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"In Deutschland ist die Wahl leise"

Catherine Lankes
14. September 2021

Was hat die Bundestagswahl mit Afrika zu tun? Und wie finden Afrodeutsche den Wahlkampf? Eine Reportagereise quer durch Deutschland mit DW-Kolleginnen und Kollegen aus Afrika wagt den Perspektivwechsel.

DW-Interview mit SPD-Politiker Karamba Diaby,
"Politiker ohne Personenschutz": DW-Interview mit SPD-Politiker Karamba Diabyin Halle (Saale) Bild: DW

Karamba Diabys Gesicht lächelt groß von den Fenstern seines Wahlkreisbüros - beinahe trotzig, wenn man weiß, dass noch im vergangenen Jahr auf diese Fenster geschossen wurde. Heute, mitten im Wahlkampf, tritt der SPD-Bundestagsabgeordnete aus seinem Büro im ostdeutschen Halle (Saale), lacht wie auf den Fensterfotos neben ihm, fester Politiker-Händedruck zur Begrüßung. 

Während wir DW-Journalisten unsere Kameras aufbauen und noch ausgehandelt wird, wer filmen soll und wer live gehen wird, diskutieren wir leise, um richtig zu liegen: Diaby ist der erste afrodeutsche Bundestagsabgeordnete, geboren in Senegal, als Student in die DDR gekommen - und der einzige schwarze.

DW-Journalist Harrison Mwilima hat die Reise organisiert - und geht vor Diabys Büro auf Facebook liveBild: Braima Darame/DW

Er wirkt offen, scheint sich über die Kollegen aus Afrika zu freuen, aber ist doch auch bestimmt: 30 Minuten hat er für uns Zeit, wie lange wir denn brauchen würden. Acht Leute? Dass wir so viele sind, damit habe man im Büro nicht gerechnet. Englisch, nein, Englisch wolle er nicht sprechen - Französisch schon, aber nicht über die afrikanische Politik, denn er sei deutscher Politiker. 

"Politiker ohne Personenschutz, das ist erstaunlich"

Und das ist er wirklich. Als wir fertig sind - wir haben ein französisches und ein deutsches Interview aufgenommen - eilt Diaby davon. Aus dem Büro raus, zum nächsten Termin, Aktentasche im Arm. "Schaut euch das an, niemals würde das in Nigeria so laufen", meint DW-Journalistin Binta Aliyu-Assan, ursprünglich aus Nigeria. "Ein Politiker, ein Parlamentsabgeordneter ohne Personenschutz, zu Fuß, ohne Auto, das ist wirklich erstaunlich. Ich wünsche mir, dass Afrika von diesen deutschen Kampagnen etwas lernt."

In Halle (Saale) treffen wir uns mit uns mit einem Professor und einer Studentin Bild: Braima Darame/DW

Dieser Politiker wird uns später noch eine Nachricht schicken - er hätte uns noch einmal in Halle gesehen, ob wir uns nicht noch einmal treffen wollen? Wir müssen absagen, aber dennoch: "Dass wir von ihm noch eingeladen wurden, hat mich sehr überrascht. In Nigeria fühlen sich Parlamentsabgeordnete wie Mini-Götter", sagt Aliyu-Assan. "So einfach noch schnell zu einem Treffen einladen, das würde wirklich nicht passieren."

20 Stunden im Bus, 2000 Kilometer, sechs Städte

Knapp 2000 Kilometer quer durch Deutschland sind wir  - acht DW-Journalistinnen und Journalisten gefahren - drei Wochen vor einer Bundestagswahl, in der Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mehr antreten werden wird. Wer nach ihr kommt, das interessiert auch die Welt: 16 Jahre war Merkel im Amt und hat sich auf der großen Bühne einen Ruf gemacht. Aber was denkt denn Deutschland in diesem Wahlkampf und wieso ist das für Afrika wichtig?

