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Politik

Wer folgt auf Joachim Gauck?

Kay-Alexander Scholz
4. Oktober 2016

Es braucht viel Vorbereitung, um in Deutschland einen neuen Bundespräsidenten zu wählen. Zu beachten sind zum einen formale Aspekte - zum anderen die Kandidatenfrage. Punkt eins ist geklärt. Punkt zwei geht voran.

Berlin Joachim Gauck Einbürgerungsfeier im Schloss Bellevue 22.05.2014
Bild: picture-alliance/dpa

Viele Staaten lassen ihre Bürger direkt über ihr Oberhaupt abstimmen. Österreich zum Beispiel hat den Bundespräsidenten gerade wieder in einer Volksbefragung gewählt. In Deutschland dagegen gibt es ein eigenes parlamentarisches Gremium für diese Wahl: die Bundesversammlung. Das wollten die Väter des Grundgesetzes so, die nach den schlechten Erfahrungen aus der Weimarer Republik eine Volkswahl ablehnten.

Deshalb orientierten sie sich am föderalen Charakter Deutschlands. Der Bundestag und die Bundesländer sollten entscheiden. Doch die Landesregierungen sollten wiederum auch nicht direkt abstimmen. So entstand der Kompromiss, festgehalten in Artikel 54, Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Bundesversammlung setzt sich zusammen "aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Zahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden". Das bedeutet aber, dass die konkrete Zusammensetzung der Bundesversammlung von Mal zu Mal anders ist. 

Knifflig: Die Bundesversammlung

Beispiel 16. Bundesversammlung am 12. Februar 2017: Die derzeit 630 Abgeordneten des 18. Deutschen Bundestages sind gesetzt. Die andere Hälfte - 630 Wahlmänner und -frauen aus den Bundesländern - setzt sich entsprechend des Anteils der Bundesländer an der Gesamtbevölkerung zusammen. Die Delegierten mussten erst noch bestimmt werden. Die Bundesregierung hat in dieser Woche einen entsprechenden Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière zur anderen Hälfte der Bundesversammlung abgesegnet. Grundlage ist die amtliche Bevölkerungsstatistik. Demnach wird beispielsweise das Bundesland Nordrhein-Westfalen mit 135 Wahlleuten die meisten Personen in die Bundesversammlung entsenden. Aus Bremen kommen die wenigsten, nämlich fünf Personen. Eine weitere deutsche Besonderheit: Aus den Ländern werden nicht nur Politiker entsandt, sondern auch Prominente aus Kultur und Sport. Das Formale ist somit geklärt.

Die spannende Frage ist die politische Zusammensetzung der Bundesversammlung. Das politische Kräfteverhältnis der Hälfte der Wahlleute, nämlich der Bundestagsabgeordneten, ist bekannt. Offen war bis jetzt das genaue Kräfteverhältnis der anderen Hälfte, die immer die Zusammensetzung der Landesparlamente spiegelt. Also musste de Maizière die letzten Landtagswahlen abwarten, bevor er seine Liste zusammenstellte. Das Ergebnis sieht zum Beispiel so aus: Aus Baden-Württemberg werden 80 Wahlleute entsandt. Davon werden 27 den Grünen zurechnet, 24 der CDU, 12 der AfD, 11 der SPD und 6 der FDP. Das entspricht ungefähr der Sitzverteilung im Landesparlament.

Insgesamt wird die politische Zusammensetzung der 16. Bundesversammlung wie folgt in der Grafik (siehe oben) aussehen. Eine kleine Ungenauigkeit bleibt: In zwei Bundesländern wird die genaue Verteilung der Wahlleute noch per Losentscheid festgelegt.

Einmal und nie wieder

01:15

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Gewünscht: Ein Konsenskandidat

Soweit der einfachere Teil der Wahl - schwieriger ist die Kandidatenfrage. Oft prägen parteitaktische Überlegungen die Personalfrage. Amtsinhaber Joachim Gauck, der im Juni bekannt gegeben hatte, nicht für eine mögliche zweite Amtszeit zur Verfügung zu stehen, ist parteilos und war ein Konsenskandidat. Das hat sich bewährt, mit Gauck sind die meisten zufrieden, auch Merkel, die ihn anfangs nicht wollte.

