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Politik

"Hetzjagden auf Menschen nehmen wir nicht hin"

27. August 2018

Nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen in Chemnitz sind hunderte mutmaßliche Rechte pöbelnd durch die sächsische Stadt gezogen. Die Oberbürgermeisterin ist fassungslos, die Bundesregierung reagiert scharf.

An dieser Stelle - nur wenige Meter abseits des Chemnitzer Stadtfestes - erlitt der 35-Jährige die tödlichen Verletzungen (Foto: picture-alliance/dpa/A. Prautzsch)
An dieser Stelle - nur wenige Meter abseits des Chemnitzer Stadtfestes - erlitt der 35-Jährige die tödlichen VerletzungenBild: picture-alliance/dpa/A. Prautzsch

Der Aufmarsch hunderter Menschen nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen in Chemnitz beschäftigt Polizei und Behörden wie auch die Politik. Die Bundesregierung nahm die Vorfälle zum Anlass, um "Hetzjagden" auf Ausländer "auf das Schärfste" zu verurteilen. Ein Stadtsprecher sagte, die Geschehnisse vom Sonntag müssten ausgewertet werden. Die gesamte Nacht über waren verstärkt Einsatzkräfte im Stadtgebiet unterwegs. Derzeit werden laut Polizei vier Anzeigen bearbeitet, darunter seien zwei wegen Körperverletzung, eine wegen Bedrohung sowie eine wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Auch an diesem Montag sind mehrere Demonstrationen geplant. Die rechtsgerichtete Bürgerbewegung "Pro Chemnitz" rief auf Facebook zu einer Kundgebung auf. Mehrere linke Gruppierungen aus Sachsen kündigten in den sozialen Netzwerken Gegenveranstaltungen an.  

Das Stadtfest wurde nach dem tödlichen Streit abgebrochenBild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Videos zeigen Übergriffe auf Migranten

Am Sonntagnachmittag waren - nach dem Tod eines 35-jährigen Deutschen nach einem Streit zwischen Menschen mehrerer Nationalitäten auf dem Chemnitzer Stadtfest - hunderte Demonstranten durch die Innenstadt gezogen. Wie die "Bild" berichtete, waren unter den Demonstranten "gewaltbereite Rechte", die gegen "Ausländerkriminalität" protestierten und Sprüche wie "Wir sind das Volk" skandierten. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) berichtete von Rangeleien. Es wurden auch Flaschen in Richtung der Polizei geworfen. Videos in sozialen Medien zeigten Übergriffe auf Migranten. Mindestens ein Beamter wurde verletzt. Das Stadtfest in Chemnitz wurde aus Sicherheitsbedenken vorzeitig beendet. 

Bei dem verhängnisvollen Streit mit rund zehn Personen wurden zwei weitere Männer im Alter von 33 und 38 Jahren verletzt, zum Teil schwer, wie die Polizei Chemnitz mitteilte. Bei der Auseinandersetzung sollen auch Messer zum Einsatz gekommen sein. Die Polizei nahm zwei 22 und 23 Jahre alte Männer vorläufig fest, die sich vom Tatort entfernt hätten. Zu deren Nationalität wollten die Beamten keine Aussage machen. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln wegen Totschlags. Der Grund für die Auseinandersetzung ist weiter unklar.

Bundesregierung: "Hetzjagden" auf Ausländer

Offenbar war die Polizei zunächst mit der Situation überfordert: Die Beamten war nach eigenen Angaben zunächst "nur mit geringen Kräften vor Ort". Deswegen wurden Einsatzkräfte der sächsischen Bereitschaftspolizei nach Chemnitz verlegt. "Wenn ich sehe, was sich in den Stunden am Sonntag hier entwickelt hat, dann bin ich entsetzt", sagte Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) dem MDR. "Dass es möglich ist, dass sich Leute verabreden, ansammeln und damit ein Stadtfest zum Abbruch bringen, durch die Stadt rennen und Menschen bedrohen - das ist schlimm." Zunächst hatten die Veranstalter Pietätsgründe für den Abbruch des Fests angegeben. 

Die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig mit dem Polizeidirektor Jörg Kubiessa (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

"Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Der Tod des Mannes sei schrecklich und Tatverdächtige müssten der Justiz zugeführt werden.

Zu dem Tweet eines AFD-Bundestagsabgeordneten, der Verständnis für die Ausschreitungen gezeigt hatte und indirekt zu Selbstjustiz aufrief, sagte Seibert: "Solche Forderungen disqualifizieren sich selbst." Der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier hatte getwittert: "Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!" Und: "Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende... 'Messermigration' zu stoppen!"

Linke: Es waren "Nazis aller Couleur" beteiligt 

An dem spontanen Aufmarsch in Chemnitz beteiligten sich nach Einschätzung der sächsischen Linke-Politikerin Kerstin Köditz Nazis aller Couleur. Es seien nicht nur Hooligans auf der Straße gewesen, sagte Köditz der Deutschen Presse-Agentur. Das habe man auch bei Krawallen wie in Freital oder Heidenau 2015 beobachten können. "Es ist mittlerweile unkompliziert, aus irgendeinem Anlass binnen kurzer Zeit eine große Menge zusammenzubringen." 

Die Linke-Politikerin kritisierte zugleich Versäumnisse bei der Polizei. "Warum hat man so lange gebraucht, um genügend Einsatzkräfte herzubringen. Wenn Informationen durchsickern, dass es am Rande eines Stadtfestes einen Toten gab, dann hätte die Polizei eigentlich Gewehr bei Fuß stehen müssen - bei all dem Alkohol, der bei solchen Gelegenheiten konsumiert wird", so Köditz weiter. Sie könne nur hoffen, dass die Polizei die für diesen Montag angekündigten Demonstrationen "auf dem Schirm hat". 

sti/stu/haz (dpa, afp, rtr)

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