Wir haben sechs deutsche Städte besucht, um das herauszufinden. Vom Westen in den Osten und wieder zurück - Bonn, Berlin, Potsdam, Hamburg, Halle (Saale), Aachen, Bonn. Politiker und Politikerinnen wollten wir treffen, mit Menschen aus Afrika sprechen, uns verschiedene Wahlorganisationen anschauen. Über 20 Stunden haben wir dafür mit viel Musik in unserem Kleinbus gesessen, sind an unzähligen Wahlplakaten vorbeigefahren und haben diskutiert. 

Das Fahren haben wir uns aufgeteilt. Nächster Halt: PotsdamBild: DW

Auch darüber, dass der deutsche Wahlkampf anders ist - nämlich sehr leise: "Manchmal fragt man sich, ob Deutschland überhaupt im Wahlkampf ist," sagt Reliou Koubakin, DW-Journalist aus Benin. "Das sind keine Wahlen à l'africaine. Bei uns sind Wahlen ein Fest, mit viel Musik und vielen Autos, die dann auch bedruckt sind." 

Sind Wahlen in Afrika, könne man das nicht übersehen. "Hier meint man beinahe, dass nichts passiert", sagt auch Harrison Mwilima, DW-Journalist für das Kisuaheli-Programm. 

Im Gespräch mit Kenneth Gbandi klingt das trotzdem anders. Wir treffen ihn auf unserer Hotelterrasse in Hamburg. Für ihn passiert hier etwas, und das merkt man: Der Nigerianer ist engagiert in der Wahl und generell in der Stadt Hamburg. Der Journalist und Friedensforscher ist umtriebig. Mit Blick über die Alster erklärt er, dass er dieses Jahr zum ersten Mal in Deutschland wählen wird. Offiziell. 

Neue Deutsche haben Platz

Nicht jeder, der neu in Deutschland ist, kann das. Aber das heißt nicht, dass ihre Stimme gar nicht zählt: Harrison Mwilima hat sich mit der Initiative "Wir Wählen" getroffen. Die organisiert, dass Menschen wählen können, die nicht wahlberechtigt sind. Die Stimmen kommen zwar nicht in die offizielle Stimmzählung - aber geben trotzdem Aufschluss über die Stimmung in diesen Bevölkerungsgruppen. "Das fasziniert mich", sagt Mwilima, "dass es hier so viele Initiativen und Organisationen rund um die Wahl gibt, wie auch Abgeordnetenwatch. Da kann man nachfragen, was die Abgeordneten gemacht haben. Das kenne ich so nicht aus Afrika."

"Das sind keine Wahlen à l'africaine": Das DW-Team vor dem Bundeskanzleramt in Berlin Bild: Braima Darame/DW

Und, besonders spannend für ihn ist auch: "Migrantinnen und Migranten gehen hier in die Politik." 

So steht auch in Aachen bei vollem Samstagstreiben Ye-One Rhie am Platz. Sie tritt für die SPD an - ausgerechnet in der Geburtsstadt von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Bevor wir sie zufällig getroffen haben, hat sie uns übergroß in der ganzen Stadt auf roten Plakaten angelächelt. Sie hat koreanische Wurzeln. Um sie haben sich nicht nur wir mit unseren Smartphones und Tongeräten gesammelt. Sie erklärt links und rechts, was sie kann - und warum sie und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz eine gute Idee sind. 

So viel Arbeit muss sie da aber gar nicht leisten, scheint es. "Laut meiner nicht repräsentativen Umfrage ist Olaf Scholz beliebter als Armin Laschet. Das ist ziemlich unglaublich", sagt Michael Oti. Er arbeitet bei DW AfrikaLink. "Wenn bei uns ein Kandidat antritt, dann kann er sich der Unterstützung aus seinem Heimatort sicher sein. Das ist da wirklich anders", meint Oti. "Besonders beliebt ist Laschet daheim wohl nicht." 

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