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Bundespräsident zwischen Fristen und Abwägungen

1. Juli 2005

Bundespräsident Horst Köhler muss jetzt entscheiden, ob der Bundestag aufgelöst wird. Verfassungsrechtlich wichtig sind die Argumente des Kanzlers zur Begründung der Vertrauensfrage. Experten sehen aber keine Probleme.

Horst Köhler ist jetzt gefordertBild: AP


"Die verfassungsrechtlichen Mindestvoraussetzungen für den Auflösungsantrag des Bundeskanzlers dürften jetzt vorliegen", sagt Verfassungsrechtler Ulrich Häde, Professor an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). "Der Eindruck des Konstruierten bleibt zwar haften. Letztlich wird man aber nicht widerlegen können, dass in den Voten die mangelnde Unterstützung für den Kanzler zum Ausdruck kommt." Mit einer Motivforschung wären sowohl der Bundespräsident als auch das Bundesverfassungsgericht überfordert.

Bundeskanzler Schröders Argumente werden jetzt geprüftBild: dpa

Auch Christian Hillgruber von der Universität Bonn sieht keine Probleme. "Ich war bislang zwar ausgesprochen skeptisch, aber nach der Rede des Bundeskanzlers bin ich der Meinung, dass er die instabile Lage im Parlament gut vertretbar dargelegt hat. Der Bundespräsident hat jetzt keine Veranlassung mehr, sich über die Einschätzung des Bundeskanzlers hinwegzusetzen."

Verfassungsrechtliche Grundlagen

Artikel 68 des Grundgesetzes gibt Horst Köhler bis zu einer Entscheidung 21 Tage Zeit - also bis zum 22. Juli. Köhler muss zunächst selbst entscheiden, kann aber mit seiner Entscheidung die Aufforderung an den Gesetzgeber verbinden, die rechtlichen Voraussetzungen zur Auflösung des Bundestages klarer zu fassen. Das müsste dann das Bundesverfassungsgericht erledigen.

1983 hat das Bundesverfassungsgericht schon einmal zur Vertrauensfrage geurteilt: "Die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag müssen seine (des Kanzlers) Handlungsfähigkeit so beeinträchtigen oder lähmen, dass er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag." Der Wunsch aller Parteien nach einer vorgezogenen Wahl reicht für eine Auflösung des Parlaments nicht aus, befanden damals die Richter.

Der Plenarsaal vor der Vertrauensabstimmung - gähnend leerBild: AP

Experten haben keine juristischen Bedenken

Nach Ansicht von Verfassungsrechtler Häde kann nach der Rede von Bundeskanzler Schröder davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, die das Bundesverfassungsgericht 1983 aufgestellt hat. Schröder habe auf die heftigen Debatten in der SPD, die knappe Mehrheit im Bundestag und die abweichenden Positionierungen in den Regierungsfraktionen verwiesen.

Blick auf das Bundesverfassungsgerichts in KarlsruheBild: AP

Der Kanzler könne daraus schließen, dass er nicht mehr über das notwendige Vertrauen der Mehrheit im Parlament verfüge, sagte Häde. "Der Bundespräsident muss diese Einschätzung akzeptieren, wenn sie nicht offenkundig unvertretbar ist. Zudem darf die Abstimmungsniederlage nicht offensichtlich konstruiert sein", sagte Häde weiter. "Das wäre der Fall, wenn sich allein die Kabinettsmitglieder enthalten oder wenn die anderen Abgeordneten ihre Stimmenthaltung jeweils mit einem offenen Treueschwur verbinden würden." Dies sei aber nicht gegeben.

"Entscheidend ist, dass der Bundeskanzler einen Einschätzungsspielraum hat über die politische Lage. Der Bundespräsident ist an diese Einschätzung gebunden, wenn sie nicht evident unsinnig ist", bekräftigt auch Erhard Denninger von der Universität Frankfurt. "Dass auch die Mehrheit der Bevölkerung Neuwahlen will, wird im Übrigen ein Argument sein, das Horst Köhler nicht einfach von sich weisen kann."

Münteferings Eigentor

Auch der Staats- und Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim geht davon aus, dass sowohl der Bundespräsident als auch das Bundesverfassungsgericht den Weg für eine vorgezogene Wahl endgültig freimachen werden. "Das ist meines Erachtens ganz rund - politisch sowieso, aber auch verfassungsrechtlich", sagte er nach der Aussprache und Abstimmung im Bundestag. Die Argumentation Schröders bezeichnete er als nachvollziehbar und glaubwürdig. Als kontraproduktiv in der Debatte um die Verfassungsmäßigkeit des von Schröder eingeschlagenen Weges nannte er die Äußerungen von SPD-Chef Franz Müntefering. Müntefering hatte erklärt, Schröder habe das Vertrauen der SPD-Fraktion. "Das war ein echtes Eigentor - völlig unnötig und überflüssig", sagte von Arnim. "Da hat er wohl einen Blackout gehabt." (arn)

SPD-Parteivorsitzender Franz MünteferingBild: dpa Zentralbild
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