Steinmeier rügt Sprachverrohung
8. Juli 2018Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat deutliche Kritik am Stil des Asylstreits geübt und die Regierungskoalition aufgefordert, sich wieder den drängenden Problemen der Menschen zu widmen. Viele Menschen fühlten sich vernachlässigt mit ihren Sorgen, mit Themen wie Rente oder Pflege, betonte er im ZDF-Sommerinterview. "Wir müssen zurück zur Vernunft", sagte er. Angesprochen auf den von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verwendeten Begriff "Asyltourismus" sagte Steinmeier, an die Regierungsparteien gebe es die Anforderung, "auf Sprache zu achten". Söder meint damit Menschen, die erst in einem EU-Staat als Asylbewerber registriert wurden und dann einen Asylantrag in Deutschland stellen wollen.
Bürger empören sich
Er halte nichts von übertriebener politischer Korrektheit, aber man müsse sich verantwortungsvoll streiten. "Das verlangt auch eine gewisse Disziplin bei der Sprache." Er habe in der jüngsten Zeit besorgte Anrufe von anderen Staatschefs bekommen, zudem hätten ihm viele empörte Bürger geschrieben, so der Bundespräsident weiter. Er hätte einige zurückgerufen und werde dann gefragt: "Wie sollen wir denn hier vor Ort mit Augenmaß, mit Vernunft um das richtige Argument streiten, wenn die große Politik ihren Vorbildcharakter nicht wahrnimmt."
Steinmeier führte aus, auch Begriffe wie "Achse der Willigen" (von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz für eine engere Kooperation zwischen Österreich, Italien und Deutschland ins Spiel gebracht), seien keine "geeignete Sprache". Der Weg zu einer gemeinsamen Migrationspolitik in Europa sei schließlich mühsam genug. Auch der deutschen Rolle als Stabilitätsanker in Europa habe die Regierungskrise nicht genützt, ergänzte er. Deutschland müsse weiter dafür werben, dass "wir auf einem gemeinsamen europäischen Weg bleiben".
"Seit sieben Jahren beschäftigen wir uns vornehmlich mit uns"
Europa sollte sich - so Steinmeier - mit Blick auf die protektionistische Politik von US-Präsident Donald Trump klar machen, dass es selbst mehr Verantwortung übernehme müsse. "Die Europäer sollten sich nicht erschöpfen in Empörung gegenüber der amerikanischen Administration", warnte er. "Das, was ich in Europa wirklich als bedrohlich empfinde, ist, dass wir uns jetzt schon seit sieben Jahren vornehmlich mit uns beschäftigen." Damit müsse Schluss sein.
se/cgn (rtr, dpa)