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Bundesregierung: Schärfere Töne gegenüber Israel

1. August 2025

In Jerusalem hat der deutsche Außenminister die Regierung Israels aufgefordert, die "humanitäre Katastrophe in Gaza zu beenden." Die Kritik an Israel war nicht zu überhören. Welche Konsequenzen daraus folgen, ist offen.

Israel Jerusalem 2025 | Außenminister Wadephul im Gespräch mit Premierminister Benjamin Netanjahu
Außenminister Wadephul (li.) sprach mit Israels Premier Netanjahu über Waffenstilstand, Gaza, Hunger und Geiseln. Was kommt jetzt?Bild: Felix Zahn/AA/IMAGO

Nach Gesprächen mit Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Vertretern der Hilfsagenturen der Vereinten Nationen (UN) in Jerusalem versucht der deutsche Außenminister Johann Wadephul den verbalen Druck auf die israelische Regierung zu verstärken. Am Freitag appellierte er erneut eindringlich, die Regierung müsse der UN sofort ermöglichen, die hungernde Bevölkerung im Gaza-Streifen umfassend zu versorgen. "Deswegen geht unsere Aufforderung und Bitte an Israel, den Vereinten Nationen zu ermöglichen, die Hilfsgüter sicher zu transportieren und zu verteilen. Das war auch gestern schon Teil meiner Gespräche mit der israelischen Regierung. Die humanitäre Katastrophe im Gaza-Streifen muss jetzt beendet werden, und zwar mit  Hilfe des leistungsfähigen etablierten Systems der Vereinten Nationen", sagte Johann Wadephul (CDU) in Jerusalem.

Mit drastischen Worten hatte Wadephul die Lage im Gaza-Streifen am Donnerstag beschrieben. Das "Sterben und Leiden" habe "unfassbare Ausmaße angenommen." Wadephul appellierte auch an die Hamas ihre Kampfhandlungen zu beenden und alle Geiseln zu übergeben. Die Hamas wird von etlichen Ländern, darunter Deutschland, als Terrororganisation eingestuft.

Wadephul: "Israel muss handeln"

00:43

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Außenminister Saar sieht Wadephul als "Freund"

Der israelische Außenminister Gideon Saar ließ nicht erkennen, ob er auf die Forderung aus Deutschland eingehen wollte. Johann Wadephul sagte vor Journalisten, er habe den Eindruck, er sei verstanden worden. Gideon Saar wies allerdings Anschuldigungen seines rechtsextremen Kabinettskollegen Itamar Ben-Gvir zurück. Der hatte auf der Plattform X Deutschland vorgeworfen, 80 Jahre nach dem Holocaust wieder Nazis zu unterstützen.

Zuvor hatte der deutsche Außenminister vor einer internationalen Isolation Israels gewarnt und angedeutet, Deutschland müsse auf "einseitige" Schritte Israels reagieren. Johann Wadephul kritisierte mögliche Pläne der israelischen Regierung palästinensische Gebiete zu annektieren. Israels Außenminister Saar antwortete seinem radikalen Kollegen Ben-Gvir auf X: "Die Aussagen sind unnötig und schädigend. Deutschland ist ein freundlicher Staat und Außenminister Wadephul ist ein Freund Israels."

Unterschiedliche Ansichten: Minister Wadephul (li.) zu Besuch beim israelischen Kollegen Saar in JerusalemBild: Felix Zahn/AA/IMAGO

Das ändere aber nichts daran, dass man unterschiedliche Ansichten habe, fügte Israels Außenminister Saar auf X hinzu. Deutschland setzt sich für eine Zwei-Staaten-Lösung ein. Das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat am Ende eines politischen Prozesses bekräftigte Wadephul am Freitag nach einem Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah. Die Regierung Netanjahu lehnt dies ab. Deutschland verurteilt die Ausweitung von jüdischen Siedlungen im Westjordanland. Israels Außenminister hält sie für das natürliche Recht der jüdischen Siedler.

Weitere Beratungen in Berlin erwartet

Bundeskanzler Friedrich Merz hatte nach einer Sitzung des sogenannten Sicherheitskabinetts in Berlin am Montag Außenminister Wadephul nach Israel geschickt. Dort sollte er die Botschaft überbringen, dass die humanitäre Krise im Gaza-Streifen beendet werden müsse. Wadephul sollte außerdem ausloten, ob und wie die israelische Regierung überzeugt werden könnte. Über das Wochenende soll der Außenminister den Kanzler und eventuell erneut das Sicherheitskabinett informieren. In dieser Runde sind neben dem Kanzler und dem Außenminister auch der Verteidigungsminister, der Innenminister, der Finanzminister und die Geheimdienste vertreten. Ob die deutsche Regierung Sanktionen, eine Einschränkung von Waffenlieferungen oder gar die Anerkennung eines palästinensischen Staates beschließen könnte, ist unklar. In Berlin gehen Beobachter aber nicht davon aus, dass es konkrete Schritte geben wird - wegen der besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel.

