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Das Bundesverfassungsgericht als Spielball der Politik

11. Juli 2025

Der Bundestag wollte drei Richterinnen und Richter wählen. Aber die Wahl fiel wegen Streits über eine Kandidatin aus. Wie es nun weitergeht, ist unklar.

In rote Roben gekleidet und mit einer ebenfalls roten Kopfbedeckung stehen die Richterinnen und Richter im Saal des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Die Vorsitzende des Zweiten Senats, Christine Langenfeld, bittet die anderen Anwesenden mit gestikulierenden Händen, sich vor einer Urteilsverkündung zu erheben.
Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Senate mit jeweils acht Richterinnen und Richtern Bild: Uwe Anspach/dpa/picture alliance

Das Bundesverfassungsgericht gehört zu den fünf Staatsorganen Deutschlands. Außerdem gibt es das Parlament (Bundestag), die Länderkammer (Bundesrat), den Bundespräsidenten und die Bundesregierung. Gemeinsam sind sie die Eckpfeiler der Demokratie, die auf Gewaltenteilung basiert. Die wiederum bildet den Kern der Politik in einer freien Gesellschaft.

Für die Wahl ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig

Innerhalb dieser Ordnung hütet das höchste Gericht das Grundgesetz, wie die Verfassung in Deutschland heißt. Darin ist auch geregelt, wer die 16 Richterinnen und Richter wählt: Bundestag und Bundesrat - je zur Hälfte. Dabei ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Wird die erreicht, ernennt der Bundespräsident die erfolgreichen Kandidatinnen und Kandidaten zu neuen Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts.

Das Grundgesetz: Gewaltenteilung

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Diese Prozedur zeigt, wie eng miteinander verwoben die Staatsorgane bei dieser Wahl sind. Deshalb sind vor allem die im Parlament vertretenen Fraktionen darauf angewiesen, sich abzustimmen. Denn aus ihren Reihen kommen die Vorschläge, wer als Richterin oder Richter gewählt werden soll.

Die Tagesordnung des Bundestags wurde kurzfristig geändert

An dieser Aufgabe ist das Parlament am Freitag gescheitert: Die geplante Abstimmung über drei zu besetzende Stellen wurde kurzfristig von der Tagesordnung gestrichen. Der Grund: Bei mindestens einer Kandidatin zeichnete sich ab, dass sie zu wenige Stimmen erhalten könnte.

Weil die Abgeordneten der regierenden Unionsparteien (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) keine eigene Zwei-Drittel-Mehrheit haben, wären sie auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen gewesen. Im Fall der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf hatten Grüne und Linke signalisiert, sie zu wählen.

Die Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, wird von der AfD als "Linksextremistin" beschimpft und von der SPD als "hoch angesehene Juristin" gelobtBild: picture alliance/teutopress

Die Union zweifelte schon länger an einer SPD-Kandidatin

Das hätte trotz der angekündigten Ablehnung durch die Alternative für Deutschland (AfD) gereicht, wenn sich die Kandidatin auf ausreichend viele Stimmen der Unionsfraktion hätte verlassen können. Aber in deren Reihen gab es schon länger Zweifel, weil die von der SPD vorgeschlagene Brosius-Gersdorf eine sehr liberale Haltung zum Schwangerschaftsabbruch hat.

Wenige Stunden vor der geplanten Abstimmung forderte die Union von der SPD, auf die Nominierung der Professorin der Universität Potsdam zu verzichten. Deshalb wurde die Sitzung des Bundestags unterbrochen und nach Krisengesprächen darüber abgestimmt, alle drei vorgesehenen Wahlen zu verschieben.

AfD: "Diese Richterin ist unmöglich"

Die AfD votierte als einzige Fraktion dagegen. Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Bernd Baumann forderte eine sofortige Abstimmung und machte aus seiner Ablehnung von Brosius-Gersdorf keinen Hehl: "Diese Richterin ist unmöglich, und der Vorschlag hat das Ansehen des Verfassungsgerichts massiv zerstört."

"Sie betreiben hier parteipolitische Machtspielchen", warf die Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek der Unionsfraktion vor Bild: Florian Gaertner/IMAGO

Heidi Reichinnek, Vorsitzende der Linken-Fraktion, machte die Union für die vorerst gescheiterte Wahl verantwortlich: "Sie betreiben hier parteipolitische Machtspielchen und sorgen erneut für absolutes Chaos." Die Fraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann, teilte diese Sichtweise: "Heute ist ein schlechter Tag für das Parlament, für die Demokratie und für das Bundesverfassungsgericht."

"Hetz-Kampagne" gegen eine "Linksextremistin"? 

Der SPD-Abgeordnete Dirk Wiese sprach von einer "Hetz-Kampagne" gegen eine hoch angesehene Staatsrechtlerin. Gottfried Curio von der AfD kommentierte Wieses Würdigung der SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf mit dem Zwischenruf "Linksextremistin" und wurde dafür vom Parlamentspräsidium gerügt.

Steffen Bilger von der CDU/CSU-Fraktion sagte, die langjährige Praxis der Nominierung und Wahl der Richter am Bundesverfassungsgericht habe sich bewährt. "Deswegen sind wir eine stabile Demokratie." Die Wahl sollte aber nicht Gegenstand einer aufgeheizten politischen Debatte sein. 

CDU/CSU bezweifelt fachliche Eignung der abgelehnten Juristin

Zugleich rechtfertigte er die Bedenken innerhalb der Unionsfraktion gegenüber der Juristin Brosius-Gersdorf: Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht müssten über jeden fachlichen Zweifel erhaben sein. "Und das ist aus unserer Sicht nun nicht mehr vollständig gegeben", begründete Bilger die Ablehnung.

Wann die kurzfristig abgesetzt Wahl von drei Richterinnen und Richtern nachgeholt wird, ist noch offen. Planmäßig beginnt jetzt die bis in den September dauernde parlamentarische Sommerpause. Die Grünen fordern allerdings schon eine Sondersitzung des Bundestags in der nächsten Woche. Das sei eine Frage des Respekts gegenüber den Kandidatinnen und Kandidaten sowie gegenüber dem Bundesverfassungsgericht.

Grüne sehen "schwere Krise" der Regierungskoalition

"Wir können keine Hängepartie über den Sommer akzeptieren, in der das Land im Unklaren darüber ist, ob wir noch eine stabile Regierung haben", erklären die beiden Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge. "Die abgesetzte Wahl zum Bundesverfassungsgericht hat die Koalition in eine schwere Krise gestürzt."

Diese Befürchtung hat anscheinend auch Vizekanzler Lars Klingbeil von der SPD. "Wenn hier strittige Abstimmungen sind, muss es auch hier Führung und Verantwortung geben, und das muss gezeigt werden", forderte er im Bundestag, ohne die mit ihm gemeinsam regierenden Unionsparteien beim Namen zu nennen. 

 

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland