Berlin macht Druck auf VW
21. September 2015Die Bundesregierung hat Volkswagen wegen der Manipulation von Abgaswerten in den USA attackiert und Aufklärung gefordert. "Wir stehen vor einem Fall von eklatanter Verbrauchertäuschung und Umweltschädigung", sagte Staatssekretär Jochen Flasbarth in Berlin. "Ich erwarte, dass VW lückenlos aufklärt." Er forderte die Autohersteller insgesamt auf zu klären, ob auch "Abgaswerte anderer Pkw-Modelle in dieser oder ähnlicher Weise manipuliert wurden oder werden".
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sprach von einem "schlimmen Vorfall". Man müsse sich um den exzellenten Ruf von VW und den Auto-Herstellern sorgen. Er erwarte aber keinen dauerhaften Schaden für die Industrie, so der SPD-Vorsitzende. Verkehrsminister Alexander Dobrindt sprach Regierungskreisen zufolge mit VW-Chef Martin Winterkorn über die Affäre.
Das mächtige Präsidium des VW-Aufsichtsrats will offenbar zu einer Krisensitzung zusammenkommen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Konzernkreisen. Demnach wird der Führungszirkel am Mittwoch über die Folgen des Skandals beraten. Zu dem Gremium gehören unter anderem der amtierende VW-Aufsichtsratschef Berthold Huber, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh und VW-Aufsichtsrat Wolfgang Porsche.
"Spitze des Eisbergs".
Ministerpräsident Weil hatte eine Manipulation von Emissionstests zuvor völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen genannt. "Es muss selbstverständlicher Anspruch des VW-Konzerns sein, die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten", fügte der SPD-Politiker hinzu. Der Fall ist für VW-Chef Winterkorn brisant, da der Aufsichtsrat am Freitag über eine Verlängerung seines Vertrags reden wollte.
Der Skandal rückt die gesamte Automobilbranche ins Zwielicht. Der ökologische Verkehrsclub VCD bezeichnete die Manipulationen in Berlin "als Spitze des Eisbergs". "Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass neben Volkswagen auch andere Konzerne die Abgaswerte manipulieren und das nicht nur in den USA", erklärte der verkehrspolitische Sprecher des VCD, Gert Lottsiepen. Nach Einschätzung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) setzen auch andere Hersteller ähnliche Methoden wie VW ein, um Abgaswerte zu manipulieren. Die DUH warf der Regierung vor, "auf Druck der Autoindustrie" keine wirksamen Maßnahmen zu ergreifen.
18 Milliarden Euro Strafe
Die EU-Kommission erklärte gegenüber der DW, sie nehme die Angelegenheit sehr ernst und stehe in Kontakt mit Volkswagen und der US-Umweltbehörde EPA. Noch lasse sich allerdings nicht beurteilen, ob auch Fahrzeuge in Europa betroffen seien.
Die EPA verdächtigt VW, bei zahlreichen Diesel-Fahrzeugen die Abgasvorschriften vorsätzlich umgangen zu haben. Es geht um fast eine halbe Million Autos. Volkswagen hat Fehlverhalten eingeräumt. Dem Dax-Konzern droht nach Angaben der Behörde damit eine Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar.
Laut EPA hat Volkswagen mittels einer Software den Schadstoffausstoß nur bei offiziellen Tests vollständig kontrolliert, nicht aber beim normalen Betrieb der Autos. Die Dieselfahrzeuge stießen folglich im regulären Straßenverkehr mehr Stickoxide aus als erlaubt. Stickoxide werden als gesundheitsschädlich eingestuft und können zu Atemwegserkrankungen führen.
VW stoppte den Verkauf von Dieselfahrzeugen in den USA und büßte an der Börse in Frankfurt ein Fünftel seines Wertes ein. Bereits kurz nach Handelsbeginn fiel das Wertpapier um gut 13 Prozent, im Laufe des Vormittags gar mehr als 20 Prozent. VW verlor damit zeitweise über 15 Milliarden Euro an Marktkapitalisierung und verlor seinen Spitzenplatz unter den deutschen Autokonzernen.
Schlimmer als der Kursrutsch wiegt Beobachtern zufolge der Imageschaden, den VW durch die Manipulation erlitten habe. Volkswagen werden es in den USA "sehr schwer haben, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen", sagte der Duisburger Autoforscher Ferdinand Dudenhöffer. In den USA hatte Volkswagen mit umweltfreundlichen Diesel-Fahrzeugen ("clean diesel") geworben.
stu/uh (afp, dpa, rtr)