Bundesregierung beantragt Videlas Auslieferung
2. März 2004Das Auswärtige Amt in Berlin bestätigte am Dienstag (2.3.2004) auf Anfrage von DW-WORLD, dass die Unterlagen zur Auslieferung hochrangiger argentinischer Militärs nach Deutschland an die deutsche Botschaft in Buenos Aires übermittelt worden sind. Die Bundesregierung beantragt damit die Auslieferung von drei der Hauptverantwortlichen für den Terror während der argentinischen Militärdiktatur (1976 bis 1983).
Es geht um den früheren argentinische Staatspräsident Jorge Videla, das ehemalige Junta-Mitglied und den früheren Oberbefehlshaber der Marine, Emilio Massera, sowie den Chef des 1. Heerescorps der so genannten "Zone 1", Guillermo Suárez Mason. Die Dokumente sollen in den nächsten Tagen dem argentinischen Außenministerium überreicht werden, sagte eine Sprecherin zu DW-WORLD. Es müsse lediglich noch ein Termin für die Übergabe gefunden werden. Dieser Schritt sei die konsequente Fortführung der Politik der Bundesregierung, "alle Maßnahmen zu begrüßen, die der Aufklärung des Schicksals deutscher Verschwundener während der argentinischen Militärdiktatur dienen", heißt es beim Außenministerium. Während der Junta-Zeit sind rund 100 Deutsche und Deutschstämmige von den Militärs entführt, gefoltert und ermordet worden.
Verantwortlich für Mord an Deutschen
Anfang Dezember 2003 hatte das Amtgericht Nürnberg-Fürth internationale Haftbefehle gegen die drei Militärs erlassen. Gegen die Beschuldigten bestehe der "dringende Tatverdacht des Mordes in mittelbarer Täterschaft an den deutschen Staatsbürgern Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank". Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden während der Militärdiktatur bis zu 30.000 Menschen verschleppt und ermordet. Die Verantwortlichen sind für diese Verbrechen dank Amnestiegesetzen in Argentinien bislang verschont geblieben. Der argentinische Präsident Néstor Kirchner und das Parlament hatten diese Gesetze allerdings im Jahr 2003 für ungültig erklärt.
Im Januar dieses Jahres wurden die Haftbefehle aus Nürnberg von den argentinischen Justizbehörden vollstreckt. Die Bundesregierung hatte nun eine maximale Frist von 40 Tagen, um die Auslieferung zu beantragen. Fristende sei am Samstag (6.3.), so die Sprecherin im Auswärtigen Amt. Die "Koalition gegen Straflosigkeit", ein Zusammenschluss von Menschenrechtlern, Kirchenvertretern und Anwälten, die sich für die Familien der Opfer in Deutschland einsetzen, begrüßt die Entscheidung der Bundesregierung: "Damit haben wir ein Zwischenziel erreicht, womit vor fünf Jahren, als wir unsere Arbeit begonnen, niemand gerechnet hatte", sagt Wolfgang Kaleck, Anwalt der Koalition, zu DW-WORLD.
Erster Auslieferungsantrag gegen Videla
Deutschland ist damit das erste Land, das einen Auslieferungsantrag gegen den ehemaligen Staatschef Videla beantragt. Gegen Suarez Mason und zwei andere Militärs hatte die Bundesregierung bereits 2001 Auslieferungsanträge gestellt, die von der damaligen Regierung abgelehnt worden waren. Kaleck freut sich, dass die Bundesregierung nicht dem Beispiel der spanischen Regierung gefolgt ist, die im Sommer 2003 die von Ermittlungsrichter Baltasar Garzón gewünschte Auslieferung von Videla und anderen Militärs abgelehnt hatte. "Der Antrag der Bundesregierung ist kein Zeichen von Arroganz, sondern es unterstützt die Kräfte in Argentinien, die sich die Aufarbeitung der Vergangenheit zum Ziel gesetzt haben", sagt Kaleck. "Das Verhalten Deutschlands zeigt, dass hier die Politik eines ehemaligen Staatschefs geächtet wird." Das sei keineswegs selbstverständlich.
Dass es zu einer Auslieferung kommt, ist allerdings ungewiss. "Wir begrüßen auch, wenn den Beschuldigten in Argentinien der Prozess gemacht wird", sagt Kaleck. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Im Gefängnis sitzt derzeit nur Suarez Mason. Der 78-jährige Videla steht wegen seines hohen Alters unter Hausarrest, Massera liegt schwer krank in einem Krankenhaus.
Unklare Rechtslage
Das Auslieferungsverfahren sieht vor, dass die Dokumente nach der Übergabe an das argentinische Außenministerium an den zuständigen Richter Sergio Torres weitergeleitet werden. Er wird über die Auslieferung entscheiden. Dazu muss er aber prüfen, ob den Beschuldigten in Argentinien der Prozess gemacht werden kann. Da sich das Oberste Gericht, das seit Monaten in einer Umbildungsphase steckt, aber immer noch nicht zur Verfassungsmäßigkeit der Amnestiegesetze geäußert hat, ist selbst unter Juristen unklar, wie sich Torres zu verhalten hat. Unabhängig von der Entscheidung des Richters hätte die argentinische Regierung noch die Möglichkeit eine Auslieferung zu verweigern.