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Bundestrainerin auf Suche nach Gelassenheit

28. Juni 2022

Martina Voss-Tecklenburg fährt mit einem guten Gefühl zur Europameisterschaft nach England. Mehr als den üblichen Erfolgsdruck als Bundestrainerin empfindet sie nach eigenen Worten nicht.

Fußball | Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg freut sich auf die Europameisterschaft in EnglandBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Sie will nicht "die Martina mit dem erhobenen Zeigefinger" sein, sagt Bundestrainerin Voss-Tecklenburg bei der letzten Presserunde vor der Abreise zur Europameisterschaft in England. Sie wolle den Spielerinnen "noch mehr Freiheit geben, noch mehr Lockerheit" und habe sich selbst verordnet, "mich zurückzunehmen und gelassen zu bleiben".

Martina Voss-Tecklenburg spricht nicht nur über Gelassenheit, sondern scheint sich diese auch zu eigen gemacht zu haben. Nach außen wirkt die 54-Jährige, als sei sie mit sich und ihrer Arbeit im Reinen. Der 7:0-Kantersieg im letzten EM-Testspiel gegen die Schweiz lässt Voss-Tecklenburg mit einem guten Gefühl nach England reisen. Doch sie weiß natürlich, dass eine Bundestrainerin an ihren Erfolgen gemessen wird. Und dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ganz genau auf die Auftritte der Nationalmannschaft bei der EM schauen wird - auch wenn Voss-Tecklenburgs Vertrag noch bis August 2023 läuft.

Anspruch: Zu den Titelfavoritinnen gehören

Bei ihrem ersten Turnier als Bundestrainerin, der Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich, war Voss-Tecklenburg erst ein gutes halbes Jahr auf dem Posten. Und doch gab es nach dem Viertelfinal-Aus gegen Schweden auch Kritik an ihr. Denn das Team hatte mit dem frühzeitigen K.o. auch das Ticket für die Olympischen Spiele in Tokio verspielt - und damit das, was Voss-Tecklenburg als WM-Ziel ausgegeben hatte. Zwei Jahre später gibt sich die Bundestrainerin mit dem Blick zurück selbstkritisch.

Voss-Tecklenburg will ihre Spielerinnen wie Giulia Gwinn (l.) nicht überfordernBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

"Ich glaube, dass ich die eine oder andere unbewusst überfordert habe", sagt Voss-Tecklenburg über ihren damaligen Umgang mit ihren Spielerinnen. Daran habe sie mit ihrem Trainerinnenteam gearbeitet. "Das ist besser geworden. Wir sind miteinander gewachsen." Fühlt sie sich jetzt bei der EM unter höherem Druck als 2019 bei der WM? "Ich spüre nicht mehr Druck als den, den wir uns selbst auflegen", antwortet Voss-Tecklenburg. "Und unser Anspruch ist, zu den Titelfavoritinnen zu gehören."

Als Spielerin viermal Europameisterin

Aus ihrer aktiven Zeit als Nationalspielerin weiß die Bundestrainerin, wie der Gewinn einer EM funktionieren kann. Viermal - 1989, 1991, 1995, 1997 - wurde Voss-Tecklenburg mit dem DFB-Team Europameisterin, dazu einmal Vizeweltmeisterin. In ihrem Spielstil wurde die Mittelfeldspielerin oft mit dem Weltmeister von 1990, Pierre Littbarski, verglichen. Bis zu ihrem Karriereende sammelte sie 125 Länderspiele sowie insgesamt sechs deutsche Meistertitel und vier Pokalsiege. Mehrfach wurde sie durch schwere Verletzungen ausgebremst, etwa bei der EM 1997 und der WM 1999.

Martina Voss mit ihren damaligen Teamkolleginnen Pia Wunderlich (l.) und Maren Meinert (r.) nach dem EM-Triumph 1997Bild: picture-alliance/dpa

Eine der größten Enttäuschungen erlebte Voss, als die damalige Bundestrainerin Tina Theune-Meyer sie fünf Monate vor den Olympischen Spielen 2000 in Sydney aus dem Kader warf. Grund für den Rausschmiss war offenbar ein privater Streit zwischen Voss und ihrer Lebensgefährtin Inka Grings, mit der sie insgesamt sechs Jahre zusammenlebte. "Für mich ist das der absolute Horror, nicht bei Olympia dabei sein zu können", sagte Voss damals. "Ich kann das nicht verstehen und auch nicht akzeptieren." Jahre später vermutete sie rückblickend in einem Interview mit dem Nachrichten-Magazin "Der Spiegel", dass der von Männern dominierte DFB offenbar Angst davor gehabt habe, sich mit dem Thema Homosexualität im Frauenfußball zu beschäftigen.

Zeit mit Mann, Tochter und Enkelkind verbringen

2009 heiratete Voss den Düsseldorfer Bauunternehmer Hermann Tecklenburg. Aus einer früheren Beziehung hat sie eine erwachsene Tochter. Seit vier Monaten ist die Bundestrainerin Oma. Das letzte freie Wochenende vor der EM wolle sie nutzen, um Zeit mit ihrer Familie zu verbringen, sagt Voss-Tecklenburg.

"Anspannung und Nervosität sind noch nicht da", so die Bundestrainerin. "Aber das wird kommen." Spätestens am Freitag kommender Woche (8. Juli), wenn das Auftaktspiel der Gruppe B gegen Dänemark auf dem Programm steht. Immerhin waren die Däninnen bei der EM 2017 bis ins Finale vorgestoßen, wo sie sich den EM-Gastgeberinnen aus den Niederlanden hatten geschlagen geben müssen. Im vorherigen Viertelfinale hatten sie das DFB-Team nach Hause geschickt.

Bei jener EM-Endrunde hatte Voss-Tecklenburg noch das Schweizer Team trainiert. Sechseinhalb Jahre hatte die Deutsche als Nationaltrainerin die Eidgenossinnen betreut - mit beachtlichem Erfolg: Immerhin qualifizierte sich die Schweiz unter Voss-Tecklenburg 2014 erstmals für eine WM und schaffte es bei dem Turnier 2015 in Kanada bis in Achtelfinale.

Reif für den Titel?

Als Chefin des über Jahrzehnte erfolgsverwöhnten deutschen Teams liegt die Messlatte höher. "Ich möchte Titel gewinnen", hatte Voss-Tecklenburg selbst verkündet, als sie im November 2018 als neue Bundestrainerin präsentiert worden war. Mit acht Triumphen hat Deutschland so viele Europameisterschaften gewonnen wie keine andere Nation.

Vom Ziel EM-Titel spricht Voss-Tecklenburg bei der letzten Presserunde vor dem Turnier in England nicht. Sie formuliert ihre Ziele vorsichtiger. Sie wolle "eine selbstbewusste Mannschaft auf dem Platz sehen", sagt die Bundestrainerin. "Für mich zählt, dass alle an ihre Grenzen gehen und alles geben, was das Turnier erfordert." Das schließe sie selbst und ihre Assistentinnen mit ein, so Voss-Tecklenburg: "Auch das Trainerinnen-Team muss titelreif sein." Und das ganz ohne mahnenden Zeigefinger. 

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