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Politik

Bundestag lockert Werbeverbot für Abtreibungen

21. Februar 2019

Ärzte dürfen laut Beschluss des Bundestages künftig darüber informieren, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Ist das der Schlussstrich unter eine lange und erbittert geführte Debatte? Eher unwahrscheinlich.

Demonstration gegen Paragraf 219a
Bild: picture-alliance/dpa/B.Roessler

Reform von Paragraf 219a

02:07

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"Wir haben abgetrieben!" Mit diesem Bekenntnis sind im Jahr 1971 erstmals deutsche Frauen nach französischem Vorbild in die Öffentlichkeit gegangen. Schwangerschaftsabbrüche waren ein Tabu. Es gab sie natürlich: illegal, schambehaftet, im Verborgenen. Viele Schwangere reisten für eine Abtreibung ins Ausland. Dorthin, wo das in Deutschland Unsagbare offiziell machbar war. Insofern war eine Sensation, dass bei der von der Feministin Alice Schwarzer organisierten Aktion mehr als 370 teilweise prominente Frauen sich dazu bekannten, obwohl sie damit einen Gesetzesverstoß zugaben.

Die spektakuläre Aktion von 1971

Mittlerweile sind Abtreibungen zwar weiterhin verboten; unter bestimmten Bedingungen aber frei von Haft- oder Geldstrafen. So müssen zwischen einer Pflichtberatung und dem Eingriff drei Tage Bedenkzeit liegen. Doch über Abtreibungen im Grundsatz und damit verbundene wichtige Detailfragen streiten liberale Befürworter legaler Schwangerschaftsabbrüche und konservative, kirchliche Gegner weiterhin gleichermaßen hoch emotional wie unversöhnlich - in den letzten Jahren besonders über den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches. Er verbietet die Werbung für solche Eingriffe und soll mögliche finanzielle Interessen behandelnder Ärzte eindämmen.

Hilfe in einer existentiellen Notlage

Jetzt hat der Bundestag den Regierungsentwurf der Großen Koalition von Union und SPD zur Reform dieses vieldiskutierten Paragrafen mit deutlicher Mehrheit verabschiedet. Demnach können sich Schwangere künftig leichter über die Möglichkeiten einer Abtreibung erkundigen, ob diese mit Medikamenten oder einem Eingriff erfolgen. Während den Frauen die belastende Gewissensentscheidung erleichtert werden soll, geht es bei den Ärzten um mehr Rechtssicherheit. Der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, erklärte in der kontrovers geführten Bundestagsdebatte. "Wir gehen heute einen wichtigen Schritt nach vorne zur Beseitigung einer wichtigen Einschränkung der Frauenrechte in einer existentiellen Notlage." Weitere Redner der Regierungskoalition äußerten sich ähnlich.

Abtreibungsgegner demonstrieren unter anderem mit dem Bild eines 10 Wochen alten Embryos vor einer BeratungsstelleBild: picture-alliance/dpa/A.Dedert

Anders als bisher dürfen Ärzte und Kliniken nun darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen - beispielsweise auf ihrer Webseite. Für weitergehende Informationen wie die Behandlungsmethoden müssen sie allerdings auf Behörden, Beratungsstellen und Ärztekammern verweisen. Auf einer von der Bundesärztekammer zentral geführten Liste sollen zudem Ärzte sowie Krankenhäuser aufgeführt werden, die derartige Eingriffe vornehmen. Erst über diese Liste sind Angaben über die angebotenen Methoden abrufbar.

Ärzte mit einem Bein in der Strafbarkeit

Doch die Reform des Paragrafen geht den einen zu weit, den anderen nicht weit genug. Vor allem die Anhänger der sogenannten Lebensschutzbewegung und die rechtspopulistische AfD verdammen jeden Ansatz einer Aufweichung des Abtreibungsverbots. Die AfD warf der Regierung in der Bundestagsdebatte vor, beim Lebensschutz kapituliert zu haben. Das liberale Lager wiederum vermisst den großen Wurf. So fordern die oppositionellen Grünen, Linken und die FDP die Abschaffung des Paragrafen 219a. Auch außerhalb des Parlaments in Berlin gibt es Kritik. "Das ist einmalig, dass man mit dem Strafrecht, dem schärfsten Schwert des Staates, Informationen regulieren möchte", kritisiert die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Maria Wersig, die Reform im Gespräch mit der DW. Dieser Kompromiss ändere daran nichts, ergänzt sie.

Kundgebung für die Abschaffung des § 219a in Berlin: Darunter die verurteilte Ärztin Kristina Hänel (2.v.l.)Bild: picture-alliance/dpa/M.Arriens

Ihr Juristinnenbund befürwortet die Paragrafen-Streichung. Wersig sieht in ihm einen verfassungswidrigen Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzte, die legale Dienstleistungen anbieten. Nun bliebe es im Grundsatz dabei, dass Ärzte "weiterhin mit einem Bein in der Strafbarkeit stehen, sobald sie auf ihrer Webseite einen Satz mehr schreiben als das Wort 'Schwangerschaftsabbruch'".

Demonstrationen von Lebensschützern vor Praxen

Aufgrund der bisherigen Regelung hatten Lebensschützer Ärzte vielfach angezeigt, wenn diese auf ihren Webseiten darüber informierten, dass sie solche Leistungen anbieten. Für Schlagzeilen sorgte zuletzt der Fall der Frauenärztin Kristina Hänel. Sie wurde 2017 vom Amtsgericht Gießen zu 40 Tagessätzen von jeweils 150 Euro verurteilt, weil sie im Internet das Leistungsspektrum ihrer Arztpraxis beschrieb und Schwangerschaftsabbrüche erwähnte.

Wegen des von den Lebensschützern aufgebauten Drucks, die oftmals vor Praxen demonstrieren, könnte die geplante zentral geführte Liste aller abtreibungsbereiten Ärzte unvollständig sein. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass sich jeder Arzt "auf eine Liste stellen lässt, die als Pranger benutzt werden kann", erklärt die Juristin Maria Wersig. Sie geht davon aus, dass der Bundestag lediglich eine weitere Etappe in einer längeren Reformdiskussion hinzugefügt hat. Das Thema werde auf jeden Fall auch beim Bundesverfassungsgericht landen. "Das haben die betroffenen Ärztinnen schon klar gemacht, deren Webseiten zum Teil auch nach neuer Rechtslage weiterhin strafbar sein werden", betont sie.

Hohe Dringlichkeit angesichts steigender Abbrüche

Sicherlich werden auch Frauenverbände und Aktivistinnen mit diesem Kompromiss nicht zufrieden sein. Die Opposition dürfte ebenfalls weiter an dem Paragrafen rütteln. Jüngste Zahlen des Statistischen Bundesamtes deuten zudem daraufhin, dass in der grundsätzlichen Frage des Umgangs mit Schwangerschaftsabbrüchen weitere heftige Debatten bevorstehen. Denn nach jahrelangem Rückgang nehmen die Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland wieder zu. 2017 stiegen sie im Vergleich zum Vorjahr um 2,5 Prozent auf 101.209. Die meisten der Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen ließen, waren erwartungsgemäß zwischen 18 und 34 Jahre alt - also genau diejenigen, die aufgrund ihres Alters einen besonderen Informationsbedarf haben.

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