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Politik

Bundestag beschäftigt sich mit Anis Amri

28. Februar 2018

Zwölf Menschen ermordete der Dschihadist im Dezember 2016 in Berlin. Ein Sonderermittler des Berliner Senats kam zu dem Ergebnis, dass Sicherheitsbehörden versagt haben. Trotzdem sind noch viele Fragen unbeantwortet.

Deutschland Anschlag mit LKW auf Weihnachtsmarkt in Berlin
Mit diesem Lastwagen raste Anis Amri am 19. Dezember 2016 in den ungeschützten Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz Bild: Reuters/P. Kopczynski

Fünf Tage vor Heiligabend 2016 raste der aus Tunesien stammende Flüchtling Anis Amri mit einem gestohlenen Lastwagen in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Dabei tötete er elf Menschen und verletzte viele weitere schwer. Zuvor hatte er den Fahrer des LKW ermordet. Dem Entsetzen über das Massaker folgten bald Fassungslosigkeit und Wut über eine Reihe von schwerwiegenden Fehlern bei Ausländer- und Sicherheitsbehörden.

Im Auftrag der Berliner Landesregierung legte Sonderermittler Bruno Jost im Oktober 2017 einen ausführlichen Bericht vor. Sein verheerendes Urteil: Mitunter sei alles falsch gemacht worden, "was man falsch machen kann". Weil aber auch Jost nur einen Ausschnitt des Behördenversagens in den Blick nehmen konnte, empfahl Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) einen Untersuchungsausschuss des Bundestages. Den wird das Parlament an diesem Donnerstag einsetzen. Auf Länderebene gibt es bereits zwei: in Berlin und Nordrhein-Westfalen, wo sich Amri mit mehreren falschen Identitäten überwiegend aufhielt.

Angehörige fühlen sich allein gelassen

Vorsitzender des Bundestags-Gremiums wird der Christdemokrat Armin Schuster sein. Mit Untersuchungsausschüssen zum weiten Feld des Terrorismus hat er Erfahrungen. In der vergangenen Legislaturperiode war er Mitglied im Untersuchungsausschuss zur Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Der rechtsextremistischen Terrorgruppe werden zehn Morde und Bombenanschläge mit vielen Schwerverletzten zur Last gelegt.

Die Namen der Opfer und ihre Herkunftsländer sind auf Stufen der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz eingraviert Bild: Reuters/F.Bensch

Den Amri-Untersuchungsausschuss hält Schuster auch deshalb für nötig, weil man nach seiner Wahrnehmung trotz einer ähnlich hohen Opfer-Zahl wie beim NSU "merkwürdig anders" mit dem Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt umgehe. Konkret: Die "gefühlte Bedeutung" liege nach seinem Eindruck "eine Schwelle tiefer". Dass sich die Angehörigen der Toten und die Überlebenden des von Amri verübten Massakers allein gelassen fühlten, hat auch schon der im staatlichen Auftrag handelnde Opfer-Beauftragte Kurt Beckerfahren müssen. Das gilt allerdings in noch stärkerem Maße für die Familien der NSU-Opfer, die sogar verdächtigt wurden, in die Taten verwickelt gewesen zu sein.

Die Toten stammen aus sechs Ländern

Schuster rechnet fest damit, dass international Interesse an weiterer Aufklärung besteht. Denn unter den Opfern sind neben Deutschen auch Menschen aus Israel, Italien, Polen, Tschechien und der Ukraine. Er glaube, die Angehörigen hätten nicht nur die Erwartung auf Entschädigung und Unterstützung. Sie erwarteten auch, "dass wir schonungslos aufklären und Fehler abstellen". Das sei für ihn nachvollziehbar und deswegen wolle er mit ihnen zu Beginn der Arbeit ins Gespräch kommen. Den Charakter des Ausschusses werde das "positiv beeinflussen", hofft Schuster. 

Tag des Gedenkens

01:59

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Im Zentrum des Aufklärungsinteresses stehen Fragen nach der erkennbar mangelhaften Zusammenarbeit zwischen Ausländer- und Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder. "War unsere föderale Struktur mal wieder an der Grenze?", fragt sich nicht nur der Ausschuss-Vorsitzende. SPD-Obmann Fritz Felgentreu will insbesondere wissen, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit ausländischen Behörden zusammengearbeitet hat. "Was haben ausländische Dienste zugearbeitet? Wie hat das BfV darauf reagiert?" Man erhoffe sich Aufschlüsse darüber, was über Amris Gefährlichkeit bekannt gewesen sei.

Besonderes Interesse an der Arbeit des GTAZ

Im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum von Bund und Ländern (GTAZ) wurde der Dschihadist schon lange vor dem Anschlag als sogenannter Gefährdereingeschätzt. Solchen Personen trauen Sicherheitsexperten zu, Attentate zu planen und auszuführen. Die Ausschuss-Obfrau der Grünen, Irene Mihalic, will deshalb schwerpunktmäßig die Abläufe im GTAZ hinterfragen. "Warum war Amri dort so oft Thema und in der Konsequenz ist nichts geschehen?"

Noch weiter geht Martina Renner, Obfrau der Linken: Eine zentrale Frage sei, was das Bundeskriminalamt (BKA) und der Verfassungsschutz nach Amris Tod unternommen hätten, um mögliche Komplizen, Mitwisser oder Mittäter ausfindig zu machen? "Müssen wir von einem Netzwerk ausgehen? War Amri eingebunden in eine Kommando-Struktur des Islamischen Staats?" Und mit Blick in die Zukunft: "Was kann in Zukunft getan werden, dass im Zuge der Gefahrenabwehr solche Taten rechtzeitig unterbunden werden?" Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) könne eine Rolle gespielt haben, "wenn es um zum Beispiel um Kontakte Amris nach Libyen gehe".

Abgeordnete pochen und hoffen auf lückenlose Akten-Herausgabe

Solche Aspekte hält die Linken-Abgeordnete deshalb für relevant, weil im Fall Amri auch Informationen von Nachrichtendiensten "sogenannter befreundeter Länder" von Interesse gewesen sein könnten. Auf Akten mit solchen möglichen Inhalten haben die Untersuchungsausschüsse der Länder im Unterschied zum Bund keinen direkten Zugriff. Ob und in welcher Form schließlich Einblick in geheime Unterlagen der Nachrichtendienste gewährt wird, ist eine andere Frage.

Martina Renner (Archivbild) war schon im NSA-Ausschuss Bild: picture-alliance/dpa

Erfahrungen aus den Untersuchungsausschüssen zur Terrorgruppe NSU und zur Spionage-Affäre um den BND und die US-amerikanische National Security Agency (NSA) sind wenig ermutigend. Denn immer wenn es für die Bundesregierung und die ihr unterstellten Behörden heikel zu werden schien, wurden Akten massiv geschwärzt oder die Herausgabe ganz verweigert.

Treffen mit Opfern und Angehörigen

Die ersten Zeugen im Amri-Untersuchungsausschuss, der offiziell nach dem Tatort Breitscheidplatz benannt ist, sollen erst im Mai vernommen werden. Nach einem Treffen mit Opfern und Angehörigen des Anschlags planen die Abgeordneten mehrere Experten-Anhörungen. Dabei soll es am 22. März um die föderale Sicherheitsarchitektur in Deutschland gehen. Nach der Osterpause stehen in der zweiten April-Hälfte die Arbeitsweise von Ausländer- und Migrationsämtern sowie eine Gefährder-Analyse auf der Tagesordnung. Nach allem, was bislang bekannt ist, führte Amri alle mit ihm befassten Behörden systematisch in die Irre.

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