Einen breiten Konsens soll es auch bei der kommenden Wahl am 12. Februar 2017 in Berlin geben. Das haben die Chefs der drei Regierungsparteien im Bund bei einem Treffen im Kanzleramt vereinbart. Angela Merkel (CDU), Sigmar Gabriel (SPD) und Horst Seehofer (CSU) wollen offensichtlich nach einem gemeinsamen Kandidaten für das höchste Staatsamt suchen, auch wenn sie diese Abmachung nicht offiziell bestätigt haben.

Entsprechende Signale aber kommen derzeit aus vielen Richtungen. Volker Kauder, Chef der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, möchte, wie er dem "Spiegel" sagte, ein möglichst breites Bündnis. Begründung: "Diesmal geht es vielleicht mehr denn je darum, unserem Land und unserer Demokratie einen Dienst zu erweisen und nicht irgendeiner Parteienkonstellation." Gaucks Nachfolger sollte "eine breite Zustimmung aller Demokraten" haben. Was Kauder damit meinte, aber nicht sagte: Die etablierten Parteien treibt die Sorge um die AfD, die 35 Wahlleute entsenden wird.

Die rechte AfD schlägt Kapital aus der wachsenden Migration und der Schwäche der EU und macht Front gegen die anderen Parteien - das schweißt diese zusammen. Selbst der linke Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow, hat vor kurzen betont: "Wir brauchen in Zeiten, in denen die AfD von Sieg zu Sieg eilt, einen Kandidaten, der weit über jedes Spektrum hinaus Akzeptanz findet".

Komplizierte Zahlenspiele

Aber auch parteitaktisch gesehen ist ein Konsenskandidat, der keine Regierungskoalition vorwegnimmt, von Vorteil. Denn ist es derzeit offen, welche Parteien die nächste Bundesregierung stellen, wenn diese sieben Monate nach dem Präsidenten gewählt wird. Rechnerisch möglich wären nach derzeitigen Umfragen eine erneute Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, aber auch ein Dreierbündnis aus CDU/CSU, Grünen und FDP. Manche Grüne können sich aber auch ein Bündnis mit SPD und Linken vorstellen, was momentan zahlenmäßig allerdings schwierig wäre.

Die Arithmetik, die daraus folgt, ist komplex, denn in der Bundesversammlung sind die Mehrheitsverhältnisse etwas anders. Union und SPD hätten eine absolute Mehrheit von mehr als 631 Stimmen, aber auch Schwarz-Grün hätte genügend Stimmen. Sogar Rot-Rot-Grün liegt nur knapp darunter - hätte aber im dritten Wahlgang eine Chance, in dem eine einfache Mehrheit, also die höchste Stimmenzahl, ausreicht. Die AfD wird wohl bei den Zahlenspielen im Vorfeld der Wahl eher keine Rolle spielen, da die Partei mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen gehen will - zumindest im ersten Wahlgang.

Jede Menge Spekulationen

Offiziell wurde in Berlin noch immer kein gemeinsamer Kandidat bekanntgegeben. Es gibt nur viele Gerüchte - zum Beispiel zum jetzigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt oder dem jetzigen Präsidenten des Bundestags Norbert Lammert (CDU), der über Parteigrenzen hinweg ein hohes Ansehen genießt. Auch der deutsch-iranische Schriftsteller, Journalist und Islamwissenschaftler Navid Kermani (Foto) ist im Gespräch. Er hat noch nicht abgesagt, anders als etwa der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle. Kermani ist Muslim - deshalb gibt es allerdings auch die Sorge, seine Wahl wäre Wasser auf die islamkritischen Mühlen der AfD. Viel spricht aber auch für Kermani. Er stehe für eine "globale Ökumene, die das Beste der Weltreligionen einschließt und sie für die friedliche Zukunft der Gesellschaft in die Pflicht nimmt", schrieb der Schriftsteller Paul Ingendaay in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Schriftsteller Navid Kermani: Kandidat für die Bundespräsidentschaft?Bild: picture alliance/dpa/T. Frey

Merkel hat vor kurzem gesagt, sie könne sich auch vorstellen, dass ein Berufspolitiker das Amt übernimmt. Was für Hasselfeldt sprechen würde. Eine CSU-Kandidatin wäre ein Friedenssignal an die bayerischen Christsozialen, mit denen Merkels CDU wegen der Flüchtlingspolitik im Clinch liegt. Damit könnte sich Merkel die Zustimmung der CSU "erkaufen", 2017 eine Koalition mit den Grünen einzugehen, was momentan bei der CSU noch auf breite Ablehnung stößt. Aber solche Überlegungen sind reine Spekulationen. Namen werden folgen - demnächst.

Autor: Kay-Alexander Scholz

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