungsgeste von Verdun, zu der sich 1984 der damalige Präsident François Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl trafen und Hand in Hand der französischen und deutschen Opfer der beiden Weltkriege gedachten.
wl/re (dpa, afp,epd)