Kritik sei möglich, aber Sanktionen auf keinen Fall, meinte etwa der Generalsekretär der Regierungspartei CSU, Martin Huber. Der Ton wird angesichts der dramatischen Bilder von verhungernden Kindern aus dem Gaza-Streifen allerdings schärfer und eindringlicher. Der SPD-Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, Dirk Wiese, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Zeit der Apelle sei vorbei. "Es braucht politischen Druck und konkrete Fortschritte", so Wiese, dessen Partei SPD ebenfalls der Regierungskoalition angehört. Der Direktor des deutschen Orientinstituts, Andreas Reinicke, sagte im Deutschlandfunk, deutsche Regierungen hätten sich aus guten Gründen lange und richtigerweise zurückgehalten. Wenn man jetzt aber eine Zwei-Staaten-Lösung bei Israelis und Palästinensern erreichen wolle, "dann werden wir das nicht nur verbal machen müssen, sondern auch mit einem aktiven Prozess begleiten müssen. (…) Ich glaube, der deutsche Einfluss ist größer als gemeinhin vermutet wird."

Die Zwei-Staaten-Lösung - eine Idee ohne Zukunft?

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Jerusalem sieht die Lage anders

Die israelische Regierung bestreitet, dass die humanitäre Lage im Gazastreifen einer Hungersnot gleichkomme. Die Lage sei besser als sie von internationalen Medien dargestellt werde. Das Außenministerium von Gideon Saar warf Zeitungen und Fernsehsendern vor, falsche oder verzerrte Bilder zu verbreiten. "So sieht moderne Blutrache aus: Ein krankes Kind, ein gekidnapptes Foto. Eine Lüge, die sich schneller verbreitet als die Wahrheit", heißt es in einem X-Post des Außenministeriums zu einem Fall in Italien. Dort sei ein krankes Kind, das sich seit dem 12. Juni in Italien befindet, jetzt als Illustration für den Hunger in Gaza missbraucht worden, berichtet die Zeitung Jerusalem Post. Die Darstellung der israelischen Regierung widerspricht den Beobachtungen internationaler Hilfsorganisationen sowie den Berichten von Augenzeugen.

Bundesaußenminister Johann Wadephul wies die in Israel oft geäußerte These zurück, eine Versorgung der Bevölkerung im Gaza-Streifen würde die Hamas-Terroristen belohnen. Es könne sein, dass in der Vergangenheit Hilfslieferungen von der Hamas zweckentfremdet wurden, so Wadephul, "aber die humanitäre Katastrophe im Gaza-Streifen ist jetzt so groß, dass es nicht gerechtfertigt ist, hier weitere Hürden aufzubauen."

Nahrungsmittel von der Gaza Humanitarian Foundation (hier im zentralen Gaza-Streifen) decken den Bedarf laut Vereinten Nationen nichtBild: Stringer/REUTERS

US-Sondergesandter an Verteilstelle

Während der deutsche Minister für eine Versorgung der Menschen in Gaza durch die Vereinten Nationen und das Welternährungsprogramm plädiert, halten Israel und sein wichtigster Bündnispartner USA an einer Versorgung durch die "Gaza Humanitarian Foundation" (GHF) fest. Der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, Steve Witkoff, besuchte am Freitag demonstrativ eine Verteilstelle der GHF am Grenzübergang Rafah. 100 Millionen Mahlzeiten seien in zwei Monaten von der GHF verteilt worden, gab der US-Botschafter in Israel, Mike Huckabee, an. Von den Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen wird die privat organisierte Hilfe der amerikanisch-israelischen Stiftung als unzureichend und chaotisch kritisiert. An den Verteilstellen der GHF waren in den vergangenen Woche Hunderte Menschen, vermutlich durch israelische Sicherheitskräfte, erschossen worden. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Am Freitag startete die Luftwaffe der Bundeswehr von Jordanien aus Flüge, um Paletten mit Hilfsgütern über dem Gazastreifen abzuwerfen. Diese Versorgung aus der Luft ist selbst nach Ansicht des deutschen Außenministers mehr ein symbolischer Akt. Entscheidend sei, wieder Hunderte Lastwagen täglich mit Nahrung in den Gazastreifen zu schicken, betonte Johann Wadephul in Jerusalem.

Bernd Riegert Korrespondent im Hauptstadtstudio Berlin mit Blick auf Menschen und Politik in Deutschland
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